■ Trotz Berlusconis Erfolg – die Medien bringen's nicht
: Wer hat Angst vor der Mediokratie?

Die 57 Prozent Neinstimmen bei den drei Volksbefragungen zur Reduzierung des Fernseh-Privatmonopols in Italien rufen natürlich bei der Linken und auch im Ausland besorgte Reaktionen hervor: Zeigt sich nicht hier eine direkte Frucht der Konzentration des wichtigsten Informationsmediums in einer Hand? Tatsächlich hatten Berlusconis Sender mit einem wochenlangen Trommelfeuer gegen die Ansinnen der Referendums- Promoter nahezu jede demokratische Regel verletzt und auch geltendes Recht reihenweise gebrochen. In den Sendern Berlusconis, die nahezu die Hälfte aller Einschaltquoten registrieren, kamen die Referendumsbefürworter insgesamt gerade mal 13 Minuten zu Wort, die Gegner mehr als 300 Minuten. Von daher ist verständlich, daß viele nach diesem Ergebnis noch mehr von der Möglichkeit einer Diktatur der Medieneigner sprechen.

Dennoch, auch wenn's zunächst etwas abstrus erscheint: diese Referenden belegen eher das Gegenteil; und noch fraglicher wird die Möglichkeit einer solchen Herrschaft, wenn man die Entwicklung seit vorigem Jahr insgesamt sieht.

Berlusconi hatte seinen gesamten Referendums-Kampf auf die Mobilisierung seiner Anhänger konzentriert – wer die Mitte- rechts-Koalition wolle, müsse zur Abstimmung gehen, so seine Botschaft –, bei den Kommunal- und Regionalwahlen vor acht Wochen hatte er die Gründe für seine Niederlage vor allem in der für Italien (mit seiner Wahlpflicht) niedrigen Wahlbeteiligung (75 Prozent) gesehen.

Doch diese Mobilisierung ist nicht einmal annähernd gelungen – insgesamt kamen gerade knapp 58 Prozent zu den Urnen, und von diesen stimmte nun gut die Hälfte für den Erhalt des Berlusconi-Imperiums – mithin gerade mal 30 Prozent der Wahlberechtigten. Nimmt man die gut 42 Prozent, mit denen die Rechtsallianz im Frühjahr 1994 die Wahlen gewonnen hatte, hat sich gut ein Viertel von Berlusconis Bündnis abgewandt.

Es ist nicht das erstemal, daß Italiens Rechte trotz einer fast unbeschränkten Herrschaft über die Medien – einschließlich der staatlichen RAI, die Berlusconi während seiner Regierungszeit mit seinen Leuten besetzt hat – massiv an jenem Höhenflug gehindert wurde, den die Mediokratie doch eigentlich gerade ermöglichen sollte.

Die Rechte hat seit Herbst vorigen Jahres alle Wahlen verloren. Dabei waren die Voraussetzungen jeweils ganz unterschiedlich. Während bei den Voten bis Herbst 1994 Wahlpropaganda ungehindert und nach dem Recht des Reicheren (id est Berlusconi) plaziert werden konnte, war aufgrund eines Regierungsdekrets bei den Regional- und Provinzialwahlen im April und Mai 1995 in der heißen Phase des Wahlkampfs jede Medienwerbung verboten. Doch wie die Sache auch geregelt war, die Wähler wanderten weg von der Rechten.

Und dies, obwohl ihnen deren Lautsprecher in Funk und Fernsehen und auch in vielen Tageszeitungen und dem größten Wochenmagazin Panorama (es gehört Berlusconi) unentwegt einzureden versucht hatten, daß es ihnen so gut wie lange nicht gehe, daß dies der Regierung Berlusconi gutzuschreiben sei und daß lediglich Machenschaften der bösen Linken den Fortschritt hemmten. Das hielt auch noch an, als Berlusconi gestürzt war: Nun hieß es, dunkle Kräfte, die Italien übelwollen, hätten die Administration gerade ihrer Effizienz wegen ausgehebelt.

