■ Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen, zum Gutachten über Gregor Gysi
: „Spezialvariante für Gysi“

Als die Gauck-Behörde Ende Mai ihr Gutachten über den PDS- Politiker Gregor Gysi dem Bonner Immunitätsausschuß vorlegte, schlugen bei den Postsozialisten die Wellen hoch. Mehr als zehn Jahre lang soll Gysi, der in der DDR prominente Regimekritiker vertrat, Informationen über Mandanten an die Stasi weitergereicht haben. Damit steht nicht nur die politische, sondern auch die anwaltliche Karriere des Bundestagsabgeordneten auf dem Spiel. Der PDS-Mann hat bisher eine inoffizielle Tätigkeit für die Stasi kategorisch ausgeschlossen. Die PDS sprach vom Versuch eines „amtlichen Rufmordes“, Gysi prozessiert gegen das Gutachten. Doch Joachim Gauck verteidigt die Expertise seiner Behörde.

taz: Herr Gauck, der Bundestagsgruppenchef der PDS, Gregor Gysi, klagt vor Gericht gegen das Gutachten Ihrer Behörde, das zu dem Ergebnis kommt, Gysi habe jahrelang Zuträgerdienste für die Staatssicherheit geleistet. Einer der Hauptvorwürfe lautet, es handele sich um ein vom Ergebnis her bestelltes Gutachten.

Joachim Gauck: Ich sehe diesem Prozeß gelassen entgegen. Der Vorwurf ist absurd. Wir haben sehr große Sorgfalt bei der Fertigung der gutachterlichen Stellungnahme aufgewendet. Wir hatten bereits vor Monaten Anlaß, uns behördenintern einen Standpunkt zu erarbeiten, nachdem ehemalige Bürgerrechtler aus ihren Akten Belege dafür gefunden haben, daß eine Person, die im MfS unter dem Namen „Notar“ oder „Gregor“ geführt wurde, Informationen an die Staatssicherheit weitergegeben hat. Diese Personen haben bei uns die Entschlüsselung der Decknamen beantragt. Wir hatten die uns von den Bürgerrechtlern vorlegten Dokumente zu würdigen, was wir zum Zeitpunkt der ersten Auskunft an den Immunitätsausschuß des Bundestages noch nicht tun konnten. In der Zwischenzeit ist auch weiteres Material aufgefunden worden, etwa das Arbeitsbuch eines MfS-Offiziers oder Quittungen, die Zuwendungen belegen. All das mußten wir zusammenbringen. Und dafür haben wir uns Zeit genommen.

Die Vorwürfe gegen Ihre Behörde heißen Manipulation und Verleumdung. PDS-Chef Lothar Bisky spricht sogar vom Versuch eines amtlichen Rufmordes.

Ich weise alle derartigen Anschuldigungen entschieden zurück. Lothar Bisky hat damit nur die Diktion von Gregor Gysi übernommen. Das verwundert mich einigermaßen, weil Bisky selbst in seiner Eigenschaft als Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses des Brandenburger Landtages in aller Regel die Arbeit dieser Behörde positiv gewürdigt hat.

Ein anderer Vorwurf lautet, im Verlauf der Erarbeitung des Gutachtens seien entlastende Aussagen bewußt weggelassen worden.

Im Verlauf der Bearbeitung eines Berichts bleibt natürlich vieles weg, manches wird knapper, manches wird deutlicher, es wird sicher auch manches eingefügt. Das ist doch vollkommen normal. Die Öffentlichkeit hat sich mit dem Endprodukt eines Gutachtens auseinanderzusetzen. Und wenn wir schon ans Erbsenzählen gehen sollen, dann sind wir auch in der Lage, darauf hinzuweisen, daß auch solche Stellen weggelassen wurden, die belastend für Gregor Gysi gewesen wären. Von Einseitigkeit kann daher keine Rede sein.

Den Vorwurf der politischen Voreingenommenheit stützt die PDS auch auf die Behauptung, ein Mitglied der CDU im Immunitätsausschuß habe im Vorfeld des Gutachtens bereits einen präjudizierenden Fragenkatalog an ihre Behörde geschickt.

Daß einzelne Abgeordnete oder Sekretäre von Ausschüssen mit unserer Behörde Kontakt aufnehmen, ist nichts Ungewöhnliches. Möglicherweise wird sich der Immunitätsausschuß seinerseits mit den Kontakten seiner Mitglieder zu dieser Behörde beschäftigen. Wir haben unsererseits die Vorwürfe geprüft und bislang nichts Kritikwürdiges an dem Verhalten unseres Mitarbeiters gegenüber einem Ausschußmitglied feststellen können.

Gregor Gysi führt an, Sie hätten in einer früheren Stellungnahme für den Immunitätsausschuß erklärt, eine inoffizielle Mitarbeit sei nicht nachzuweisen. Jetzt behaupteten Sie das Gegenteil, dabei habe sich die Aktenlage aber nicht wesentlich verändert.

