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: Es federt zurück

„Verkehrsgericht“, Montag, 19.25 Uhr, ZDF

Es ist nicht lange her, da schrieb Albert Camus von Menschen in der Revolte. Und man mußte absurd denken lernen. Der wahre Selbstmörder, so Camus, sei in seiner Logik gar kein Schussel, sondern ein Amokläufer. Da war viel Grübeln.

Nun aber zeigte das Fernseh- Verkehrsgericht mit seinen Experten, daß dem wirklich so ist, wegen der vielen Autos. Olaf zum Beispiel. Der Arzt im Praktikum mit dem Liebeskummer fährt die Landstraße lang. Gerade hat seine Freundin mit ihm Schluß gemacht. Nun reibt sich Olaf in seinem Kummer die Augen und schließt sie schließlich ganz. Bei siebzig Stundenkilometern. Das ist schlimm. Schon steckt er in einem Holzstapel. Aber sein Wagen federt zurück, ein entgegenkommendes Personenkraftfahrzeug muß ihm ausweichen und fährt auf ein weiteres auf. Das läßt sich weiterdenken, auch chaostheoretisch: einer für alle, alle für einen...

Nun war das Verkehrsgericht bisher nur etwas für den Liebhaber des ganz anderen Fernsehens. Der Zusammenprall von Laiendarstellern, die nervös Recht sprechen, und Schauspielern, die grandios ihr Unrecht tun, hatte immer schon das Absurde. Auch die Experten und die Petra Schürmann, der nüchterne, technisch oft schlecht gemachte Wechsel der Standbilder aus einem Amtsgericht hatte den Trash. Doch nun, stofflich betrachtet, muß man schon sagen: Diese bisherigen Alkoholiker mit ihren schlechten Windschutzscheibenwischern reichten nie an das tragisch Kollidierende eines Olaf heran. Und damit nicht genug. Die Frau Staatsanwältin fragte in ihrem Plädoyer, ob man denn überhaupt davon ausgehen könne, daß der junge Mann „in Zukunft seine Selbstmordversuche so ausgestalten“ werde, „daß keine anderen Verkehrsteilnehmer daran Schaden nehmen können“. Das mochte man erst noch herzlos und dialogisch sehr bedenklich nennen. Aber auch der Richter fragte Olaf, ob weiterhin mit „Selbstmordversuchen gleicher Art und Güte“ zu rechnen sei. Da kannte das Grauen keine Grenzen mehr. Denn was uns da das Fernsehgericht in der Grammatik seiner Fragen lehrt, das ist der kühne Analogiesprung über Camus hinweg: der Amoklauf als Verkehrssünde – der Massenmord als Ordnungswidrigkeit. Das war in seinem Thrill dann doch erstaunlich. Und auch misanthropisch und das alles. Marcus Hertneck