Hacker im Dienst der Gerechtigkeit

■ Vom Deadhead und Cyberspace- Cowboy: John Perry Barlow, Electronic Frontier Foundation, über die Freiheit im Datennetz

Die Texte für die Hippieband Grateful Dead hat John Perry Barlow mit der Hand geschrieben. Heute tippt er seine Aufsätze mit einem Notebook- Computer, aber ein Hippie ist er immer noch; allerdings predigt er mittlerweile nicht mehr Bewußtseinserweiterung, sondern kämpft für „Bürgerrechte im Cyberspace“. 1990 gründete er zusammen mit dem Computer-Industriellen Mitch Kapor, Besitzer der Softwarefirma Lotus, die Electronic Frontier Foundation (EFF), die sich – wie schon in „Le Monde diplomatique“ vom letzten Freitag berichtet – für die Rechte von Computer-Usern einsetzt. Die EFF hat mittlerweile 20 Mitarbeiter.

Die Stiftung will die elektronische Frontier (Grenze) im Cyberspace gegen jede Art von staatlichen Eingriffen verteidigen. Denn der Cyberspace ist für Barlow so etwas ähnliches wie der Wilde Westen ohne Indianer: Ein jungfräuliches Land, das von mutigen Siedlern urbar gemacht wird. Dabei stört die Regierung nur. Barlow kennt den mittlerweile nicht mehr ganz so Wilden Westen der USA aus eigener Erfahrung: Bis 1988 lebte er auf der Farm seiner Familie in Pindeale, Wyoming, und züchtete Rinder. Als die Farm pleite ging, begann er, sich mit Computern zu beschäftigen und entdeckte die Mailboxen – elektronische „Briefkästen“, über die Computernutzer miteinander kommunizieren können.

taz: Wie kommt ein Rinderfarmer und Songtexter dazu, sich mit Computern zu befassen?

John P. Barlow: Vor ein paar Jahren hat mich die Computerfirma Apple eingeladen, bei ihnen einen Vortrag darüber zu halten, wie man mit ihrem Macintosh- Computer Songs schreibt. Das war ein Witz, denn ich habe nie einen Song mit einem Computer geschrieben. Ich fuhr trotzdem hin und wollte ihnen was vorlügen, denn Computer interessierten mich nicht. Ich hielt sie für eine Art Spielzeug. Aber dann merkte ich, daß alle bei Apple echte Deadheads (fanatische Grateful-Dead- Fans, Anm. d. Red.) sind. Man kann Deadheads nicht anlügen. Das wäre einfach unmoralisch! Als ich zugab, daß ich noch nicht mal einen ihrer Computer hatte, haben sie mir einen geschenkt.

... den Sie für „eine Art Spielzeug“ gehalten haben.

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß man mit Computern kreativ sein oder kommunizieren kann. Dann habe ich mitbekommen, daß viele der Grateful-Dead- Fans sich per e-mail auf dem Computernetz „The Well“ verständigen. Die Deadheads sind so eine Art virtueller Gemeinde. Sie reisen in kleinen Trecks hinter den Grateful Dead her, und bei jedem Konzert sind sie dabei und verkaufen T-Shirts und Konzertmitschnitte. Sie sind eine Art sich ständig bewegender Kleinstadt, die keinen festen Ort hat – eine Art moderner Nomadenstamm.

Wieso interessierte Sie das?

Weil ich zur selben Zeit Zeuge wurde, wie diese Art von Community in den USA kaputtging. Meine Vorstellung von Community war geprägt durch Pindeale, das Nest, in dem ich aufgewachsen war. Diese Art von Kleinstadt verschwindet jetzt. Und alles, was übrigbleibt, sind Suburbs (Vororte), in denen sich niemand mehr zu Hause fühlt und es keinerlei Gemeinschaftssinn mehr gibt. Der durchschnittliche Amerikaner zieht siebzehnmal in seinem Leben um, und er landet immer wieder in diesen anonymen Vororten. Im Cyberspace hatte ich eine neue Form von Community gefunden, und als ich sie näher kennenlernte, entschloß ich mich, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um diese noch junge Gemeinschaft vor Gefahr zu schützen.

Cyberspace klingt nach Science-fiction. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Der Cyberspace ist keine Science-fiction. Er existiert, seit Graham Bell zum ersten Mal in eine Telefonmuschel gesprochen hat. Mit Cyberspace meine ich eine Welt jenseits der physischen Welt, eine Art anderer Dimension, die immer konkreter wird. Es ist die weltumfassende Sphäre, in der wir elektronisch kommunizieren, egal ob per Telefon, Fax oder Computer. Obwohl man diese Welt physisch nicht wahrnehmen kann, ist sie da und hat ununterbrochen Einfluß auf unser Leben.

