Village Voice
: Fürs Fünf-Uhr-Teegedeck

■ Unterhaltsames von Das zuckende Vakuum und Goldstoned

Es bedarf einer gehörigen Portion Mut, eine Platte aufzunehmen, die aller Voraussicht nach keine Käufer finden wird. „Das zuckende Vakuum“ hat es probiert, dabei herausgekommen ist „Kain's Ohr“. Kann man eine Band ernstnehmen, deren virtuoser Schlagzeuger den äußerst originellen Künstlernamen „Ricky Nirvana“ trägt, deren Leadsängerin sich „Toni Vakuum“ nennt? In diesem besonderen Fall bleibt wenig anderes übrig. Zwanzig Stücke, die mit einer Chockfrequenz von 10 cpm selbst abgehärtete Neugiergige an den Rand der Verzweiflung bringen, decken in einem Rundumschlag fast alle denkbaren Genres ab. Groovende Baßläufe und ein permanent zwischen Rockstandards und Hardcore- Beats abwechselndes Schlagzeug treffen, um die Verwirrung komplett zu machen, auf eine Gitarre, die in ihrem früheren Leben Eintänzerin auf den „Headbanger's Ball“ gewesen zu sein scheint. Das erscheint vielleicht originell, aber nicht unbedingt innovativ. Was dieses Album allerdings völlig aus der Masse der übrigen Produktionen im weiten Crossover-Feld heraushebt, ist (neben der soundtechnisch akkuraten Neuabmischung) der mehr als nur Björk-verdächtige Gesang von Toni Vakuum. Er/Sie läßt nach den ersten sieben stimmlich akrobatischen Tracks 31 Sekunden lang die Opernausbildung durchklingen. Die ersten Takte der Arie aus „Carmen“ brechen dann mit einem jähen Gelächter an, das irgendwo zwischen Irrsinn und Ironie verschwindet. Keine zwanzig Sekunden später lädt das Schlagzeug zu Moshen und Stagediving ein. Gäbe es diese Platte noch nicht, wäre es keine schlechte Idee, sie schleunigst zu erfinden – auch, wenn zu befürchten ist, das das zuckende Vakuum aufgrund partieller Auflösung als Liveact schon Geschichte ist und die nächsten Produktionen stärker mit Sampling arbeiten werden.

Vergleichbar rauhe Brechungen sind auf Goldstoneds bzw. Patrick Goldsteins zweitem Album „Homerun“ nirgendwo zu entdecken. Obwohl magere 6.000 Mark und ein Vierspurgerät in Wohnzimmer und Bad ausreichten, um in einjähriger Heimarbeit dieses kleine Meisterwerk zu vollenden, wäre der Bezug zur Lo-Fi-Szene unangebracht. Goldstein hat trotz seiner Sympathie für die Cleaners from Venus mit Bands wie den Mountain Goats, den Bilders oder Grandmaster Beck persönlich so viel gemeinsam wie Michael Jackson mit Ice-T, der übrigens ein Sample zu Beginn der entspannenden 69 Minuten lauthals tönt: „This is not a pop album!“ – und lügt. Die Vorstellung, daß dieses Stück nahezu klassischer Popmusik ausgerechnet im unglamourösen Tempelhof entstanden ist, irritiert fast so sehr wie die erstaunliche Eloquenz (und Eleganz) des ehemaligen OSI-Studenten, der sich von Graham Greene und Paul Auster zu seinen charmanten Hommagen an die große alte Schule britischer „Trist aber schön“- Bands inspirieren läßt. 19mal hintereinander läßt der bekennende Paul-Weller-Verehrer, der seinen Martini gewiß immer gerührt und niemals geschüttelt trinkt, zwischen Soul, Sofa und Jazz keinen Zweifel daran aufkommen, daß die souveräne Eigenproduktion „ohne zweite Meinung“ der richtige Weg war. Einziger Vermouth-Tropfen in diesem aparten Cocktail mit einem Schuß Melancholie und Originalkirsche aus den Achtzigern: Goldstoned wird es nicht live zu sehen geben. So wird man mit der für den Herbst angekündigten „Caroline Now!“-Tour (Patrick Goldstein plus Pianobegleitung) vorlieb nehmen müssen. Für die bis dahin zu erwartenden Regenwochenenden kann die kleine Silberscheibe aus dem Hause Pat Sounds neben dem Fünf-Uhr-Teegedeck von großem Nutzen sein. Gunnar Lützow

Das zuckende Vakuum – Kain's Ohr (Goldrausch Tonträger)

Goldstoned – Homerun (Pat Sounds)