Was also hat nicht funktioniert in der von Berlusconi und seinem treuen Kompagnon Gianfranco Fini von der Nationalen Allianz auch angepeilten Mediokratie? Sicher gibt es nationale Gründe, vor allem die unstillbare Neigung zum Königsmord.

Aber ausschlaggebend ist ein „struktureller“ Grund: Man kann mit TV-Progaganda, sei sie platt oder noch so raffiniert, zwar sicher vorhandene Tendenzen und Abläufe verstärken oder herunterreden – nicht aber sie ins Gegenteil verkehren. Man kann eine halbe Million neuer Arbeitsplätze sicher zu 700.000 aufblähen, aber nicht den – real geschehenen – Abbau von 400.000 Stellen in eine Million neugeschaffener Verdienstmöglichkeiten umdeuten. Auch die trickreichste Fernsehpropaganda, der schlaueste und schlitzohrigste „Verkauf“ bürgerfeindlicher Politik klappt nicht, wenn eben niemand irgendwo einen neuen Arbeitsplatz sieht.

Dazu kommt, daß es trotz ungeheuren Geld- und Personaleinsatzes nicht gelungen ist, das für eine wendige und zur Herrschaftsstabilisierung grundwichtige Feedback so zu installieren, daß bürgerlichem Unmut bereits vor dessen flächendeckendem Ausbruch und der Organisation Unzufriedener gesteuert werden könnte. Nicht weniger als ein halbes Dutzend tagtäglich eingesetzter Demoskopie-Institute hatte zur Zeit der Regierung Berlusconi die Aufgabe, neue Versuchsballons zu testen. Mitunter wurden bestimmte heikle Dekrete geradeso wie eine Börsenspekulation abgewickelt: Sobald mehrere vorher festgelegte Faktoren gleichzeitig eintreten, wird das Dekret erlassen.

Nichts zu machen: Nahezu immer verhielten sich die Bürger anders als von den Umfragen prognostiziert – selbst wenn das Volk von jenen alleingelassen wurde, die eigentlich die Regierung kontrollieren sollten: Die Opposition und die kritische Presse. So etwa beim famosen Dekret zur Haftverschonung korrupter Politiker und Manager, das besonders umsichtig vorbereitet und zunächst auf totales Desinteresse auch der Opposition und der linken Zeitungen gestoßen war. Lediglich der Pressewinzlung la Voce hatte zum aktiven Fax-Protest aufgerufen – und plötzlich entstand der „Popolo del fax“, Hunderttauende wütender Telebriefe fegten das Dekret hinweg. Von wegen TV-höriges Stimmvieh.

Natürlich heißt das alles nicht, daß von Medienmacht in wenigen Händen keine Gefahr ausgeht. Möglicherweise steckte Berlusconis Ansatz noch allzusehr in den Kinderschuhen, und wahrscheinlich hätte sein System zum Beispiel in Deutschland besser funktioniert, wo viel mehr Menschen den TV-Bildern und dem Gedruckten glauben als in Italien. Doch die große „Chance“, wenn man so will, für eine Mediokratie, ist wohl vorbei – und zwar skurrilerweise gerade aufgrund jener Entwicklung, von der man die Gefahr eigentlich hatte herkommen sehen: der Privatisierung der elektronischen Nachrichtenübermittlung. Weil der Propaganda-Apparat die Bürger nicht mehr auf ein einziges oder jedenfalls wenige Programme verpflichten kann, kommt die Botschaft nicht mehr an. Italiens Wasserämter können es bestätigen: In der Zeit, in der Berlusconi voriges Jahr gleichzeitig immer wieder auf allen landesweit ausstrahlenden Kanälen zu sehen war, erhöhte sich der Wasserbedarf (durch Klospülung, Duschen, Händewaschen) massiv. Werner Raith