Komponieren bei Windstärke 10

Trompete, gedämpftes Orchester, Summchor: So easy ist „Easy Listening“ dann allerdings auch wieder nicht – jedenfalls nicht für „Spanish Eyes“-Komponist und Rundfunk-Bandleader Bert Kaempfert, der heute vor 15 Jahren starb  ■ Von Jochen Bonz

Eine weiche Welle bringt ihn zurück. Oder sollte man wohl „neue weiche Welle“ schreiben? Seit alle großen Zeitungen den so ziemlich obskursten kleinen Trend der letzten Jahre vollends vertrendet haben, taucht jedenfalls auch sein Name wieder in den Gesprächen und Schreibereien über Popmusik auf: Bert Kaempfert. Daß eine Best-of- Liste von Easy-Listening-Musiktiteln nicht ohne ihn auskommt, liegt weniger an den großen Erfolgstiteln, an seinen Kompositionen „Strangers In The Night“ und „Spanish Eyes“ als an seinem musikalischen Stil, der Art seiner Akzentsetzung in Arrangements. Es liegt aber auch an seinem versteckten Potential zum Popstar.

Bert Kaempfert sagte über seine Musik, er wolle Musik machen, „die nicht stört“, und das wichtigste dabei sei eine schöne Melodie. Was als „Kaempfert- Sound“ berühmt wurde, ist damit aber so wenig beschrieben, wie mit der gerne wiederholten Formulierung: „Trompete, gedämpftes Orchester, Summ-Chor.“ Die Eigenheit seines Sounds ist eine ganz spezielle Reformulierung von Swing, wie sie nur damals, in den frühen Jahren nach dem Krieg, gemacht werden konnte. Eins war er nämlich mit Bestimmtheit, der Bert Kaempfert, ein großer Jazz- Liebhaber. Seine Tochter Doris Kaempfert, die heute mit ihrer Firma „Bert Kaempfert Music“ die Schallplatten ihres Vaters auf CD- Format wiederveröffentlicht, erzählt, er habe abends immer Tonbänder angehört. Er habe der Familie Musik von Glenn Miller, Count Basie, Woody Hermann vorgespielt.

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Jazz, das war für den 1923 geborenen Kaempfert das, was er in den dreißiger Jahren als Musiker und Musikkorps-Soldat im Nationalsozialismus nicht hören durfte – und dann, nach der Befreiung, Ende der 40er Jahre mit einer kleinen Combo namens „Pik As“ für GIs in deren Clubs spielte. Er war nicht der einzige deutsche Musiker, dessen Begeisterung für Swing so eigenartig aufgeschoben wurde und dann ebenso eigenartig verwirklicht werden konnte. Dem Pianisten Paul Kuhn zum Beispiel, oder auch James Last, der 1951 noch zum besten Jazz-Bassisten Deutschlands gewählt wurde, ihnen ging es auch so. Alle machten sie dann in den 50er Jahren – mehr oder weniger – Karriere bei den verschiedenen Rundfunkanstalten (Bert Kaempfert als Hamburger beim NDR) und arbeiteten für das aufkommende Schallplattengeschäft. Kaempfert hatte einen Vertrag mit der Polydor als Hauskomponist und Arrangeur. Unter dem eigenen Namen oder unter Pseudonymen wie „Mark Bones“ oder „Bob Parker und seine Solisten“ arbeitete er für Freddy Quinn, arrangierte für ihn unter anderem den Erfolgstitel „Die Gitarre und das Meer“. Er lieh seine Kenntnisse einem anderen tollen Schnulzensänger, Ivo Robics, von dem die wunderbare Songzeile stammt “... und selbst die Zigarette schmeckt nicht mehr ...“ („So allein“). Auch an der Bearbeitung von „Muß I denn zum Städtele hinaus“ für Elvis Presley, der das Stück dann unter dem Titel „Wooden Heart“ herausbrachte, soll er beteiligt gewesen sein.

Kaempfert war Ende der fünfziger Jahre im Orchestergraben des Schlager-Zirkus gelandet – Wirtschaftswunder. Für einen wohl grandios schlechten Film mit dem Titel „Wunderland bei Nacht“ durfte er die Filmmusik schreiben, aber nicht als Schallplatte veröffentlichen. Seine Firma wollte die Aufnahmen nicht haben und hat ihn mit der ewigen Ausrede, die Musik sei zu gut und zu wenig kommerziell, abgewiesen.

