An der Basis hat es die PDS-Führung schwer

■ Bei der Wahl der DirektkandidatInnen in den Bezirken demonstrieren junge Genossen Eigenständigkeit gegenüber der Parteispitze / Offene Liste fast gekippt

„Ich kandidiere als Frau und Hellersdorferin!“ Für die zweiundsiebzig Delegierten auf der Hauptversammlung der PDS in Berlins östlichstem Bezirk am vergangenen Wochenende zwei schlagende Argumente, sie wählte die achtunddreißigjährige Sozialpädagogin Kerstin Anding zur Direktkandidatin der PDS.

Ein Sitz im Abgeordnetenhaus scheint ihr nach den Wahlen im Oktober sicher, denn 50,8 Prozent der Wähler machten in diesem Hellersdorfer Wahlkreis bei den Bundestagswahlen ihr Kreuz bei Gregor Gysi. Die aus Steglitz stammende Gewerkschafterin Bärbel Holzheuer-Rothensteiner hatte hingegen keine Chance.

Mit ihren Ideen für eine feministische Gewerkschaftspolitik stieß sie, trotz prominenter innerparteilicher Fürsprecher, mit dem, so formulierte es eine Delegierte, „abgehobenen intellektuellen Gelaber“ auf wenig Interesse. „Wessis haben“, so stellte die Landesvorsitzende Petra Pau anschließend resigniert fest, „an der PDS-Basis kaum noch eine Chance.“

Seit einigen Wochen nominieren die demokratischen Sozialisten in Ostberlin ihre Direktkandidaten für die Abgeordnetenhauswahlen im Oktober. Für die Zusammensetzung ihrer Fraktion fallen da wichtige Vorentscheidungen, schließlich werden nach eigenen Berechnungen der PDS im Herbst vermutlich mehr als dreiviertel der angestrebten rund zwanzig Abgeordnetenhaussitze per Direktmandat vergeben.

Die Chemie stimmt gegenwärtig nicht zwischen der Basis und der Berliner Parteispitze. Dies macht nicht nur der neuerliche Streit über die bedingungslose Tolerierung deutlich. Auch über die Entmachtung der bündnisgrünen Baustadträtin Dorothee Dubrau zum Beispiel liegen die Landesspitze und der Bezirksverband Mitte im offenen Streit. Während die Berliner Parteispitze die PDS gerne als radikale linke Oppositionspartei präsentieren will, zeigt sich die Basis in den Bezirken im klassischen Sinne als ostdeutsche Volkspartei.

Hier werden andere Maßstäbe gesetzt, die Basis interessiert weder die Kritik der Intellektuellenriege um den Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer an dem Anpassungskurs der PDS noch die Diskussionen des Berliner Landesverbandes über radikale Opposition und Tolerierungsmodelle für einen rot-grünen Senat. Da gelang es selbst der aus Hellersdorf stammenden Landesvorsitzenden Petra Pau nur mit Mühe, sich bei der Wahl der Direktkandidaten für die Abgeordnetenhauswahlen gegen Bezirksprominenz durchzusetzen. Erst mußte sich Petra Pau einem längeren „Verhör“ durch die Delegierten unterziehen, mußte sich unter anderem Ämterhäufung, Abgehobenheit und mangelndes Engagement für den Bezirk vorhalten lassen. Erst nachdem sich einige Bezirksfürsten, den Affront für die gesamte Partei vor Augen, für sie Partei ergriffen hatten, gelang es ihr schließlich, mit 41 Stimmen das geforderte 50-Prozent- Quorum knapp zu erfüllen.

Noch mehr als in anderen Bezirken bestehen die Hellersdorfer Genossen auf ihrer Eigenständigkeit. Nicht ideologieverliebte alte Kader, die in der PDS mehr eine Selbsthilfegruppe denn eine Partei sehen, sondern junge, selbstbewußte PDS-Genossen bestimmen die Szene.

Zum Beispiel der vierunddreißigjährige Uwe Klett. Er will im Herbst in Hellersdorf erster PDS- Bezirksbürgermeister Berlins werden. Zweidrittel der rund achthundert Hellersdorfer PDS-Mitglieder kürten den Sozialstadtrat in der vergangenen Woche per Urwahl zum Bürgermeisterkandidaten. Der Bezirk brauche ein Verkehrskonzept, eine neue Straßenbahnlinie, mehr Grün und mehr Transparenz in der Verwaltung, so seine revolutionären Argumente.

Dem Senat sei der junge Bezirk ganz im Osten der Hauptstadt „ziemlich egal“, beklagt er sich, also müsse man in Hellersdorf eine „Gegenmacht zur Landespolitik aufbauen“ und mit einer „konsequenten Interessenvertretung mehr für den Bezirk herausholen als die etablierten Parteien“. Den Genossen gefällt es, sie stehen auf Lokalkolorit.

Opfer bezirklicher Egoismen wurde ein Wochenende zuvor auch die stellvertretende Bundesvorsitzende Silvia-Yvonne Kaufmann. Sie unterlag in einer Stichwahl für ein Direktmandat in Berlin-Marzahn gegen den nur im Bezirk bekannten vierundzwanzigjährigen Studenten der Betriebswirtschaft, Stefan Liebich. Die Basis könne nicht über den bezirklichen Gartenzaun hinaus sehen, schimpfte die Unterlegene anschließend, sie sei unfähig, „das Interesse der Gesamtpartei wahrnehmen zu wollen“.

Das Konzept der offenen Liste des Landesvorstandes hat längst Schlagseite bekommen. Von den sechs parteilosen Bewerbern auf den ersten zehn Plätzen der Landesliste gelang es nur zweien, sich durch sichere Direktwahlkreise abzusichern. Schon für den Sprecher der mietenpolitischen Initiative „Wir bleiben alle!“ (WBA) aus Prenzlauer Berg, Bernd Holtfreter, auf Platz 6 der Landesliste, könnte es mit dem Einzug in das Abgeordnetenhaus knapp werden, wenn die PDS in ihren Hochburgen viele Direktmandate gewinnt.

Selbst im Landesvorstand wird inzwischen darüber nachgedacht, ob für einen Erfolg im Herbst nicht eine Änderung der Wahlkampfstrategie erforderlich wäre. Statt den Wahlkampf vor allem auf den Westen auszurichten und statt mit dem Thema Hauptstadtplanung vor allem neue Wähler gewinnen zu wollen, solle die Partei besser ihre bei den eigenen Wählern anerkannte „sozialpolitische Kompetenz“ in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen.

So kritisiert etwa der Wahlkampfleiter der Berliner PDS in einem Positionspapier die bisherige Planung des Landesvorstandes. „Bei Strafe des Untergangs“, so Jens-Peter Heuer, dürfe die PDS nicht „gegen die Erwartungen der eigenen Wähler“ Wahlkampf führen. Christoph Seils