Kraft von SPD und Grünen bündeln

■ Bausenator Nagel (SPD) will eine rot-grüne Koalition / Das Entscheidende sind nicht Wahlprogramme, sondern ist die Hoffnung auf ihre Verwirklichung / Finanzkrise ist mit Grünen besser lösbar als mit...

taz: Herr Nagel, auch wenn niemand weiß, wie die Wahlen am 22. Oktober ausgehen, ein Ergebnis ist heute schon klar: Die SPD wird mit der CDU oder den Bündnisgrünen eine Koalition bilden müssen. Doch auf dem Parteitag am Wochenende wurde eine klare Koalitionsaussage vermieden. Besteht angesichts dieser Unklarheit die Gefahr, daß ein Teil der SPD- Wähler zu Hause bleiben wird?

Wolfgang Nagel: Es besteht die Gefahr, daß diese Wahlen von einer Mehrheit der Bevölkerung als höchst uninteressant angesehen werden, wenn wir nicht die Stimmung für einen Wechsel erzeugen. Die zentrale Frage ist doch, wie man die Menschen wieder motiviert, sich zu engagieren. Das aber hat etwas mit den Chancen und Veränderungsmöglichkeiten zu tun, die die Politik im Vorfeld von Wahlen signalisiert. Wenn man sagt, weiter so, wenn man von vornherein den Eindruck erweckt, eine Große Koalition fortsetzen zu wollen, dann trägt dies nicht dazu bei, einen Impuls zu setzen.

Wie sieht solch ein Impuls aus?

Im Augenblick begreifen die Menschen in dieser Stadt, daß es eine Chance gibt, diese Koalition ohne Hilfe der PDS zu überwinden. Die Aufgabe der SPD ist jetzt, den Wechsel zu signalisieren. Mit den Grünen. Allerdings muß sich die Partei selbst und den Grünen Bedingungen setzen. Die wichtigste Voraussetzung ist, daß die SPD genügend Stimmen erhält, um zu Recht den Führungsanspruch zu stellen. Wenn wir hinter die Ergebnisse der Bundestags- und Europawahlen zurückfielen und die Grünen in gleichem Maße zunähmen, dann wären das schlechte Voraussetzungen für ein gesellschaftspolitisch notwendiges Reformbündnis.

Frau Stahmer hält den Wechsel für möglich. Diese Aussage genügt Ihnen nicht?

Aus der Position der Spitzenkandidatin heraus ist diese Formulierung klug. Ob dies ausreicht, die Wähler zu motivieren, ist in erster Linie eine Frage der Partei. Die Partei kann im Einklang mit den Aussagen von Ingrid Stahmer deutlich machen, daß sie den Wechsel will. Wir haben am Wochenende das Wahlprogramm mit einer Vielzahl von Detailpunkten beraten. Das Entscheidende sind aber nicht die darin enthaltenen programmatischen Aussagen, sondern ist die Hoffnung auf ihre Verwirklichung. Eine Veränderung in der Politik ist aber nur mit einer starken Reformkraft möglich. Und deshalb müssen wir die Reformkräfte der Sozialdemokraten und der Grünen bündeln. Die Große Koalition ist derzeit nur noch dabei, den politischen Status quo zu verwalten.

Was ließe sich mit den Bündnisgrünen durchsetzen?

Die Große Koalition ist in entscheidenden existentiellen Fragen heute auf dem Stand von 1990. In der Umweltpolitik bewegt sich nichts. Nicht mit der CDU, aber mit den Grünen ließe sich eine bessere Verkehrspolitik machen und könnten ökologische Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung gesetzt werden. Ich bin nach fünf Jahren Großer Koalition soweit, zu sagen, daß auch die schwierige Finanzlage Berlins sich mit einer Frau Schreyer und einem Wolfgang Wieland eher lösen läßt als mit einem Klaus Landowsky und einem Volker Liepelt. Heute zeigen die Grünen mehr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Landeshaushalt als große Teile der CDU. Die Landowskys und Liepelts wollen doch in gewohntem Westberliner Populismus allen alles versprechen. Wie etwa damals beim Schiller Theater.

Gibt es Themen außer Verkehr, Umwelt und Finanzen, bei denen Sie sich auf eine Zusammenarbeit mit den Grünen freuen würden?

In der Baupolitik betrifft das ganz besonders die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus. Aber neben den fachlichen Aspekten geht es um die Hoffnung auf Veränderung. Wir stellen doch trotz Hauptstadtwerdung und enormer Herausforderung fest, daß das Interesse an Politik in der Bevölkerung zurückgegangen ist. „Mehltau“ hat Harry Ristock das genannt.