Und welche Aufgaben hat dabei Ihre EFF?

Nachdem ich begonnen hatte, mit meinem Computer zu kommunizieren, lernte ich per e-mail auch diese ganzen legendären Hacker wie Acid Phreak und Fiber Optic kennen, die in den achtziger Jahren jeden Computercode knackten. Als ich zuerst von ihnen hörte, kamen sie mir wirklich nihilistisch vor, wie sie mit diesen komischen Code-Namen in dieser seltsamen neuen Welt der Computernetze herumstreiften. Darum schrieb ich in dem Computerforum „The Well“, man sollte ihnen ihre Modems wegnehmen und statt dessen ein Skateboard geben. Das war Acid Phreak zuviel: Er hackte sich in mein Bankkonto und drohte alle meine Kreditkarten ungültig zu machen, wenn ich nicht die Klappe hielte.

Und nahm so seine Bürgerrechte wahr?

Nein, nicht ganz. Ich schickte ihm e-mail: Ruf mich an. Als ich mit ihm sprach, merkte ich, daß er noch nicht mal im Stimmbruch war. Er war gerade mal fünfzehn! Ein Kind mit diesem stereotypen männlichen Bedürfnis, etwas Verbotenes zu tun, genau wie ich in diesem Alter ... Ich fand heraus, daß er eigentlich ziemlich moralisch war. Acid Phreak hätte in fünf Minuten das gesamte Telefonnetz von New York lahmlegen können, aber er tat es nicht! Ich lernte ihn und einige seiner Freunde kennen, und plötzlich kam ich mir vor wie der Fähnleinführer bei den Pfadfindern.

Aber was hat das alles mit Bürgerrechten zu tun?

1989 kam die berühmte Operation Sound Devil des FBI. Irgend jemand schickte den streng geheimen und gut verschlüsselten Steuercode für den Zentralchip des Apple-Macintosh auf dem Computernetzwerk Internet herum. Wer diesen Steuercode hat, kann das ganze Apple-System knacken. Ohne konkrete Anhaltspunkte begann das FBI ziemlich brutal, Hacker zu verhaften und ihre Wohnungen zu durchsuchen. Die Polizei hat die Schwester von Acid Phreak zwei Stunden lang mit einer Pistole in Schach gehalten, während sie darauf warteten, daß ihr Bruder nach Hause kam! (Acid Phreak, bürgerlicher Name Mark Abene, wurde wegen Datendiebstahls verklagt und kam erst Anfang des Jahres wieder aus dem Gefängnis, Anm. d. Red.) Ich selbst bekam auch Besuch von einem Agenten namens Baxter. Der wußte nicht, was ein Macintosh war, der wußte noch nicht mal, was ein Chip war! Ich mag es absolut nicht, wenn Männer keine Ahnung haben und bewaffnet sind. Darum habe ich mit Mitch Kapor, dem Gründer der Software-Firma Lotus, Geld gesammelt, um eine Support-group zu gründen.

Um Hacker zu verteidigen, die Kreditkarten sperren?

Was die Hacker machten, betrachtete ich als Erforschung eines neuen Terrains, nicht als Verbrechen.

Und wie haben Sie sich deren Verteidigung vorgestellt?

Ursprünglich dachten wir, man müßte bloß die Idee in Umlauf bringen, daß das First Amendment, in dem den Amerikanern „Freedom of Speech“ garantiert wird, nicht bloß für das gesprochene und gedruckte Wort gilt, sondern auch für Bits und Bytes. Wir dachten uns, wir nehmen uns einen guten Anwalt und verklagen das FBI wegen Verletzung der Meinungsfreiheit und der Privatsphäre der Hacker, deren Computeroperationen sie beobachtet hatten. Wir haben einige Prozesse angefangen und etwas Publicity bekommen.

Sie sind nie auf die Idee gekommen, daß die Gesetze der USA für globale Computernetze wie das Internet nicht gelten könnten?

Nein! Verrückt, nicht? Aber Al Gore hat das bis heute nicht begriffen! Die US-Regierung denkt, Cyberspace ist so was ähnliches wie der Panamakanal: Wir haben ihn gebaut, also gehört er uns auch.

Dagegen kämpft die EFF?

Ich vergleiche die EFF gerne mit Moses, als er mit den Israeliten durch das Rote Meer floh. Er mußte ihnen genug Vertrauen einflößen, damit sie in diese furchteinflößende See gingen. Und er mußte die Armee des Pharao abhalten, ihnen zu folgen. Genau dasselbe tun wir: Einerseits versuchen wir, denjenigen, die sich in den Cyberspace wagen, Vertrauen zu vermitteln. Und gleichzeitig versuchen wir, jedwede Form von Regierung und Gesetzgeber zurückzudrängen, die versuchen, sich in unserem Territorium einzumischen.

