Wie im Boxring

■ Und sie kommen doch zurück! Der gebeutelte Boy George über Glück, Glanz, Ruhm, Veränderung und die Liebe der Männer

taz: Einer Ihrer ganz alten Songs hieß „To Be Reborn“ – wiedergeboren zu werden. Fühlen Sie sich so nach all dem Gerede um Drogen, Sex und Sekten?

Boy George: Ich mag den Begriff „Wiedergeburt“ eigentlich gar nicht – das klingt so christlich. „Entwickelt“ ist wohl das bessere Wort. Aber ich fühle mich schon anders als früher, und irgendwie bin ich auch glücklicher.

Das Saulus-Paulus-Phänomen?

Als ich Culture Club verließ, da hatte ich alle Illusionen über das Bandleben verloren. Ich wollte nie wieder in einer Band sein, ich haßte Musiker. Danach hatte ich dann wieder für eine gewisse Zeit eine Band, aber die hat mich in meiner Meinung betreffs Musikern nur noch bestärkt. So habe ich mich dann viel mit Studiotechnik beschäftigt. In den letzten Jahren aber bin ich wieder dazu übergegangen, mehr Konzerte mit einer Band zu spielen, und ehrlich – ich habe wieder Spaß daran gefunden! Ich fühle mich viel sicherer jetzt auf der Bühne, ich bin mit meiner Stimme viel sicherer – ich bin überhaupt viel selbstsicherer!

Neue Platte draußen, die beste seit langem, gleichzeitig die Autobiographie, wie kam's zu diesem Schub?

Eine der ganz wichtigen Sachen in den letzten Jahren war für mich, nicht Boy George sein zu müssen, sondern einfach Zeit mit den Freunden zu verbringen, Urlaub zu machen, über bestimmte Sachen nachzudenken. Wenn du den schnellen Erfolg hast, wie Culture Club ihn hatte, dann ist das wie ein Wirbelsturm. Du hast keine Zeit zum Nachdenken mehr. Außerdem habe ich mich schon lange nicht mehr so auf eine Platte konzentriert wie auf diese. Etwa zwei Jahre schon habe ich die Songs dafür geschrieben, aber nachdem ich erst mal angefangen hatte, das Album zu produzieren, fing ich an, neues Material zu schreiben, und alles passierte sehr spontan. Hinzu kommt aber auch, daß ich in den letzten drei Jahren viele Therapien durchgemacht habe. Ich war in Gruppentherapien, vier Tage nur mit Fremden zusammen. Da blieb es nicht aus, daß ich die Verantwortung für mein Leben übernehmen mußte ...

Toll für Sie, aber die Industrie mag so was nicht immer – aus Angst, zuviel Veränderung könnte die Hörer verunsichern.

Gut! Ich glaube, ein bißchen Verunsicherung tut der Seele ganz gut. Aber ich mache diese Platte nicht, um jemanden damit zu verunsichern. Ich mache diese Platte auch nicht, um irgend jemandem damit zu gefallen. Ich mache diese Platte, weil sie mir gefällt.

Wie verhält sich die Platte zur Autobiographie?

Da ist ein enger Bezug, schon deswegen, weil ich, als ich das Buch schrieb, auch an dem Album arbeitete. Aber ich versuche auch immer ... selbst bei Culture Club waren meine Songs sehr persönlich, wenn auch sehr vieldeutig. In den letzten Jahren habe ich dann erst gelernt, direkter zu sein. Einer meiner Lieblingssongwriter ist Joni Mitchell. Wenn ich ihre Lieder höre, dann inspiriert mich das, mich klarer auszudrücken, ehrlicher zu sein. Auch Leute wie Morrissey oder selbst Björk: wie sie ihre Songs singt, das ist so ... ungewöhnlich. Ich bin nun mal ein großer Popfan.

Sie haben aber einen großen Teil des Buches noch mal umgeschrieben ...