Big in America

Diese Aufnahmen, die schließlich in den USA unter dem Titel „Wonderland by Night“ veröffentlicht und dort ein Riesenerfolg wurden, die dazu führten, daß Bert Kaempfert und seine Musiker von 3.500 Radio-Discjockeys 1961 in den USA zum „up-and-coming orchestra“ gewählt wurden – sie kann man wohl als das Ergebnis dieser seltsamen, harten, deutschen Unterhaltungsmusik-Schule ansehen, die vom verbotenen Swing, über GI-Clubs, die Rundfunkorchester und Schlagerproduktionen geführt hat. Wir sprechen hier von instrumentaler Unterhaltungsmusik, die swingt und trotzdem lange kein Jazz mehr ist, sondern ein vielleicht kompliziert gemachtes, sicher jedoch unkompliziert wirkendes Etwas, das wir heute Pop nennen würden. Die Besonderheit von Kaempferts Arrangements liegt in der Betonung eines eigenartig ergänzten Swing- Rhythmus und der Baßgitarre. Vermutlich hat Bert Kaempfert die Eigenheiten seiner Musiker geschickt in Szene gesetzt. Rolf Ahrens, Jazzer und K.s langjähriger Schlagzeuger, hat diese Spieltechnik jedenfalls mit in den Kaempfert-Sound eingebracht – der in Hamburg lebende freischaffende Musikwissenschaftler Volker Rippe ist sich da ganz sicher: „Wenn der Rolf Ahrens nicht dabei ist, merkt man das sofort“.

Volker Rippe ist daran, diese musikalischen Geheimnisse im Detail zu erforschen. Sowieso ist er der einzige mir bekannte Mensch, der in dieser momentanen Begeisterung für Easy Listening ganz und gar begeistert ist, das allerdings schon länger. Er hat bei Martin Böttcher gelernt, dem Komponisten der Pierre Brice/Lex Barker-Winnetou-Film-Soundtracks, und er hat über Peter Thomas gearbeitet, von dem neben unzähligen Soundtracks zu Wallace-Verfilmungen auch die Musik zu der Raumschiff-Orion-Reihe stammt. Er ist außerdem großer Fan des kanadischen Arrangeurs und Orchesterleiters Percy Faith und des britischen Orchesters „Manuel And The Music Of The Mountains“.

Mehr sophisticated als Sinatra

Volker Rippe muß also so gut wie alles über Easy Listening wissen, und er weiß vor allem auch Entscheidendes über das magische Easy-Listening-Jahr 1970. Bis 1970 ging musikalisch alles gut, um auf Bert Kaempfert zurückzukommen. Dem Debuterfolg folgten wundervolle Aufnahmen von Stücken wie „Red Roses For A Blue Lady“ und „Bye Bye Blues“. Dem weltweiten Bossa-Fieber wurde eine Schallplatte mit dem Titel „That Latin Feeling“ dazugegeben, die Stücke „African Beat“ und „A Swingin Safari“ machten Furore – letzteres war jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang Erkennungsmelodie des Süddeutschen Rundfunks. Der Show-Finale-Klassiker „Dankeschoen“, 1967 bei Jackie Gleasons Sylvestershow, USA, von Küste zu Küste übertragen, mit Bert Kaempfert und Louis Armstrong, entstand. Kompositionen wie „L-O-V-E“ und „Remember When“. Pointierte Aufnahmen von Jazz-Klassikern wie Ellingtons „Caravan“ und angehende Evergreens wie Burt Bacharachs „Raindrops Keep Falling On My Head“.

Der große Erfolg kam mit „Strangers In The Night“, das er für Hollywood aufgenommen hatte, und dessen instrumentales Original sehr viel mehr sophisticated ist als Sinatras Gesangsversion. Es gab LP-Titel wie „Blue Midnight“, „Three O'Clock In The Morning“, „The Magic Music Of Far Away Places“, „Hold Me“. Auf den Covern: tolle Frauen, tolle Männer, ein cooler Kaempfert. Das waren die Sechziger. Oder, mit den Worten eines Stuttgarter Second-Hand-Plattenhändlers: „Der Kaempfert der sechziger Jahre wird bleiben.“

Der Kaempfert der siebziger Jahre nicht. Nach Volker Rippe hat mit dem „magischen“ Jahr 1970 die gesamte Unterhaltungsorchestermusik an „Biß“, an „Aggressivität“ verloren. Die Ereignisse dieses Jahres – sagen wir: Rockmusik mit dem politisch-kulturellen Erneuerungswillen drumherum – und vielleicht auch die Müdigkeit unserer Protagonisten schlugen durch. Muzak – also das, was vom eigenwilligen Unterhaltungsorchester-Pop in die siebziger Jahre hinein übrigblieb – haben andere Unterhaltungsorchester eher besser gemacht, Berry Lipman beispielsweise.

Drei wichtige Sachen gibt es über Bert Kaempfert und die siebziger Jahre trotzdem zu sagen. Er hat „In The Everglades“ geschrieben, ein schönes, vor allem aber sympathisches Musikstück, weil er damit seine Begeisterung für das Fischen in diesem Sumpfgebiet im Süden Floridas, dem er seit seinen Erfolgen einmal im Jahr mehrere Wochen lang mit irgendwelchen wild aussehenden Kapitänen nachging, auch Schnaps trinkend ... weil er das alles also damit vertont hat. Der zweite wichtige Punkt ist „Eins & Eins“, das gemeinsame Album mit Hilde Knef, das ohne große Besonderheiten schlichtweg aufgrund dieser Zusammenarbeit viel Spaß macht beim Hören. Drittens ist Bert Kaempfert in den siebziger Jahren endlich auch aufgetreten. Die sechziger Jahre über galt er als der „unsichtbare Mr. Hitmaker“, 1974 haben sie es dann in England gewagt und kurze Zeit, nachdem James Last die Royal Albert Hall gerockt hatte, hat Bert Kaempfert sie gepopt.

