Spiel im Ungefähren

Ruhiger Fluß ohne irritierende Wirbelchen: Albert Ostermaiers „Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie“ im Münchner Marstall uraufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Ernst Toller erhängte sich im Mai 1939 in einem New Yorker Hotelzimmer. Anders als Brecht, der in Hollywood Fuß zu fassen suchte, hatte Toller zu dieser Zeit keine Ambitionen als Bühnenautor, sondern verwandte seine ganze Energie darauf, in Vorträgen, Reden und Rundfunksendungen vor Hitler zu warnen. Auf über zweihundert Auftritte brachte er es während seines sechsjährigen Exils, vielleicht wollte er sich davon ablenken, daß selbst der Platz zwischen den Stühlen, den er zeitlebens eingenommen hatte, unbewohnbar geworden war. Einen Tag vor seinem Selbstmord widersprach er Ludwig Marcuse noch heftig, als der behauptete, jeder Mensch habe das Recht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Warum er dann doch zum Strick griff, weiß niemand. Dem 28jährigen Autor und Performer Albert Ostermaier geht es um Tollers letzte Stunden im Hotelzimmer und um diesen dunklen Fleck. Damit das Ganze sich nicht allzu monodramatisch abspiele, konfrontiert er den Zweifler Toller mit seinem Alter ego Tollkirsch, einem zynischen, zur Tat drängenden Zeitgenossen. Ob Ostermaiers Großpoem tatsächlich zur Bühne drängt, steht auf einem anderen Blatt.

„Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie“ wurde letztes Jahr zum Stückemarkt des Theatertreffens eingeladen und danach als Hörspiel gesendet. Liest man die Monologketten, wird deutlich, warum Ostermaier dieses Jahr den Leonce-und-Lena-Preis erhielt. Er läßt vieles anklingen, arbeitet mit Shakespeare-Assoziationen, Brecht-Tönen, kurzen Zitaten, verdichtet aber alles in einem lyrischen Ton, der den Konflikt zwischen dem zum Tode traurigen Toller und seinem zynischen Alter ego spürbar macht. In der Münchner Uraufführung von André Wilms dagegen wird schon nach kurzer Zeit klar, daß die beiden Kontrahenten im Ring reichlich wenig miteinander zu tun haben. Andreas Sindermann (Toller) und Götz Argus (Tollkirsch) spielen im Ungefähren. Da gibt es keine Konflikte, Leidenschaften und Auseinandersetzungen, wird nichts aufgerauht oder sperrig hingestellt. Man begnügt sich damit, den poetischen Text als Kunstwerk zu präsentieren. Eine Stunde – und als langsamer, ruhiger Fluß mit wohlgesetzten nicht irritierenden Wirbelchen.

Vor allem Andreas Sindermann spricht mit künstlichen Hervorhebungen, macht an Versgrenzen immer wieder Pausen, verleiht dem folgenden Wort Bedeutungsgewichte, die sie nicht tragen können,und läßt Toller zu einem Monologisierer an der Grenze zur Selbstverliebtheit werden. Der historische Toller wußte unter anderem deshalb nicht mehr weiter, weil er seit der Münchner Räterepublik im Zwiespalt lebte; als bedingungsloser Pazifist stand er für das Prinzip Gewaltlosigkeit, anderseits sah er nur zu deutlich, daß völliger Gewaltverzicht politisches Handeln unmöglich machen kann. In Ostermaiers Text klingt das immer wieder an, in der Inszenierung wird es ausgeblendet. Nicht genug damit, läßt André Wilms die einzelnen Runden des verbalen Boxkampfes durch ein Nummerngirl eröffnen. Wenn sie zum ersten Mal auftaucht, kapiert der letzte, daß es im Ring nur um Show und Eitelkeiten geht.

Eine Kampffläche als Bühne der Selbstdarstellung, von Erich Wonder chic mit einem rechteckigen Gazevorhang umsäumt. Einmal fährt ein kleiner Wagen im Halbkreis und will den Eindruck erwecken, er könne mittels einer Flex den Betonboden aufschneiden; einmal hebt sich das Gazegeviert und verschiebt sich leicht diagonal, als gerate die Welt aus den Fugen; hin und wieder werden Geräusche eingespielt, gibt's Minimalistisches vom Keyboard oder der Gitarre; hin und wieder sieht man ins Programmheft, wo unter der Rubrik „Musik“ der Name Brian Eno als Komponist auftaucht. Das macht sich gut.

Albert Ostermaier: „Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie“. Regie: André Wilms. Bühne: Erich Wonder. Mit Andreas Sindermann, Götz Argus, Astrid Müller. Weitere Aufführungen: 24.–29.6