■ Siegeszug des Shell-Boykotts:
: Ein Volk, ein Meer, ein Bohrturm

Wahrscheinlich wäre es das Vernünftigste, die „Brent Spar“ an Land zu schleppen und dort zu verschrotten. Diesen schlichten Umstand zu einem Glaubenssatz stilisiert zu haben ist das Verdienst eines großen Teils der deutschen Bevölkerung und ihrer politischen Klasse. Die gegenwärtige Volksbewegung für eine saubere Umweltverschmutzung – wenn man die Luft schon mit Autoabgasen verpestet, soll wenigstens das Meer sauber bleiben – hat dem alten Sinnspruch, nach dem am deutschen Wesen die Welt genesen solle, neuen Sinn verliehen.

Im Eifer gegen den Multi mit der Muschel wächst zusammen, was sonst nicht zusammengehört. So wie es in anderen Ländern einmal einen Verfassungsbogen gab, gibt es in Deutschland jetzt einen ökologischen Bogen, der von den Autonomen bis zur CSU reicht. Kanzler und Finanzminister, die üblicherweise jede Geschwindigkeitsbegrenzung für einen Anschlag auf das Schicksal des Standortes Deutschland halten, zürnen wie weiland Jutta Ditfurth und ernten politischen Mehrwert dort, wo ihre grünen Parlamentskollegen gesät haben. Zu gerne wüßte man, wie differenziert die gleichen Personen urteilten, entsorgte eine deutsche Firma auf den Meeresboden.

Auch die innere Einheit des neuvereinten Deutschlands wird im Widerstand gegen Shell gestählt. Zumal die mit einem westdeutschen Oberbürgermeister beglückte ostdeutsche Stadt Leipzig sich an die Spitze einer Boykottbewegung gesetzt hat, die vor dem Eingriff in die Marktfreiheit ihrer Angestellten nicht scheut. Sogar die Evangelischen, denen das Sterben in Bosnien auf ihrem Kirchentag nur ein Thema unter vielen war, haben ihr rettendes Feindbild gefunden und sich damit gerade noch vor dem Sturz in die Postmoderne bewahrt. Ein Lehrstück über den Nutzen des Teufels für das fromme Gemüt.

Im übrigen, konsequente Ökologen! Da die „Brent Spar“ zur Hälfte der Firma Esso gehört, wären auch die mit dem Tiger zu boykottieren; nähme man zudem zur Kenntnis, daß auch Bohrinseln anderer Firmen das Meer verschmutzen, so müßte die Luft über Deutschland im Nu von Autoabgasen frei und nur noch von Schwarz- und insbesondere Braunkohle- Emissionen belastet sein.

Überhaupt hat man den Eindruck, daß der Rechtsdenker Carl Schmitt einmal mehr das letzte Wort behält und wir nur Zeugen jener Auseinandersetzung sind, deren letzte Runde zum Nachsehen der landverbundenen Deutschen an die englischen Seeschäumer ging: „Die Weltgeschichte“, so der Alte aus Plettenberg, Marx variierend, „ist eine Geschichte des Kampfes von Seemächten gegen Landmächte und von Landmächten gegen Seemächte.“ Und mal ganz ehrlich: Würden wir, die wir der bosnischen Luft strikt jeden deutschen Tornado vorenthalten, es in unseren geheimsten Träumen nicht ganz gerne sehen, daß unsere blauen Jungs die grünen Jungs von Peace vor den Wasserkanonen der Briten retten? Micha Brumlik

lehrt in Heidelberg, lebt in Frankfurt