Mir wurde beim Schreiben von Spencer Brey geholfen, und eine der Sachen, die er tat, war, mich immer dazu zu zwingen, sehr brutal zu mir zu sein, zu sagen, was wirklich passierte. Das ist schon witzig, denn als ich Culture Club gründete, wollte ich eigentlich nur verrückt sein, irgendwie wie David Bowie früher. Ich hätte nie gedacht, daß sich die kleinen Mädchen in mich verlieben könnten. Wirklich! Und es war so seltsam, daß die Leute mich plötzlich alle mochten. Sogar ihre Mütter, ihre Großmütter und Tanten mochten mich. Ich wurde zu so einer Art Vorzeigepuppe. Einiges davon stimmt ja auch: Ich bin nun mal hübsch und kann sehr charmant sein, aber es gibt auch eine andere, dunklere Seite von mir ...

Das Jekyll-and-Hyde-Phänomen?

Wenn die Leute mein Buch lesen, werden sie diese Seiten jedenfalls entdecken. Vielleicht mögen sie die dann auch gar nicht, aber was soll's, Ich meine: wenn ich lese, was für ein Bastard John Lennon war, dann überrascht mich das keineswegs oder stößt mich ab. Auf der einen Seite war er eben ein Arsch, auf der anderen brillant.

Und Ihre Aggression fließt dann in Stücke wie „Unfinished Business“?

„Unfinished Business“ ist über einen alten Freund von mir, der irgendwann heiratete. Ich hatte ihn 12 oder 13 Jahre lang nicht gesehen – jedenfalls sehr lange nicht. Dann hörte ich also, er sei verheiratet, und ich war völlig außer mir. Ich konnte nicht verstehen, warum, es war ja vorbei, was also kümmerte es mich noch?! Aber die Sache war eben noch nicht ausgestanden. Dieser Song ist meine Botschaft an ihn. Es ist ein trauriges Lied und irgendwie auch eine späte Rache, wenn ich ihm sage: Du bist verdammt noch mal schwul! Vergiß das nicht! Ich weiß es besser. Du findest alles in dem Lied: es ist traurig, sarkastisch. Und das gehört ja alles zur Liebe. Wenn du diese schmalzigen Liebeslieder im Radio hörst und dann darüber nachdenkst, dann merkst du: das hat mit Liebe nichts zu tun. Liebe kann auch sein, als würdest du im Boxring stehen.

Entsprechend direkt arbeiten Sie heute mit Botschaften. Glauben sie wirklich, daß Männer heute noch mit Sprüchen über ihre Sexualität aufgeklärt werden wollen wie: Man soll nichts unterdrücken? Oder: Homosexualität ist genauso pervers wie Heterosexualität und Bisexualität sei das einzig Wahre?

Ich glaube wirklich, daß Bisexualität der Normalzustand ist. Auch wenn es nichts direkt für mich ist. Ich bin da voreingenommen – wie einige andere Männer auch. In meinem Buch schreibe ich: Ich bin ein schwules, chauvinistisches Schwein. Ich bin da fast wie mein Vater, nur eben schwul. Ich glaube, viele Hetero-Männer sind wie Schwule, die Frauen hassen, denn du findest ja auch viele Männer, die Schwule hassen. Aber was ich auch sage, ist ja: das einzige, was wirklich existiert, ist Sexualität. Schwul, hetero oder bi – das sind alles nur Spielarten.

Deshalb auch Ihr Engagement für das Aids-Benefiz-Projekt „Red, Hot and Blue“?

Ich will die Leute zum Nachdenken bringen. Da gibt es ja auch Songs über Drogen und einen über das Thema, über welches wir die ganze Zeit reden: Evil is so civilised. Ich habe vor kurzem eine Sendung über den Klu Klux Klan gesehen und die Leute sahen alle aus wie aus einer normalen Familie. Aber hinter diesem perfekten Bild steckten diese unglaublich fanatischen, beängstigenden Überzeugungen. Ich sage das immer wieder: Wenn du die Mörder siehst, dann haben sie keine pinkfarbenen Haare. Sie tragen keine Plastikhosen. Sie sehen aus wie dein stinknormaler Nachbar.

Gibt es für Sie gute Slogans?

Ich weiß nicht, ob das für die Zukunft taugt, aber es gibt einen tollen Auspruch des Dalai Lama: Wenn du in diesem Leben anderen helfen kannst, hilf ihnen. Wenn du ihnen nicht helfen kannst, dann verletze keinen. Das gefällt mir.

Interview: Thorsten Bednarz