„ER hat das eben so mit dem Verhüllen“

■ 1.200 schlechtbezahlte, aber meist christobegeisterte Hilfskräfte, in der Mehrzahl Schüler und Studenten, kümmern sich in den Tagen der Kunstaktion um die Schaulustigen

Jürgen hat lange Haare und ist wütend. Eigentlich hatte der Student als einer von 1.200 „Monitoren“ an Christos Reichstagsverhüllung mitarbeiten wollen. Nachdem er sich beworben hatte, verging ihm dann die Lust. Die Arbeitsbedingungen, unter denen die Helfer rund um die Uhr am Reichstag stehen, die Polypropylenplanen vor etwaigen Farbeierattentaten beschützen und wißbegierigen Besuchern Auskunft erteilen sollen, seien das Letzte, beschwert sich der Ostberliner in einem Café am ehemaligen Checkpoint Charlie. Der Bruttostundenlohn von 11 Mark sei ja noch akzeptabel gewesen, den Monitoren wird allerdings nur ein Nettolohn von 8,67 Mark (so die Angabe der „Verhüllter Reichstag GmbH“) ausgezahlt.

Die Reichstagsverhüller haben es sich einfach gemacht. Statt jemanden für die Bearbeitung der Lohnsteuerkarten anzustellen, wird die gesamte Steuer pauschal und unwiederbringlich an die zuständigen Finanzämter abgeführt, obgleich die meisten der Monitore – Studenten und Schüler – vom Jahreseinkommen unter der Besteuerungsgrenze liegen, also eigentlich keine Steuern bezahlen müßten. „250.000 Mark“ würden die Reichstagsverhüller so in „Waigels schwarzes Loch“ schmeißen, erbost sich Jürgen.

Ein bißchen ärgern sich viele Helfer, doch man tut es ja nicht des Geldes wegen und ist vor allem stolz darauf, dabeizusein. Viele hätten's auch umsonst gemacht. Gerade für Nichtberliner sind die 18 Tage, an denen sie am Reichstag stehen, Ferien und eine interessante Möglichkeit, allerlei nette Bekanntschaften in der spröden Stadt zu schließen.

Auf Christo und JC, denen die Bezahlung der Monitore vermutlich ziemlich egal ist, läßt ohnehin kaum einer was kommen. Die seien supernett und überhaupt nicht eingebildet. Man könne die sogar anfassen! Begeistert erzählt eine junge Frau, wie der Meister vorhin in seinem silberblaugrauen Ford vorbeigefahren sei. Hinten habe er im Auto gesessen und gewinkt und sich gefreut wie ein Kind.

Entgegen allen Befürchtungen sehen die Monitore ganz normal aus. Nicht nur junge und schöne, sondern dicke, dünne, junge, alte, selbst Bartträger verteilen in ärmellosen „Wrapped-Reichstag“- T-Shirts Infomaterial und beantworten freundlich die gängigen Besucherfragen: Was das denn solle, woher das Geld komme, ob noch was passiere heute, wann es endlich weitergehe oder ob JC und Christo verheiratet seien. Ein älterer Herr fragt, ob die Monitore gegen die Reichstagsverhüllung demonstrieren würden. Hundert aufgeregte Journalisten bemühen sich um ein Interview mit Vincent, dem prominentesten aller Monitore, der zwar nur entfernt, doch werbewirksam mit dem angeblichen Reichstagsbrandstifter van der Lubbe verwandt ist.

Im sonntäglichen Regen stehen die Monitore in hauchdünnen kapuzenlosen Capes. Die meisten finden die weißen Schirmmützen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hat, eher „bescheuert“ und haben sie weggeschmissen. Gruppenleiter tragen kleine Walkie-talkies. Theoretisch könne sie damit sogar Christo erreichen, sagt eine, die nicht so genau weiß, weshalb man sie zur Fähnleinführerin gemacht hat. Statt der Stimme des Herrn hört man im Walkie-talkie jedoch nur einen anderen Fähnleinführer, der fragt, wie man irgendwelche Saxophonspieler wegkriegen könne, die „ganz scheußliche Musik“ machen würden.

Neben gräßlichen Saxophonisten und blöden Pantomimen gibt es auch einen Künstler, der, quasi als Antimonitor, im goldglänzenden Hemd mit der Aufschrift „das ist kein Kunstwerk“ (aber eine Pfeife ist es auch nicht) gegen die Reichstagsverhüllung demonstriert. Für Martin von Ostrowski handelt es sich bei der Verhüllung um eine verachtenswerte „Verkitschung“. Ein christobegeisterter Zuschauer wirft ein, daß auch Ostrowski von Christo als Teil seines Kunstwerks eingeplant worden sei.

Ein begeisterter Monitor erzählt verschwörerisch, daß Jeanne- Claude und Christo am Mittwoch morgen zwischen fünf und sechs eine Autogrammstunde geben würden. Befragt nach den Intentionen des Meisters, meint eine unpathetisch: „ER erzählt dies und das und kommt nicht so richtig mit der Sprache raus. ER hat das eben so mit dem Verhüllen.“ Detlef Kuhlbrodt, Berlin