■ Ist noch ein Opfer der „Political Correctness“ zu beklagen?
: „Aus gegebenem Anlaß“ – Frau Schimmel und der „Antiislamismus“

„Man wird doch noch sagen dürfen, was man denkt!“ rechtfertigte die designierte Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel, am Telefon ihre Äußerungen zum Mordaufruf gegen Salman Rushdie in den „Tagesthemen“. Das Problem ist nur: was denkt Frau Schimmel?

Im August 1989 war für sie klar, was sie von der von dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini gegen den Autor des Romans „Die Satanischen Verse“, Salman Rushdie, verhängte Fatwa zu halten hatte. Unter dem Titel „Aus gegebenem Anlaß“ schrieb Schimmel ein halbes Jahr nachdem der de-facto-Mordaufruf ausgesprochen war ein Vorwort zur zweiten Auflage ihres Buches „Und Muhammad ist sein Prophet: die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit“. Darin heißt es unter anderem:

„Wer im Frühjahr 1989 die Zeitungsveröffentlichungen verfolgte, die sich mit Salman Rushdies Satanischen Versen befaßten, bemerkte, daß kaum je der Grund für die Empörung nicht nur Ayatullah Khomeinis und weiter muslimischer Kreise richtig verstanden wurde: Beleidigung des Propheten ist seit Jahrhunderten nach den meisten islamischen Rechtsschulen ein todeswürdiges Verbrechen. Man flüchtete in formalistische Argumente, in denen historische Fakten dargelegt wurden, oder, in den meisten Fällen, in eine Verteidigung der »Redefreiheit«“.

Wer glaubt, die Äußerung sei – wie nach dem Tagesthemen-Interview fälschlich behauptet – aus dem Zusammenhang gerissen, verkürzt oder sonstwie verfälscht, möge sich das Buch besorgen. Ende 1989, in einer Zeit, in der Muslime weltweit Rushdie-Strohpuppen verbrannten und damit signalisierten, welches Schicksal sie dem Dichter zudachten, fiel Schimmel nur ein, daß ein längst verstorbener Prophet beleidigt worden sowie ein damals lebender Revolutionsführer und weite muslimische Kreise empört waren. Die Bezeichnungen „Fatwa“, „Mordaufruf“ oder Synonyme dafür tauchen in den zwei Seiten nicht auf. Dafür signalisiert Schimmel, daß sie von „Redefreiheit“ so viel hält wie einst Axel Springer von der „DDR“.

Fünfeinhalb Jahre später schreibt die um den ihr mittlerweile zugedachten Preis fürchtende Annemarie Schimmel im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter anderem: „Daß ich (...) die »Fatwa« gegen Salman Rushdie und die Aussetzung eines Kopfgeldes gegen ihn verabscheue, ist selbstverständlich. Spricht es nicht gegen den Zustand unserer Gesellschaft und ihrer Dialogfähigkeit, daß ich diese Aussage immer wiederholen muß, weil sie von manchen einfach nicht zur Kenntnis genommen wird?“

Wenige Tage vor Veröffentlichung in der FAZ hatte die Autorin im Spiegel-Streitgespräch ihrem ehemaligen Schüler und jetzigen Kollegen Gernot Rotter geantwortet: „Ich bin ein absolut unpolitischer Mensch.“ Gefragt hatte der, warum Schimmel auf ihrer erst wenige Wochen zurückliegenden ersten Iran-Reise nicht zum „Fall Rushdie“ Stellung bezogen habe.

In dem als „Antwort an meine Kritiker“ adressierten FAZ-Essay heißt es dann: „Fast täglich kommen Nachrichten über die Belagerung Sarajevos (...) Wer handelt gegen die »Fatwa« des Hasses, die von Politikern des christlichen Kulturkreises gegen Bosnien und seine Menschen, gegen jene Enklave der islamischen Kultur in Europa verhängt wurde?“

Die Äußerungen lassen keinen Zweifel, daß die Wissenschaftlerin mit dem persönlichem Drang zur islamischen Mystik die mit 25.000 Mark versehene Auszeichnung um jeden Preis erhalten will. Wieder abnehmen könnte sie ihr nur der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der sie ihr zugedacht hat. Wachsender Unmut unter dessen Mitgliedern – Buchhändlern und Verlegern – läßt hoffen, daß dies bald geschieht.

Es ist ein ärgerlicher Randaspekt von Schimmels Kampagne in eigener Sache, daß sie dabei jenen den Rücken stärkt, die behaupten, der Krieg auf dem Balkan werde aus archaisch-religiösen Motiven geführt, die Gegner seien daher irgendwie gleichverantwortlich. Eine solche, von interessierter Seite lancierte Darstellung unterschlägt, was Schimmel doch angeblich hervorheben will: daß sich die bosnische Bevölkerung gegen einen Angriffskrieg verteidigen muß. Dieser ist freilich politisch motiviert, religiöse Argumente dienen der Verblendung von Kriegern und deren tatenlosen Zuschauern.