Bei unserer ersten Auskunft an den Bundestag konnten wir die komplette Aktenlage nicht berücksichtigen, weil wir seinerzeit einen Teil der Information aus den Opferakten nicht heranziehen konnten. Daher stellte sich die Aktenlage für die Behörde am Anfang dieses Jahres ganz anders dar. Die Gesamtschau aller vorhandenen Materialien hat uns erlaubt, einen Schritt weiterzugehen.

Gregor Gysi bestreitet vehement, inoffiziell mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet zu haben. Sie kommen zum gegenteiligen Ergebnis. Die von Ihrer Behörde dafür angeführten Belege sind gleichwohl nicht gerade zahlreich.

Ich kann hier in keine detaillierte Debatte über das Gutachten einsteigen. Wir haben das Gutachten im Auftrag des Immunitätsausschusses angefertigt. Meines Erachtens sollten Stellungnahmen dazu von daher zuerst einmal aus den Reihen des Ausschusses kommen. Ich kann nicht öffentlich über die Details des Gutachtens referieren. Wenn aber darauf abgehoben wird, daß wir nicht – wie in anderen Fällen – über eine förmliche IM- Akte oder über eine förmliche Verpflichtungserklärung verfügen, so ist das richtig. Das MfS hat die Zusammenarbeit mit Gysi offensichtlich nicht wie die mit einem gewöhnlichen IM gestaltet. Genau dies haben wir dargestellt. Es war ein Arbeitskontakt, der nicht nur die besonderen Möglichkeiten, sondern auch die besonderen Qualitäten dieses Mannes berücksichtigt hat. Die Staatssicherheit hatte gegenüber Gregor Gysi eine intelligente Strategie entwickelt. Trotz der sehr spezifischen Quellenlage können wir diese Strategie ansatzweise nachvollziehen. Offensichtlich ist auch, daß die MfS-Offiziere in der Zeit, als sie noch über den einzigen Zugang zu den Akten verfügten, in diesem Fall eine solche spezielle Art der Nachweisführung für richtig erachtet haben. Unser Gutachten macht gerade deutlich, daß es auf seiten des MfS eine Spezialvariante im Umgang mit Gysi gegeben hat.

Können Sie denn ausschließen, daß die Behauptungen der früheren MfS-Offiziere zutreffen, wenn sie heute angeben, unter dem Decknamen „Notar“ und „Gregor“ Material zusammengetragen zu haben, das sich zwar mit Gysi und seinen Mandanten befaßte, aber nicht von ihm geliefert wurde? Können Sie auch Gysis Verdacht ausschließen, daß die zusammengetragenen Informationen von dritten Personen oder aus technischen Überwachungsmaßnahmen stammen?

Solche Theorien sind in der Öffentlichkeit als „Schubladentheorie“ bekannt. Diese Theorie entbehrt nach dem heutigen Kenntnisstand jedweder Solidität. Nach allem, was wir über die Arbeit des MfS wissen, war eine derartige IM- Führung nicht üblich. Wir haben schon oft ausgeführt, warum wir uns in diesem Falle so sicher sind. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß die nachträglichen Einlassungen ehemaliger Verantwortlicher im MfS als Hauptmotiv die Wahrheitsfindung beinhalten. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, daß in einem anderen Fall zwei damals verantwortliche Offiziere öffentlich und vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß gänzlich konträre Auffassungen vertreten haben. Es ist nicht meines Amtes, Aussagen ehemaliger Offiziere nachzugehen. Wir haben Gerichte, wir haben Ausschüsse, die selbst entscheiden können, ob sie diese Personen anhören wollen. Meine Behörde muß ihre Stellungnahmen nach der Aktenlage und dem, was wir über die Arbeit des MfS gelernt haben, gestalten. Hinter unseren Aussagen stehen Hunderttausende von Aktenrecherchen, eine Vielzahl davon betrifft die Hauptabteilung XX. Dabei haben wir gelernt, daß die „Schubladentheorie“ der damaligen Realität nicht gerecht wird.

Nach dem Fall Stolpe ist der Fall Gysi nun der zweite prominente Fall, in dem die Aussagen des Bundesbeauftragten öffentlich angezweifelt werden. Hat das Rückwirkungen auf die Arbeit und das Ansehen Ihrer Behörde?

Die Arbeit der Behörde wurde pauschal schon von allen politischen Lagern angezweifelt. Das müssen wir erdulden. Gleichzeitig erfahren wir aus allen Lagern hohe Anerkennung und Unterstützung, die PDS-Mehrheit vielleicht ausgenommen. Die Verpflichtung der Behörde, Aussagen über die Art und den Umfang von MfS-Verstrickungen zu machen, kann sich weder an den Wünschen ehemaliger Opfer noch an der subjektiven Wahrnehmung der ehemals Verstrickten orientieren. Interview: Wolfgang Gast