■ Mit der Blockade der energiepolitischen Zukunft will die Bundesregierung die SPD auf einen Atomkurs zwingen
: Gerhard Schröder in der Konsensfalle

Natürlich wird der Energiefrieden auch nach der nächsten Bonner Runde nicht übers Land kommen. Der umfassende gesellschaftliche Konsens, von keinem der beiden großen energiepolitischen Lager jemals als Kompromiß gedacht, wird nicht einmal mehr verbal beschworen. Was bleibt, ist der ebenso angestaubte wie banale Versuch, die Sozialdemokratische Partei ins Lager der Nuklearfetischisten zurückzukomplimentieren. Möglichst auf einem Pfad, den Partei- und Wahlvolk der SPD als konsequente Fortsetzung des 1986 in Nürnberg ausgerufenen Ausstiegskurses mißverstehen können. Auch diese Anstrengung unternehmen Bundesregierung und die aufs Atom fixierte Fraktion der Stromwirtschaft nur, weil der bundesdeutsche Föderalismus den Bundesländern ein erhebliches atompolitisches Quälpotential zur Hand gibt – auf einem Feld übrigens, das formalrechtlich eine Angelegenheit des Bundes ist. Wären die Länder in ihrer Eigenschaft als Standorte aktueller und künftiger Atomanlagen völlig machtlos, kämen weder Stromwirtschaft noch Bundesregierung im Traum auf die Idee, den Schlüssel zur Energiezukunft der Opposition zu überlassen. Das, gelinde gesagt, Ungewöhnliche an diesem Vorgang ist nach bald drei Jahren Konsensrhetorik in Vergessenheit geraten.

Die doppelte Frage, die sich den Sozialdemokraten angesichts der Avancen aus dem Lager der Nuklearfetischisten von jeher stellt, ist: Was bringt es der Partei und was in der Sache? Schon 1991 unterbreitete das „Deutsche Atomforum“ der SPD ein Friedensangebot. Die Partei möge „an ihrem prinzipiellen Ausstiegskurs festhalten“, aber künftig auf alle Versuche seiner Umsetzung verzichten. Im Klartext, die nuklearen Weichenstellungen der Bundesregierung sollten von der parlamentarischen Opposition „zumindest respektiert“ und im Fall ihrer Machtübernahme „ähnlich wie völkerrechtliche Verträge“ eingehalten werden. Der Zeitpunkt war nicht schlecht gewählt. Die (West-) Grünen hatten sich gerade aus dem Bundestag verabschiedet, Rückkehr ungewiß. Eine Machtperspektive in Bonn eröffnete sich für die SPD allenfalls in Koalitionen mit Pro-Atom-Partnern. Auch innerparteilich war der Linienkampf zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomenergie damals nicht wirklich entschieden. Aber heute? Bekennende Nuklearbefürworter bilden in der SPD mittlerweile eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Ein Kurswechsel – und sei es nur die Zustimmung zu einer vagen Option auf eine neue Reaktorgeneration – könnte die Partei zerreißen. Er würde die Bündnisgrünen als wahrscheinlichsten Koalitionspartner verprellen und gleichzeitig bei Wahlen den Erosionsprozeß Richtung Grün beschleunigen.

Gerhard Schröder will den Atomausstieg nicht länger nur als wiederkehrende Selbstvergewisserung in Gestalt wohlfeiler Parteitagsbeschlüsse. Das ehrt ihn. Er hält den anhaltenden energiepolitischen Stillstand für unverantwortlich. Auch das ist richtig. Sein Kardinalfehler besteht darin, daß er für aktuelle Schritte in Richtung Energiewende die Selbstbindung künftiger sozialdemokratisch geführter Bundesregierungen auf dem Feld der Atomenergie anbietet. Konkret: Ein von der SPD abgenicktes und von den atompolitischen Hardlinern im Bonner Umweltministerium durchgezogenes „standortunabhängiges Genehmigungsverfahren“ für den von Siemens und Framatome geplanten Mammutreaktor EPR würde nicht nur rot-grüne Landesregierungen bei späteren Bauentscheidungen auf ihrem Territorium entmachten. Ein solches Verfahren, am Ende dieser Legislaturperiode begonnen, müßte konsequenterweise nach 1998 auch von einer rot- grünen Bundesregierung fortgesetzt werden. Schröder spricht von „Trockenübungen“, andere fürchten die „Konsensfalle“.

Die Strategie von Atomlobby und Bundesregierung läuft heute darauf hinaus, die SPD atompolitisch zu binden, bevor sie in Bonn an die Macht kommt. So werden prophylaktisch Dämme errichtet gegen die befürchtete grüne Flut. Eine rot-grüne Reformregierung käme 1998 nach einer sozialdemokratischen Festlegung auf eine neue Reaktoroption entweder gar nicht erst zustande, oder ihre energiepolitische Bewegungsfreiheit wäre von vornherein dramatisch eingeschränkt.

Gerhard Schröder hat die Konsensdebatte 1992 angeschoben. Das gesellschaftliche Klima für den Ausstieg aus der Atomenergie hat sich seither stabilisiert. Die Ausstiegsdiskussion ist hoffähig geworden. Aber weiter geht es nicht. Vorzuwerfen ist dem SPD- Verhandlungsführer nicht der Versuch, sondern seine Weigerung, anzuerkennen, daß er an den nuklearen Betonköpfen in Regierung und Atomwirtschaft gescheitert ist – und nicht etwa an der Mehrheit seiner eigenen Partei.

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, wo die wirklichen Skandalbrüder und -schwestern in der energiepolitischen Debatte sitzen, dann haben Bundesregierung und die vornehmlich im Süden der Republik angesiedelten Hardliner unter den Strombossen ihn in den vergangenen Wochen geliefert. Bemerkt hat es niemand. In der Vergangenheit empörte sich regelmäßig die halbe Nation, wenn die Bundesregierung die Kohlekumpel an Rhein, Ruhr und Saar in Geiselhaft nahm für die Ausstiegspolitik der SPD. Nach dem Motto: Weitere Kohlesubventionen nur gegen ein Einknicken der SPD in der Atomfrage. Die offene Erpressung starb einen stillen Tod, als sie im NRW-Wahlkampf auf ihre Urheber zurückzufallen drohte. Im März einigten sich die Kontrahenten über die Weiterführung der Milliardenhilfen.

Ohne Zögern knüpften Bundesregierung und Atomlobby ein neues Junktim. Nur geht es nicht länger um die zu Recht umstrittenen Kohlemilliarden, sondern um die Energiezukunft schlechthin. Ohne Einigung in der Atomfrage werde es auch auf dem Feld von Energieeinsparung und erneuerbaren Energien keine Fortschritte geben, verkündete der Chef des Bayernwerks im Mai. Und freute sich über harmonischen Gleichklang mit der Bundesregierung. Offen wie nie zuvor bekennt man sich zur Blockade jener Energiesektoren, über die ein umfassender gesellschaftlicher Konsens seit mehr als zehn Jahren besteht. Ein Zufall ist das nicht. Denn schließlich sollen Erfolge bei der Einsparung und beim Einsatz erneuerbarer Energien die Atomenergie schrittweise ersetzen. Die Bundesregierung will beides – oder eben gar nichts. Gerhard Schröder muß das zur Kenntnis nehmen. Und die Konsequenzen ziehen. Ein besserer Zeitpunkt dafür wird sich nicht finden. Gerd Rosenkranz