Nichts verschwindet, nichts verdünnt sich

■ Wird die vierte Nordseekonferenz mehr ändern als ihre Vorgänger?

Schönen Urlaub! Gerade leiten schwedische und norwegische Flüsse nährstoffreiches Überschwemmungswasser in die Nordsee ein. Zusammen mit der Düngerlast der Vorfrühlingshochwasser aus Deutschland und den Niederlanden werden damit die allerbesten Voraussetzungen für eine sommerliche Algenpest an den Nordseestränden geschaffen. Die Sonne muß nur ein wenig intensiver hinter den Wolken hervorkommen, und die Nord- und OstseeurlauberInnen bekommen ihre Ferien gründlichst verdorben.

Eigentlich sollte bis 1995 die Einleitung von Stickstoffen und Phosphaten in die Nordsee um 50 Prozent geringer sein als 1985. Hierauf hatten sich die acht Teilnehmerstaaten der zweiten Nordseekonferenz 1987 in London verständigt. Nicht einmal annähernd wurde dieses Ziel erreicht. Die bisherige Bilanz der Nordseekonferenzen ist entmutigend.

Wird die vierte Nordseekonferenz, die heute im dänischen Esbjerg beginnt, mehr erreichen?

Kein einziges der Nordseeanrainerländer hat bei den Phosphaten das vor acht Jahren aufgestellte Ziel einhalten können. Den Delegationen bleibt also nicht einmal die Genugtuung, unter sich einen Sündenbock ausmachen zu können. Großbritannien gilt zwar als das größte Umweltferkel – diesmal vor allem wegen der Ölplattformen –, aber bei der Nährsalzbelastung hält es sich im Mittelfeld. Und zu Recht prangerte es seinerseits den unverantwortlichen Fischfang anderer Nordseeländer an: Zum Beispiel die Verfeuerung von Zehntausenden Tonnen Fischöl in dänischen Wärmekraftwerken, gewonnen aus jährlich 1,5 Millionen Tonnen Jungfisch, der eigentlich überhaupt nicht aufgefischt werden dürften.

Umweltschützer sehen in diesem Umgang mit den Fischressourcen eine große aktuelle Bedrohung der Nordsee. Auf einem vorbereitenden Treffen in Kopenhagen wurde von „Seas at Risk“ – einem Zusammenschluß von Umweltorganisationen aus den Nordseestaaten – vor einigen Tagen eine Alternative zum Entwurf der offiziellen Abschlußdeklaration erstellt, die diese Frage in den Mittelpunkt stellt. Darin wird die gesamte EU-Fischereipolitik verurteilt. Die Regulierung über Quoten müßte verschwinden, industrieller Fischfang in der Nordsee bis auf weiteres ganz verboten werden. Holländische Forscher haben errechnet, daß ein Viertel der gesamten Nordsee zu einem marinen Naturschutzreservat erklärt werden müßte, um die Artenschutzdeklaration von Rio einzulösen.

Aber kein Nordseeland unterstützt ein solches Projekt. Nicht Artenschutz ist gefragt, sondern kommerzieller Fischgang, billige Seetransporte und ungestörte Erdölförderung.

Schwermetalle, Dioxine, PCB, organische Umweltgifte waren die Schwerpunkte der letzten, dritten Nordseekonferenz 1990 in Den Haag. Auch hier wurde das Ziel einer Halbierung von vierzig besonders gefährlichen Stoffen bis 1995 beschlossen. Bei Dioxin, Kadmium, Quecksilber und Blei sollte sogar eine siebzigprozentige Verminderung erreicht werden. Auch wenn an Land tatsächlich deutlich weniger ausgestoßen wurde: die Nordsee hat davon nichts gemerkt. Im Gegenteil: Der Gehalt an Schwermetallen und chlororganischen Verbindungen ist in einigen Gebieten deutlich angestiegen.

Eine dieser Müllhalden für Umweltgifte, in denen der Giftgehalt immer weiter ansteigt, ist die bis zu 700 Meter tiefe „Norwegische Rinne“ vor Norwegens Südküste im Skagerrak. Nach norwegischen Forschungsberichten sammeln sich in solchen Problemtiefen PCB, Teerstoffe und Schwermetalle im Bodensediment und liegen dort wie ein Giftschwamm. Die von vielen ExpertInnen erhoffte Verdünnung und Verteilung der Giftbelastung erweist sich nach diesen Berichten als bloßes Wunschdenken. Nichts verschwindet, nichts verdünnt sich: es wird von den Meereströmungen nur an andere Stellen getragen und reichert sich dort an. „Mehr als alarmierend“ findet diese Erkenntnis der Chef der norwegischen staatlichen Umweltbehörde (SFT), Harald Rensvik.

Die SFT hat auch festgestellt, daß praktisch die ganze Nordsee unter den Ölförderungsaktivitäten leidet: In welchem Gebiet der Nordsee auch immer Fisch gefangen und analysiert wurde – immer war Öl drin. Muß sich Norwegen beim Öl an die eigene Nase fassen, ist das langsame Auffüllen der „Norwegischen Rinne“ als Gifthalde Europas ein Resultat der Industriepolitik aller Nordseeanrainer. Rund 200.000 Tonnen Umweltgifte fließen nach WWF- Schätzungen weiterhin jährlich in die Nordsee. Allenfalls auf eine weitere Verschärfung der Grenzwerte setzen die meisten Länder als Antwort auf diese Gefahr.

Für den schwedischen Repräsentanten von „Seas at Risk“, Ingemar Thoresson, sind diese „schwarzen Listen“ und Absichtserklärungen „nichts als eine Sackgasse“. Allein erfolgversprechend sei nur ein umfassendes Verbot ganzer Produktgruppen. Einen solchen Vorschlag wird die niederländische Regierung in Esbjerg präsentieren: ein Fahrplan für ein Verbot aller chemischer Zusammensetzungen, die nicht in der Natur selbst vorkommen und eine Reduzierung von Produktion und/ oder Ausstoß aller anderen Stoffe. Unterstützung hat Den Haag für diesen Vorschlag nicht erhalten. Dafür ein klares Nein – aus London.

„Weil die Anrainerstaaten sich in der Beurteilung der Gefahren nicht einig sind, droht die Konferenz zu einem Mißerfolg zu werden“, schrieb vor elf Jahren die Süddeutsche Zeitung vor Konferenzbeginn. Das gleiche Fazit droht auch heute. Doch, etwas ist anders geworden: 1987 wurden UmweltschützerInnen für ihre Kritik anläßlich der damaligen Nordseekonferenz in London noch festgenommen. Jetzt hat zumindest ein Teil von ihnen Beobachterstatus. Am Status der Nordsee hat das nicht viel geändert. Reinhard Wolff, Stockholm