Woher nehmen Sie die Gewißheit, daß bei einer Aussage für Rot-Grün die SPD gute Ergebnisse erzielen würde?

Wenn ich es offenlasse, ob die Summe der Stimmen für die SPD und die Grünen eine Mehrheit ergibt, dann sagen die Menschen doch, dann kann ich gleich Grün wählen. Nur wenn die SPD den Führungsanspruch stellen kann, kräftig zulegt und stärker wird als die CDU, können wir den Menschen deutlich machen, warum es lohnt, zur Wahl zur gehen.

Sie waren 1989 Senator unter Rot-Grün. Damals gab es vor den Wahlen Aufbruchstimmung, heute nicht. Ist das der Grund gegen eine klare Koalitionsaussage?

1989 und 1990 gab es keine gesellschaftliche Mehrheit für Rot- Grün. Es gab aber Neugier und Aufbruchstimmung. Und wenn wir nicht entscheidende Fehler gemacht hätten, dann wären wir auf dem Weg zu einer gesellschaftlichen Mehrheit erfolgreich gewesen. Trotzdem hat sich etwas Wichtiges verändert: Die Angst vor Rot-Grün, die es damals auch in weiten Teilen der Westberliner Bevölkerung gab, ist erheblich zurückgegangen. Die Diskussion über Schwarz-Grün, die positiven Beispiele der Zusammenarbeit in Niedersachsen, in Hessen und die Gespräche in Nordrhein-Westfalen sind Rückenwind für ein neues Reformbündnis hier. Landowskys Trick aus der Mottenkiste vom rot- grünen Chaos wird nicht mehr erfolgreich sein.

Dennoch kommt in der SPD keine Stimmung für Rot-Grün auf. Ein Teil der Partei und auch der Fraktion fühlt sich in der Großen Koalition wohl. Dieser ist zufrieden mit konservativer Innenpolitik und einer Verkehrspolitik, die sich in Straßenbau und Untertunnelungen erschöpft. Gibt es für Sie, Herr Nagel, dennoch keinen einzigen Grund mehr, mit der CDU weiterzumachen?

Es gibt natürlich Themen, die man mit der CDU abarbeiten kann. Die wären aber in gleicher Weise auch mit einem anderen Koalitionspartner zu erledigen. Die größten Probleme haben meine Partei und ich mit der Frage, ob mit den Grünen zuverlässig und seriös Politik gemacht werden kann. Für die Mehrheit der Berliner ist die Glaubwürdigkeit einer Koalition wichtig. Das hat auch etwas mit Vertrauen zu tun.

Sie haben Angst, die Grünen könnten unzuverlässiger sein als die CDU?

Das Problem dürfte sein, ob sich bei den Grünen diejenigen durchsetzen, die regierungsfähig sind und nicht mit der PDS liebäugeln.

Wenn Sie die finanzpolitische Qualifikation der Grünen schätzen, heißt das, Sie stellen die Havelstadt zur Disposition? Die Bündnisgrünen wollen das Projekt kippen.

Ich halte nichts davon, im Vorfeld über einzelne Wohnungsbauprojekte zu sprechen. Ob das nun die Wasserstadt Oberhavel, ein Erholungspark oder die Rummelsburger Bucht ist. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Frau Klotz, scheint mir vor allem in einem Punkt überzeugend. Sie äußert sich nämlich zu Projekten zurückhaltend, von denen sie nicht weiß, was eine Streichung finanziell bedeutet. Selbst bei der Frage des Autotunnels unter dem Tiergarten. Denn auch Frau Klotz fürchtet, daß die Deutsche Bahn enorme Entschädigungen fordern könnte. Unser Ziel ist, daß in dieser Stadt wieder wesentlich mehr politische Innovationen möglich sind. In einer Großen Koalition ist es doch so: Entweder teilen sich die Partner ihre Kompetenzen so auf, daß sie sich diese nicht gegenseitig streitig machen und Langeweile ausbricht. Oder aber man verständigt sich im Sinne eines Proporzes, bei dem man die eigentlichen Existenzfragen ausklammert. Und man sucht Ersatzkonflikte, die von dieser Langeweile ablenken sollen, wie etwa den Streit um das Grillen im Tiergarten oder um das Brandenburger Tor.

Eine ganz andere Frage: Die Zahl der Senatoren reduziert sich in der kommenden Legislaturperiode auf zehn. Bei Rot-Grün müßte keiner der jetzigen SPD-Senatoren gehen, bei einer Fortsetzung der Großen Koalition mindestens einer. Wollen Sie derjenige sein?

Schreiben Sie: „Nagel lacht.“! Interview: Dirk Wildt