Zwischen den Rillen
: Urväter und Söhne

■ Detroit-Techno geht mit Hermann Hesse in die dritte Phase

Mit einigen Orten hat es die Popgeschichte gut gemeint. Eine profane topographische Bezeichnung kann – ganz unabhängig davon, wie es dort aussieht – eine Aura gewinnen, die den Eingeweihten als bestimmter musikalischer Stil oder als historische Szene einleuchtet. Schönstes Beispiel dafür ist der millionenträchtige „Sound of Frankfurt“, der zum größten Teil in einem Flachbau inmitten von Dentallabors und Teppichmärkten in Offenbach produziert wird.

Detroit hat demgegenüber wirklich etwas zu bieten: MC5, Madonna, Motown – aber erst Techno hat den Sound zur Stadt etabliert. In Detroit gab es Mitte der Achtziger Leute, die ihre Synthese aus Clinton-Funk und Kraftwerk-Elektro Techno nannten. Zu diesen Urvätern wird neben Derrick May und Kevin Saunderson auch Juan Atkins gerechnet. Seit den alten Zeiten produziert er Musik unter dem Namen Modell 500. Ein Name, der Stadt und Musik unauflöslich verbindet: Er verschraubt Techno mit der in Detroit entwickelten Automation der industriellen Produktion.

Diese Bezugnahme ist entfernt von Kritik oder futuristischer Emphase – sie ist eher Ausdruck für das Bemühen, mit den Mitteln der Technologie auf die Entwicklungen zu reagieren, die von dieser verursacht werden. Das technotypische Bum-Bum- Bum ist deswegen nicht platte Verdoppelung des vom Fließband diktierten Arbeitsrhythmus, sondern das Werkzeug, die vom Fließband diktierten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Daß Techno eine über die Tanzbarkeit hinaus bemerkenswerte Musik ist, liegt nicht nur an der Diskurswerdung in sonst eher szene-fremden Medien – es liegt auch an der Veränderung der Produktionsmethoden dieser Musik selbst. Insbesondere ist damit eine Renaissance des Longplayer-Formats gemeint. Diente die LP früher lediglich als Möglichkeit der Kompilation vergriffener Maxisingles, ist sie inzwischen zu der Form geworden, in der sich die Autorschaft eines Musikers darstellt.

So ist auch die knappe Stunde der neuen Modell-500-CD, die übrigens zum größten Teil in Berlin aufgenommen wurde, zum Abtanzen wenig geeignet – ausgeschlossen sei das allerdings nicht. Atkins reist in den tiefen Raum der Techno-, also seiner eigenen Geschichte. Es gibt den sphärischen Housetrack ebenso wie ein typisches Stück der minimalen Art mit hartem Beat und zwei, drei durchgehenden Loops; es gibt das vertrackt sich aus unterschiedlichen Richtungen entwickelnde Drama, wie ein an Grace Jones erinnerndes Gesangsstück (die Sängerin und Mitautorin heißt Aisha Jamiel), das an die Verbindungen von Atkins an den 80er-Pop erinnert – schließlich hat er unter anderem einmal Style Council produziert.

Erstaunlich ist durchaus, daß die von Atkins, May und Saunderson angestoßene Entwicklung nicht nur ihnen zu Autorität und (respektierter) Autorschaft verhalf, sie fand auch in Detroit eine Fortsetzung. Techno wurde von der zweiten Detroiter Welle, die mit Namen wie Robert Hood, Kenny Larkin und Jeff Mills verbunden ist, in der Tat weiterentwickelt und zu einer inzwischen schon wieder historisch gewordenen Kompromißlosigkeit geführt.

Da haben es die heute in Detroit arbeitenden unbekannten jungen Künstler schwer. Dies nicht nur, weil die lokale Tradition so übermächtig ist, sondern auch, weil Techno inzwischen weltweit auf höchstem Niveau produziert wird und die Herkunft nicht mehr die Bedeutung hat – die Musik an sich ist sowieso nicht mehr durch bloßes Hören lokalisierbar.

Möglicherweise ein Bumerang ist es deshalb, am Signum „Detroit“ die Lancierung neuer Acts aufzuhängen. Trotz des dadurch garantierten Aufmerksamkeitsbonus (für den auch dieser Text ein Beispiel ist) ist die Gefahr groß, daß die suggerierten Erwartungen selbst von guter Ware nicht ganz erfüllt werden.

Das Label Submerge hat den Fehler gemacht, die neue Folge seiner Kompilationsserie zu voll gepackt zu haben, so daß man die schlimme Vermutung nicht los wird, in Detroit werde inzwischen auch nur noch mit Wasser gekocht. Hier blubbert einiges inspirationslos vor sich hin. Interessant die Versuche von UR, „nativeness“ (Indianer), und von Teknotika, „nature“ (Tigerfauchen) zu verarbeiten. Herausragend das ruhige Introstück von André Holland, das an Mays Klassiker „Strings of Life“ erinnert, und der Beitrag von Infiniti (aka Modell 500 aka Juan Atkins).

Geschickter war man bei Planet E, indem man die Kompilation nicht gestreckt hat. Zehn jeweils sehr eigene Stücke, die dem im Titel geführten Experiment nicht abgeneigt sind. Der Opener von Mode Selector nimmt mit verschiedenen Industrialsounds noch einmal diese Wurzel von Techno auf, während das Stück „Steppenwolf“ von New Signal auch neue Erkenntnisse für jene verspricht, die sich ihre Version von Jugendkultur aus Hesse und Harley-Davidson gebastelt haben.

Auf das Versprechen sollte man sich einlassen. Eine Spalt- Tablette kann man immer noch hinterher schlucken. Martin Pesch

Modell 500: „Deep Space“ (R &S /Rough Trade)

Diverse: „Depth Charge 3“

(Submerge/Neuton)

Diverse: „Elements of and Experiments with Sounds“

(Planet E/Neuton)