Trotzdem scheinen auch die Clinton-Administration und Unternehmen wie Time Warner, Bertelsmann oder Sony große Hoffnung in den Daten-Highway zu setzen. Nicht umsonst gibt es Großversuche mit interaktivem Fernsehen in den USA, zum Beispiel in Orlando.

Menschen kommunizieren miteinander, weil sie nach Gemeinschaft suchen. Ich glaube, daß uns die größte Veränderung in der Geschichte der Menschheit seit der Entdeckung des Feuers bevorsteht. Und ein Aspekt dieses Wandels wird das Verschwinden von Großunternehmen und Regierungen sein, wie wir sie heute kennen. Nicht wir tun das, sondern die Technologie.

Und wie wird es dazu kommen?

Es wird zum Beispiel bald unmöglich werden, einen Staat zu finanzieren, weil man keine Steuern mehr erheben kann. Geld wird schon heute zum größten Teil zwischen Computern hin und her bewegt. Wenn man die Transfers elektronisch verschlüsselt, wie soll der Staat dann dein Einkommen ermitteln?

Indem er Gesetze gegen diese Art von Verschlüsselung macht!

Nein. Gesetze entstehen viel zu langsam. So langsame Prozesse gibt es sonst nur in der Geologie. Die Legislative ist der Technologie inzwischen um Jahrzehnte hinterher. Ich glaube, daß die Entwicklung des Cyberspace für Großorganisationen wie Staaten, Unternehmen oder Religionen so tödlich sein wird wie für die Dinosaurier dieser Asteroid, der ihr Aussterben verursacht hat. Der Grund ist, daß sie sich nicht an diese neue Umgebung anpassen können. Wenn man in großen Unternehmen e-mail einführt, machen die Angestellten alles mögliche damit, bloß nicht arbeiten. Die ganze Organisation löst sich auf.

Zur Zeit sitzt die Electronic Frontier Foundation aber wie jede stinknormale Lobbygruppe in Washington.

Auch wenn man glaubt, daß es bald keine Regierung mehr gibt, muß man sich mit ihr herumschlagen, solange sie noch am Ruder ist. Außerdem arbeiten wir in mancher Hinsicht tatsächlich wie eine normale Lobbygruppe. Dabei werden wir finanziell von Computerfirmen wie Apple, Microsoft oder IBM, aber auch Stiftungen und Spendern unterstützt.

Das ist etwas widersprüchlich: Mit den Mitteln von Computerriesen für Bürgerrechte im Cyberspace zu kämpfen?

Wir dachten zuerst auch, daß wir so gut vernetzt seien, daß wir gar keine Organisation brauchten und alles mit unseren Notebooks erledigen könnten. Mitch und ich hassen jede Form von Organisation. Wir haben uns das so vorgestellt wie im Wilden Westen: Ein paar ehrliche Kerle kommen in irgendein gottverlassenes Kaff und räumen mal kräftig auf. Das war ziemlich arrogant.

Aber auch im Cyberspace gibt es Verbrechen und andere Dinge, die durch Gesetze geregelt werden müssen, etwa die sexuellen Belästigungen von Frauen im Internet!

Aber es gibt doch Strafen für so was: Man kann aus einer Diskussion ausgeschlossen werden oder ganz aus dem Netz fliegen. Dafür brauchen wir keine Gesetze, sondern bloß einen gemeinsamen Ethos. Und ich komme nun zufällig aus einer Community, wo es so einen Ethos noch gibt. In Wyoming sind Gesetze eine verhältnismäßig junge Sache, und sie werden längst nicht von jedem respektiert. Trotzdem ist meine Haustür nie abgeschlossen, weil ich keine Angst habe, daß jemand etwas stiehlt. Zuerst waren Gesetze nicht mehr als eine Niederschrift von ethischen Grundsätzen, die von allen geteilt wurden. Das Problem mit Gesetzen ist bloß, daß sie wie alle natürlichen Systeme immer komplexer werden und ein Eigenleben entwickeln, das nichts mehr mit der Unterscheidung von Gut und Böse zu tun hat. Ich glaube, daß die Leute so lange unter einem Gesetz gelebt haben, daß sie keinen Ethos mehr haben.

Und in Computernetzwerken ist das anders?

Die Netz-Bewohner glauben an Libertinismus und an Laisser-faire. Was sie alle gemeinsam haben, ist ein Riesenmißtrauen gegenüber jeglicher Form. Interview: Tilmann Baumgärtel