Empfängnisverhütung ist nur eine Nebenwirkung

■ Im Streit um das Aknemittel „Diane“ sucht Schering jetzt Hilfe beim Kadi

Im vergangenen Sommer kamen zwei langjährige Bestseller unter den Hormonpräparaten des Pillenkonzerns Schering in Verruf – die antiandrogenen Medikamente Diane und Androcur. Deren Wirkstoff Cyproteronacetat (CPA), der im Körper zur Verdrängung der männlichen Hormone führt, steht nach Veröffentlichungen zweier renommierter Institute, des Forschungszentrums GSF in Oberschleißheim bei München und der Pharmakologie an der Universität in Genua, im Verdacht, Leberkrebs auszulösen. Den Stein ins Rollen brachte eine junge GSF-Doktorandin: Sie nahm für toxikologische Tests nicht wie sonst üblich männliche Rattenleberzellen, sondern weibliche – und kam dabei zu den alarmierenden Ergebnissen.

Beide Mittel – Diane und Androcur – gehören bei Schering zu den zehn meistverkauften. 1994 machten sie allein mit 469 Millionen Mark etwa zehn Prozent des gesamten Pharmaumsatzes aus. Tatsächlich kamen die Aktienkurse durch die Meldungen kurzfristig ins Trudeln, und vorübergehend gingen die Umsätze zurück. Das erklärt, weshalb das Unternehmen heftig reagierte und seither versucht, die Ergebnisse herunterzuspielen. Mittlerweile ist zwar der Kurswert der Schering- Aktien wieder gestiegen und die öffentliche Debatte abgeebbt – der Streit um den Wirkstoff CPA geht jedoch weiter: Ende März hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Berlin die Anwendungsgebiete für Androcur und Diane erheblich eingeschränkt und verlangt, daß die Angaben über Nebenwirkungen und Risiken in Packungsbeilage und Fachinformation geändert werden. Die Maßnahmen werden ab 1. Juli wirksam. Ziel der Behörde ist es, „die Anwendungshäufigkeit auf das medizinisch unverzichtbare Maß zu reduzieren“. Außerdem sollen weitere Studien Aufschluß über die Tumorgefahr geben. Nach Angaben des Arzneimittelinstituts ist bislang ein klinischer Fall dokumentiert, in dem eine Frau nach vierzehnjähriger Einnahme von Diane im Dezember 1994 an einem Leberkarzinom verstarb.

In der Berliner Vorstandsetage herrscht seither Empörung. Die Auflagen und Forderungen der Behörde, so meint man dort, seien „medizinisch nicht gerechtfertigt“. Umgehend wurde deshalb Widerspruch eingelegt. Um den sofortigen Vollzug der Maßnahmen außer Kraft zu setzen, reichte Schering Klage beim Verwaltungsgericht ein.

Das Antiandrogen Androcur wurde seit den 70er Jahren überwiegend bei Männern als Triebdämpfer im Strafvollzug, für die Behandlung von Prostatakrebs und bei der der Diagnose „Pubertas praecox“ – Frühreife – bei Knaben verordnet. Diane gab es bis vor kurzem noch als Aknetherapeutikum mit empfängnisverhütender Wirkung auf Rezept. Diese Doppelfunktion des Arzneimittels nutzten vor allem Mädchen und junge Frauen. Wie Schering-Sprecherin Friedericke Weber-Diehl schätzt, schluckten 1993 in Deutschland 391.000 Frauen Diane.

Vergleiche mit Verkaufszahlen anderer Kontrazeptiva hält Weber-Diehl für abwegig. Schließlich sei Diane keine Antibabypille, sondern ein Medikament zur Aknebehandlung. Diese Unternehmenssicht ist neu, denn noch in einer Chronologie, die Schering anläßlich des Berliner Stadtjubiläums 1991 herausgab, findet sich unter der Jahreszahl 1978 in der Sparte „Aus Forschung, Entwicklung und Produktion“ der folgende Hinweis: „Diane, Antikonzeptivum für Frauen mit Androgenisierungserscheinungen“. Und mit exakt dieser Indikation ist die Pille Diane auch auf Platz vier der Schering- Bestseller gelandet – noch vor der ebenfalls umstrittenen Pille Femovan, die den sechsten Platz auf der Liste einnimmt.

Tatsächlich ist seit kurzem in der Packungsbeilage von Diane Verhütung nicht mehr Indikation, sondern Nebenwirkung. Im Dezember 1994 nämlich empfahl die europäische Arzneimittelbehörde CPMP in Brüssel, das Anwendungsgebiet für CPA-Präparate genauer zu fassen. Und darauf reagierte der sich gern als „ethisch“ verkaufende Berliner Hormon- Multi. Nicht mehr und nicht weniger. Nun will der Konzern offenbar die Gerichte klären lassen, was bei seinen Produkten moralisch und medizinisch vertretbar ist. Ute Sprenger