Gut gemeint ist nicht gut genug

Nur bei einer im Einzelfall beweisbaren Ungerechtigkeit, so das Oberste Gericht der USA, darf der Staat Minderheiten gezielt bevorzugen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Randy Pech verdient seinen Lebensunterhalt, indem er Autobahnplanken installiert. In Anbetracht der Länge des US-Straßennetzes möchte man meinen, daß der Mann ein gutes Auskommen hat. Doch 1989 fand Randy Pech Grund zur Klage – im wörtlichen wie im juristischen Sinn. Seiner Firma „Adarand“ ging ein Auftrag durch die Lappen, auf einer Straße in Colorado Sicherheitsplanken anzubringen. Das vom Verkehrsministerium beauftragte Straßenbauunternehmen brachte die Konkurrenzfirma „Gonzalez Construction“ ins Geschäft – obwohl die einen höheren Kostenvoranschlag lieferte. Wie der Name bereits erahnen läßt, gehört der Inhaber von „Gonzalez Construction“ der hispanischen Minderheit an – und Firmen, deren Inhaber Minderheiten angehören, müssen laut Haushaltsgesetz zehn Prozent der veranschlagten staatlichen Ausgaben für das Transportwesen in Form von Aufträgen erhalten. Das wird mit Anreizen erreicht: Der Hauptauftraggeber in Colorado erhielt vom Minsterium 10.000 Dollar dafür, daß er der „Gonzalez Construction Company“ den Vorzug gab. Randy Pech fand dies nicht nur marktwirtschaftlich idiotisch. Er fühlte sich als Weißer diskriminiert – und klagte durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof der USA.

Der entschied nun am Montag mit fünf gegen vier Stimmen, daß der Bundesstaat nunmehr weitaus strengere Kriterien anlegen muß, um auf Basis der Hautfarbe oder der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit Aufträge, Arbeits- und Studienplätze vergeben zu können. Solche Programme, so schrieb Richterin Sandra Day O'Connor für die Mehrheit, befänden sich nur dann im Einklang mit der US-Verfassung, wenn sie „eng zugeschnitten“ der Erfüllung eines „zwingenden staatlichen Interesses dienen“.

Was ein solches Interesse ist, sagten Day O'Connor und ihre vier Kollegen zwar nicht. Doch fest steht: Will der Staat in Zukunft Diskriminierung gegen Minderheiten durch sogenannte „affirmative action“-Förderprogramme ausgleichen, muß er für diese Diskriminierung Beweise vorlegen, anstatt sie einfach stillschweigend vorauszusetzen. Auch das Motiv, Minderheiten bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen, reicht als Legitimation nicht mehr aus. Denn, so das Gericht, jede Berücksichtigung von Hautfarbe und Minderheitenstatus bei der Vergabe von Aufträgen oder Arbeitsplätzen ist schlecht – egal, ob es sich um eine „Whites Only“-Maßgabe oder um ein „affirmative action“-Programm handelt. Besonders drastisch formulierte dies ausgerechnet Clarence Thomas, der einzige afroamerikanische Richter am Obersten Gerichtshof, der aber mit seinem Kollegen Anthony Scalia den erzkonservativen Flügel repräsentiert. „Nach meiner Ansicht“, schrieb Thomas in einer eigenen Urteilsbegründung, „ist staatlich geförderte rassische Diskriminierung, die auf gut gemeinten Vorurteilen beruht, ebenso schädlich wie rassische Diskriminierung aus böswilligen Motiven.“ Der Wunsch von Thomas und Scalia, „affirmative action“-Programme insgesamt für verfassungswidrig zu erklären, fand jedoch selbst bei den drei anderen Richtern der Mehrheitsfraktion kein Echo.

Für Randy Pech ist der lange Weg durch die Instanzen damit nicht zu Ende. Denn nun muß das Bundesgericht, das unter den alten Kriterien gegen ihn geurteilt hatte, seinen Fall neu aufrollen. Auch die politische Debatte um „affirmative action“ hat sich nicht beruhigt – im Gegenteil.

„Affirmative action“, eine einst durchaus positiv gewertete Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren, löst in den USA mittlerweile ebenso heftige Reaktionen aus wie in Deutschland die Debatte um das Asyl- oder Abtreibungsrecht. Gemeint ist mit „affirmative action“ jede Maßnahme, die über das reine Verbot von Diskriminierung hinausgeht – also Fördermaßnahmen zugunsten Angehöriger in Gegenwart oder Vergangenheit diskriminierter Minderheiten, bei denen Hautfarbe, nationale Herkunft, Geschlecht oder körperliche Behinderung eine Rolle spielen. Die Praxis geht ursprünglich auf die Zeit nach dem US-Bürgerkrieg in den 1860er Jahren zurück, als die Bundesregierung die Vergabe von Land und anderer Güter unter bestimmten Bedingungen ausschließlich an Schwarze verordnete. Der Begriff „affirmative action“ selbst entstammt einem Erlaß von Präsident John F. Kennedy, mit dem er 1961 die „Kommission für Chancengleicheit auf dem Arbeitsmarkt“ einsetzte und Vertragspartner des Bundes verpflichtete, durch „affirmative Maßnahmen sicherzustellen, daß die Vergabe von Arbeitsplätzen und die Behandlung von Arbeitnehmern ohne Berücksichtigung ihrer Rasse, Abstammung, Hautfarbe oder nationalen Herkunft erfolgt.“

Daraus ist mittlerweile ein kompliziertes System von Förder- und Kontrollprogrammen entstanden. Wurden vor zehn Jahren noch 3,6 Prozent des Auftragsvolumens für Bundesinvestitionen für die ausschließliche Vergabe an „Minderheiten-Firmen“ festgelegt, so sind es im laufenden Haushalt 8,3 Prozent – umgerechnet 14,4 Milliarden Dollar. Weitgehend unbestritten ist, daß diese Programme Wirkung gezeigt und die Zusammensetzung sowohl des Arbeitsmarktes als auch der Firmenlandschaft verändert haben.

Weitgehend unbestritten ist ebenfalls, daß es an der Zeit ist, viele dieser Programme auf ihre Effektivität und Existenzberechtigung zu überprüfen. Doch im Zuge des Aufstiegs der „angry white males“, jener „wütenden weißen Männer“, die im letzten November den Republikanern unter Newt Ginrich zu einer antistaatlich geprägten Mehrheit im Kongreß verhalfen, ist um „affirmative action“ eine Ideologieschlacht im Gange, die mit dem Näherkommen der Präsidentschaftswahl von 1996 immer heftiger wird. Der republikanische Favorit für die Kandidatur, Senator Bob Dole, plant einen Gesetzesantrag zur Einschränkung von „affirmative action“. Sein innerparteilicher Konkurrent Phil Gramm will die Haushaltsschraube andrehen, um solche Programme abzuwürgen. Und Pete Wilson, derzeit noch Gouverneur in Kalifornien, will in seinem Staat sämtliche staatlichen „affirmative action“- Programme abschaffen – und unterstützt ein Volksbegehren, das ebendies zum Ziel hat. Die Berücksichtigung von Hautfarbe und Ethnie, so steht zu befürchten, wird zum entscheidenden Faktor des nächsten Wahlkampfes werden.