Schwerer Stand für „Ein-Punkt-Parteien“

■ Die Soziologin Ute Molitor über Weibliches und die Chancen einer Frauenpartei

Wählen Frauen anders? Zur Soziologie eines frauenspezifischen politischen Verhaltens in der Bundesrepublik Deutschland“ – so heißt der Titel einer Dissertation, die 1992 im Nomos Verlag Baden- Baden erschienen ist. Die Autorin Ute Molitor ist heute Referentin für Meinungsforschung im Bundespresseamt.

taz: Welche Rolle spielt der Faktor Geschlecht beim Wahlverhalten?

Ute Molitor: Geschlecht ist aus der Sicht der Wissenschaft kein Bestimmungsgrund für Wahlverhalten. Dennoch stellt man immer wieder Unterschiede fest, wenn man die Wahlentscheidungen von Männern und Frauen vergleicht. Bei der letzten Bundestagswahl sind die Unterschiede auf den ersten Blick allerdings sehr gering. Früher waren sie wesentlich größer. In den Anfängen der Bundesrepublik haben Frauen konservativer gewählt. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich vor allem, wenn man die verschiedenen Generationen betrachtet. Alter ist in den letzten Jahren immer deutlicher eine bestimmende Größe geworden. Die CDU/CSU wird überdurchschnittlich von älteren Menschen gewählt und dabei wieder überdurchschnittlich von älteren Frauen. Junge Frauen hingegen wählen sie weniger häufig als junge Männer. Bei den Grünen ist das gerade umgekehrt. Sie werden überdurchschnittlich von Jüngeren gewählt, etwas stärker von Frauen als von Männern, aber noch häufiger von Frauen in der Altersgruppe unter 40 Jahren.

Welche Chancen ergeben sich daraus für eine Frauenpartei?

Persönlich sehe ich für eine solche Partei keine großen Chancen. Wenn sie antritt mit dem Thema Frauenpolitik im Sinne von mehr Gleichberechtigung, dann ist dieses Thema von anderen Parteien schon besetzt. „Single-issue“-Parteien haben immer einen schweren Stand. Es sei denn, sie greifen ein Thema auf, wie damals die Grünen mit dem Umweltschutz, das von den anderen Parteien vernachlässigt wurde. Eine neuere Entwicklung ist die Unzufriedenheit vieler Wähler mit den etablierten Parteien. Aus diesem Potential können sich Protestparteien formieren. Also könnte eine Frauenpartei argumentieren: Die etablierten Parteien machen in erster Linie Männerpolitik, und dagegen sind wir. Doch das wird wohl nur eine sehr sehr kleine Gruppe ansprechen, den engeren Kreis der jüngeren, eher linken, aktiven Frauen. Wenn man den Wahlanalysen der 94er Wahl folgt, war die Wirtschaftspolitik entscheidend. Wichtig für die Leute war, daß es wieder aufwärtsgeht. Feministische Politik spielte da keine Rolle.

Woher könnten die Stimmen für eine Frauenpartei kommen?

Vor allem von den Grünen, aber in so geringem Maß, daß dies nicht ins Gewicht fiele. Eine neue feministische Partei, da bin ich sicher, wird eine Splitterpartei unter einem Prozent bleiben.

Was ist mit der wachsenden Zahl der Nichtwählerinnen?

Bei den Nichtwählerinnen ist der überwiegende Anteil politisch desinteressiert. Das Potential für eine solche Partei käme aber, denke ich, aus dem Kreis der politisch sehr stark Interessierten.

Die Zeitschrift „Emma“ hat letztes Jahr zu den Bundestagswahlen eine Leserinnenumfrage gemacht. Ein Ergebnis war, daß 97 Prozent der Befragten „sofort“ oder „vielleicht“ eine Frauenpartei wählen würden.

Das trifft vielleicht auf die spezifische Emma-Klientel zu. Aber so eine Stichprobe ist natürlich in keiner Weise repräsentativ und, verglichen mit der Gesamtbevölkerung, völlig irrelevant.

Aber vielleicht wählen Frauen lieber Frauen statt Männer?

Darüber gibt es meines Wissens bislang keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Durch unser Wahlsystem stehen bei Bundestags- und Landtagswahlen, mit Ausnahme von Bayern, die Parteien im Vordergrund und weniger die Kandidaten. Auf kommunaler Ebene sieht das anders aus. In einigen Bundesländern hat der Wähler oder die Wählerin ja die Möglichkeit, bei Kommunalwahlen durch Kumulieren und Panaschieren bestimmte Kandidaten zu bevorzugen. Aber auch hier ist noch nicht untersucht worden, ob Frauen dadurch Frauen nach vorne bringen. Das hängt damit zusammen, daß man eben immer gesagt hat, Geschlecht ist keine wahlverhaltensrelevante Größe. Aber interessant ist das Thema auf jeden Fall. Interview: Ulrike Helwerth