Kunstquartier Venedig
: Kraft der Information

■ Eröffnung der Länder-Pavillons – mit Sekt und Schulenglisch

Die Menschen entwickeln höchst eigenartige Techniken, um sich ins Zentrum des Geschehens zu rücken. Zur Vorbesichtigung der Biennale, einer höchst exquisiten Angelegenheit, bei der Presse, Kunsthändler, Museumsleute und KünstlerInnen die Giardini drei volle Tage lang bevölkern, verhält es sich beispielsweise so: Je ausgelassener, desto aufmerksamer die Presse.

Wenn sich irgendwo zwei rundliche Herren im mittleren Alter länger als eine Minute umarmen und dabei eine kleine Opernarie singen, sind es in der Regel Künstler, die – wie sich nach den ersten ein, zwei Sätzen herausstellt – eigentlich nur zufällig in Venedig sind, am Abend leider schon wieder zu einer wichtigen Besprechung in New York oder Helsinki unterwegs sein müssen, und jetzt nur mal eben schnell nach dem Rechten sehen wollen.

Frauen dieses Schlags ziehen es dagegen vor, eindringlich liebevoll auf den mitgeführten Hund an ihrer Leine einzureden, bis sich ein Pulk Schaulustiger um die armselige Kreatur gebildet hat. Der große Rest aber läuft in der Regel eher planlos über das Gelände.

Es dauert gute fünf Stunden, bis man sich durch die bald vierzig Länder-Pavillons geschleppt und auf jeder Presseliste seinen Namen eingetragen hat. Dafür bekommt man allerdings eine Menge Kataloge und Werbeschnickschnack.

Die Japaner verteilen zum Beispiel Holzfächer gratis, bei den Skandinaviern bekommt man ein Glas Schaumwein dazu und vom Griechen Takis im hintersten Pavillon erhält jeder Gast eine hübsch bedruckte Baumwolltragetasche, in der er den ganzen angesammelten Kram dann verstauen kann.

Am deutschen Informationsstand geht es derweil schon weniger freundlich zu. Vom großen Andrang entnervt, haben die Leute vom Cantz-Verlag, bei dem das Begleitmaterial zu den Arbeiten von Thomas Ruff, Katharina Fritsch und Martin Honert erscheint, die Ausgabe von Freiexemplaren eingestellt. Ob sie denn nicht lesen könne, daß hier jeder Katalog 20.000 Lire kostet, meckert ein junger Mann in seinem besten Schulenglisch los, als eine spanische Journalistin den Dreier-Pack bereits in ihre Handtasche stecken will. Doch, doch, antwortet sie einigermaßen verschüchtert, aber es sei ja schließlich Vernissage.

Die Österreicher benutzen in ihrem diesjährigen Medien-Pavillon einen altbekannten Trick. Erst sind die Kataloge noch nicht angeliefert, wenig später dann bereits ausverkauft. Außer einem befreundeten Galeristen aus Köln besitzt auf dem ganzen Gelände eigentlich niemand eines dieser ominösen Exemplare. Macht nix, werden die meisten Besucher vertröstet, die Texte stünden eh im Internet.

Auch das gehört mit zum Konzept, wie der zuständige Kurator Peter Weibel erklärt. Denn eine Spezial-Installation wird vom Datenfluß per Netzanschluß gesteuert. Ein riesiger Stahlträger bewegt sich über ein Fließband mit jedem neuen Eintrag im Internet einen Millimeter vorwärts. Am Ende der hundert Tage hofft man, daß der Stahl sich in die Pavillon-Wand gebohrt hat, damit die Kraft der Information auch sichtbar wird.

Wie in jedem Jahr ist die Auswahl Italiens ein scheußliches Sammelsurium aus abgestandener Malerei und Kunsthandwerk. Kein Bild funktioniert, die Gesichter auf den Madonnen- und Heiligen-Darstellungen von Lotenzo Bonechi sind ungelenk in die Länge gezogen, Pier Luigi Pizzis Raumskulptur besteht aus einer Rundsäule um eine Rundsäule in einer Rundsäule. Nun ja.

Robert Capucci zeigt mit Punktstrahlern angeleuchtet Theaterkleider, zu denen einem lieber gar kein Stück mehr einfallen möchte, und von Claudio Parmiggiani steht in einer Glasvitrine ein Paar mit Schlamm verkrusteter Bauernschuhe, über die Heidegger schon nachgedacht hatte.

Den Höhepunkt bildet allerdings die Koje mit Arbeiten von Luigi Ontani: Ein Setzkasten mit erotischem Nippes, mundgeblasene nackte Bocksfiguren, denen ein Fisch an der entsprechenden Stelle baumelt.

Seltsamerweise haben ausgerechnet diese Kasperlepuppen ein lebendes Pendant hier in Venedig: Aus Berlin sind senatsgefördert Eva und Adele als Kulturbotschafter angereist, von denen mindestens eine in Wirklichkeit ein Mann ist. Sie tragen Glatzen, Stöckelschuhe, goldene Lamé-Kostüme und Plastikflügel, eine Mischung aus Königin Beatrix und Muppet-Show. Wer möchte, kann sich mit ihnen gemeinsam fotografieren lassen, dann winken die beiden: Berlin als halbseidenes Disneyland. Harald Fricke