Ärgerlicher als diese Verdrehung der exjugoslawischen Tatsachen ist, daß Annemarie Schimmel mittlerweile aufgrund der Kritik als Opfer einer antiislamischen Propaganda wahrgenommen wird. Die 1922 in Erfurt geborene Islamwissenschaftlerin wird als integere Vermittlerin des Islam betrachtet, der 1947 in Bombay zur Welt gekommene Salman Rushdie als Teil einer westlichen Offensive gegen die Weltreligion. „Nun haben sie ein neues Opfer ins Visier genommen, (...) Nobelpreise werden anscheinend nur jenen Autoren verliehen, die ein Feindbild Islam verbreiten“, schreibt ein Leser an die FAZ. „Wußte Herr Rushdie, welches »Wespennest« er traf?“; „Macht es einen Sinn, neue Feindbilder zu bedienen?“ einer an die taz.

Tatsächlich existiert derzeit in der Öffentlichkeit Europas und der USA eine interessengelenkte islamfeindliche Hetze. Aber der Konflikt um Annemarie Schimmel hat damit ebensowenig zu tun wie der um Salman Rushdie. Als Chomeini im Februar 1989 den Mordaufruf gegen den Autor aussprach, war die Welt in der allgemeinen Wahrnehmung im Gleichgewicht des Ost-West-Konflikts. Nato- Strategen und westliche Geheimdienstler waren noch nicht gezwungen, einen „islamischen Krisenbogen“ rund um das Mittelmeer zu entdecken und vor der „islamischen Atombombe“ zu warnen, um Zweifeln an ihrer Existenzberechtigung entgegenzutreten. Und der aus Indien stammende britische Staatsbürger Salman Rushdie mußte bei europäischen Behörden regelrecht darum betteln, vor aus Teheran finanzierten Killerkommandos halbwegs geschützt zu werden. „Lufthansa“ und „British Airways“ weigern sich bis heute, den seit über sechs Jahren im Versteck Lebenden zu transportieren. Bei zahlreichen europäischen Politikern blitzte Rushdie mit seinem Wunsch nach demonstrativer Solidarität ab. Für diese Behandlung war neben Wirtschaftsinteressen auch der Umstand verantwortlich, daß in den „Satanischen Versen“ britische Polizisten als prügelnde Rassisten entlarvt werden und damit ähnlich schlecht wegkommen wie ein ziemlich durchgeknallter islamischer Geistlicher im Exil, dessen Heimat unschwer als der Iran zu erkennen ist.

Die Fatwa Chomeinis, die Schimmel seit ihrer Bekanntgabe als Preisträgerin „selbstverständlich verabscheut“, war nicht etwa, wie von ihr insinuiert, Reaktion auf einen „verdeckten Angriff“ auf den Islam aus dem Westen. Vielmehr bildet das „Rechtsgutachten“ einen historisch einmaligen, religiös verbrämten Mordaufruf oder besser -auftrag eines Staatschefs gegen einen Schriftsteller. Chomeinis rivalisierende Nachfolger werden ihn nicht mehr los, weil sie den verstorbenen Revolutionsführer aus politischen Gründen zum Halbgott verklärt haben. Ein Status, den Chomeini zu Lebzeiten ablehnte, der aber nach seinem Tode in der „Islamischen Republik“, in der die Wirtschaft kollabiert und revolutionäre Umstände fehlen, in denen charismatische Führer die Misere überstrahlen könnten, ein Minimum an Stabilität gewährleistet. In dieser Situation relativiert mal eine Fraktion der Machthaber die Ungeheuerlichkeit, indem sie behauptet, die iranische Führung werde keine Mörder mehr auf Rushdie ansetzen; mal erhöht eine andere das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld. Es gehört ein gerüttelt Maß an Abgehobenheit dazu, um – wie Schimmel bei ihrer jüngsten Reise durch den Iran – diese Verhältnisse nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Es erfordert aber ein ebensolches Maß an Ignoranz, zu übersehen, daß die hochqualifizierte Professorin neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit und glänzenden Übersetzungen islamischer Volksdichtung seit Jahren zum Teil recht krude Bücher schreibt. Bücher, die in Buchhandlungen in der Ecke „Esoterik/Lebenshilfe“ ausgelegt werden und in denen sie konsequent einer unkritischen Darstellung des Islam frönt. Bücher, wo unter anderem zu lesen ist, wie sie sich nach dem Lunch mit Pakistans Diktator Zia ul-Haq auf dessen Kosten im Hubschrauber durch eine orientalische „Feenlandschaft“ fliegen läßt, und in denen auch für PreisverleiherInnen nachzulesen ist, was Annemarie Schimmel vom Mordaufruf Chomeinis gegen den Schriftsteller Salman Rushdie denkt. Thomas Dreger