Rituale, Provinzen etc.
: „I am a writer, I want to write“

■ Journalisten fragen, keine Politikerin antwortet: Taslima Nasrin in Berlin

Der Polizeipräsident hat die erste Garde geschickt: breite Schultern, Kaugummi, scharfe Blicke – ein Leibwächter wie aus dem Katalog beobachtet genau, wie sich Taslima Nasrin einen Weg durch die wartenden Journalisten bahnt und vorne Platz nimmt. Erst als sich auch die Fotografen wieder gesetzt haben, richtet er seine Manschetten, entspannt sich. Ein Jahr schon ist die Autorin aus Bangladesch mit dem Tode bedroht, aber an das Leben in ständiger Gefahr wird sie sich wohl nie gewöhnen. Seit Mitte letzter Woche lebt sie, aus Schweden kommend, für drei Monate als Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin, um hier an ihrem neuen Roman zu arbeiten. Am Freitag stellte sie sich den Fragen Berliner Journalisten. Begrüßt wurde sie von Heinz Nastansky, dem Leiter des Künstlerprogramms des DAAD, und von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin.

Taslima Nasrin steht für die in den postluxurierenden Staaten des Westens momentan wenig angesagte engagierte Literatur. Wie für Jean-Paul Sartre ist für Nasrin ihr Medium auch politische Waffe gegen Unrecht und Intoleranz: „I am a writer. I want to write, to improve conditions in my society, to make people conscious.“ Dabei geht es immer auch um die Frage nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft, sei sie nun islamisch, hinduistisch oder christlich geprägt. Bangladesch ist in einer Dauerkrise. Armut und soziale Spannungen nehmen zu, was sich militante Fundamentalisten zunutze machen in ihrem Kampf gegen die traditionell tolerante bengalische Kultur. Ungleichzeitigkeiten bestimmen auch das Leben der Autorin im ferFoto: Wolfgang Borrs

nen Exil, die sich selbst als moderne und säkulare Persönlichkeit in einer aufgeklärten Tradition versteht. Von ihrem neuen Buch verriet Nasrin nur, daß es, wie schon ihr angefeindeter Roman „Scham“, von der islamischen Gesellschaft handeln wird. Soviel steht fest: Ganz leicht wird es die unfreiwillig weltläufige Autorin in Berlin nicht haben. Ihre Reise nach Deutschland ist auch ein Trip in die Provinz. Das mußte jedenfalls denken, wer an ihrer Pressekonferenz teilnahm: Da erkundigten sich Journalisten witzelnd nach ihrer Telefonrechnung oder testeten mal eben die neuesten Gerüchte über ihr Privatleben. Inzwischen an den Goodwill-Rummel um ihre Person gewöhnt, blieb Taslima Nasrin auch angesichts der verschrullten Klatschgeschichten gelassen und freundlich.

Hintergrund des Pressegesprächs war nicht nur die Einladung durch den DAAD. Der Kultursenator stellte zugleich das vom Internationalen Schriftsteller-Parlament initiierte Netzwerk der „Städte der Zuflucht“ vor, zu dem auch Berlin gehört. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Städten, die sich verpflichten, jährlich einer oder einem Verfolgten Schutz und Auskommen zu bieten. So wollen sie der weltweit zunehmend gewalttätigen Zensur entgegenwirken: Allein von Juli bis Dezember 1994 „verschwanden“ 67 Autorinnen und Autoren, wurden 86 ermordet. Außer Berlin sind bis jetzt Almeria, Amsterdam, Caen, Göteborg, Helsinki, Straßburg und Valladolid dem Verbund beigetreten; weitere, auch außereuropäische Orte werden in Kürze folgen, wie die taz von Christian Salmon, dem Generalsekretär des Internationalen Schriftstellerparlaments, erfuhr. Im Gespräch sind unter anderem São Paulo, Nagasaki, Lamentin auf den Antillen und das südafrikanische Durban.

Der erste Gast für das nach Arnold Zweig benannte Berliner Stipendium ist der algerische Schriftsteller Mohamed Magani. Eigentlich wollte man ihn gemeinsam mit Taslima Nasrin in Berlin einführen. Daß er nicht kommen konnte, macht deutlich, mit welchen Problemen selbst bekanntere Autoren zu kämpfen haben: Da sich die deutsche Botschaft in Algier faktisch im Belagerungszustand befindet, muß Magani die Visa für sich und seine Familie jetzt langwierig über Tunis besorgen. Das wird dauern.

Seit 1963 das Künstlerprogramm des DAAD gegründet wurde, ist Berlin ein Zufluchtsort. Während der Berliner Innensenator D. Heckelmann einem europäischen Trend folgt und das Asylrecht restriktiv handhabt, versuchen der DAAD und das Haus der Kulturen der Welt, ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten auszudehnen. Das aber wird immer schwieriger. Mit dem Ausbau zur „Metropole“ hält Bonner Miefigkeit Einzug: Gerade den international agierenden Kulturorganisationen gräbt man vom Rhein aus das Wasser ab. Dennoch konnte jetzt das Geld für ein besonderes Ereignis organisiert werden. Im April 96 wird das Schriftstellerparlament unter seinem Präsidenten Salman Rushdie im Haus der Kulturen der Welt zusammenkommen; Thema der Tagung: „Die Autonomie der Literatur“, der Kampf des Imaginären gegen die Zensur in all ihren Formen, vom Fundamentalismus der Armen bis zu den Medienkartellen der Reichen. Die Leibwächter werden einiges zu tun haben. Hans-Joachim Neubauer