Gegen Ende der siebziger Jahre tourte er sogar in der BRD, wo er seit seinen großen Erfolgen, wenn auch nicht so richtig supererfolgreich, so doch bekannt war. Bert Kaempfert ist am 23. Juni 1980 auf Mallorca gestorben. Noch kurz zuvor war er wieder umjubelt in England gewesen, und er hatte tausend Pläne für weitere Tourneen im Kopf. Entweder hat er doch noch daran Gefallen gefunden oder es war ein verzweifeltes Ankämpfen gegen das Diktat der Rockmusik. In dem Konzertmitschnitt „Bert Kaempfert In Concert“ sieht er schon ganz glücklich aus, wenn er mit gewinnendem Jungenslächeln das Publikum begrüßt, in seinem hellblau-grauen Anzug, dem tief dunkelblauen Hemd, der hellblau- grauen Fliege, und immer leicht in den Knien mitwippend beim Dirigieren! – was er im übrigen mit nach unten ausgestreckten Armen, die er nur im Rhythmus leicht anhebt, bewerkstelligte. In dem Augenblick, in dem ihn seine Sängerin Sylvia Vrethammer bei „Remember When“ umarmt und singt: „Switzerland, we loved it too/al

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though we left there black and blue/remember when we tried to learn to ski“, da kann man das „Yeah!“ hören und sehen, das er ihr leicht verlegen und trotzdem so show-fachmännisch zuflüstert.

Von heute her gesehen ist Bert Kaempfert ein alter, verblaßter, leider toter Popstar der weichen Wellen – bleiben wir ruhig bei dem Begriff, er ist so scheußlich-schön wie manche Muzak. Seine Auftritte waren durch die rosafarbenen Umhänge des Botho-Lucas- Chores nicht ohne Glamour, auch durch dessen entzückendes „Sollen wir uns sehn? – und verstehn?! – ratattattatta“ beim „Chanson d'Amour“. Sehr Pop ist auch, daß die Hör zu 1966 über ein Fest bei den Kaempferts auf Mallorca die Worte verlor: „Jetzt, am Morgen, sitzen wir auf der Terrasse seiner Villa beim Katerfrühstück. Mit Blick auf Palmen, meterhohe Kakteen und das Mittelmeer. Kaempferts charmante Ehefrau Hanne braut einen starken Kaffee.“ Oder daß die Kaempferts überhaupt dieses Haus zwischen Palmen hatten – neben einem am Zuger See, in dem die Goldenen Schallplatten hingen, einem ruhigen Bergbauernhof, einem Wochenendhaus am Brahmsee in Norddeutschland. Mondän.

Gute Musik, die gut nicht stört

Es gibt bei Kaempfert aber auch die ruhige Seite, das Fehlen von Skandalen, das Komponieren am Brahmsee bei Windstärke 10, seine Zurückgezogenheit, für die dann die Tatsache wieder eine große Rolle spielt, daß er abends immer gerne Musik gehört hat, gute Musik, die gut nicht stört. Seine Passion eben. Er ist der Popstar der glücklichen Stereoanlage – glücklich aber nur als Produkt lebenslanger Arbeit.

Diedrich Diederichsen hatte übrigens nicht so richtig recht, als es mit ihm durchgegangen ist und er Easy Listening in Spex als „Pest“ bezeichnet hat, die unhistorisch ist und vollends das Ende einer als subversive Strategie gedachten „Hipness“ markiere.

Zwar hat es – als Trend genommen – etwas Bedrückendes, wenn junge urbane Interessierte in Clubs mit Namen wie „Hafenbar“, „Golden Pudel Club“, „S35“, „Päff“ „Tower“ oder „Lounge“ sich modisch für die Musik ihrer Väter erwärmen, doch wer noch Ohren hat zu hören, dem kann zugleich nicht verborgen bleiben, welche Anstrengung es Männer des Schützengrabens wie Kaempfert gekostet hat, ihren Cocktailkirschen- Sound zu einer Variante glitzernder Weltläufigkeit zu veredeln, auch welche Melancholie unter der geballten Leichtigkeit begraben liegt.

So gesehen eine Zivilisationsleistung, die sich nach all den Jahren endlich verstehen läßt – nicht als Rückkehr zu den Eltern, sondern als Lächeln über sie.

Die Firma „Bert Kaempfert Music“ veröffentlicht seit ein paar Jahren die Original-LPs auf CD- Format wieder. Zuletzt erschien „That Latin Feeling“ (Polydor).