Groß, stark, stolz war nix

Nach Auftakt-1:0 der deutschen und dem 0:1 der schwedischen Kickerinnen hat sich die Situation vor dem heutigen WM-Spiel verändert  ■ Aus Karlstad Matthias Kittmann

Karlstad gilt in Schweden als die „Sonnenstadt“. Eine relative Einschätzung der Skandinavier – vor zwei Wochen lag hier noch Schnee. „Aber wir haben trotzdem vier Jahreszeiten“, darauf besteht Kristin vom lokalen WM-Büro, während sie draußen bei 20 Grad eine Zigarettenpause in der Frühlingssonne macht. Dafür kommt jetzt das Hochwasser nach der Schneeschmelze aus Norwegen. Im Flußbett des Klarälven ist nur noch ein halber Meter Luft, bevor er übers Ufer tritt – und ins „Stadshotellet“, das Quartier der Nigerianerinnen, Engländerinnen und Deutschen. Heute abend soll der Pegel seinen höchsten Stand erreichen, „aber da sind wir schon in Helsingborg“, sagt Bundestrainer Gero Bisanz (59) gelassen, „außerdem wohnen wir im zweiten Stock.“

Seine und die Laune seiner Spielerinnen hat sich innerhalb von vier Stunden schlagartig gebessert. Noch nach dem mühsamen 1:0 gegen Außenseiter Japan wirkten alle etwas brummig. „Das war überhaupt nix“, befand Silvia Neid (30). Sich selbst kann sie damit nicht gemeint haben. Die Kapitänin half nicht nur in der Abwehr aus und verhinderte in der 20. Minute die japanische Führung, als sie der einschußbereiten Homare Sawa den Ball gerade noch so wegspitzelte, sondern brachte auch wieder etwas Linie in das anfangs verkorkste Spiel. Mehr als gerecht, daß sie fünf Minuten später mit einem perfekt plazierten Kopfball den Siegtreffer erzielte. Viel besser wurde das Spiel deswegen nicht, denn beide Teams bevorzugten dasselbe System – Pressing in der Hälfte des Gegners. Phasenweise hielten sich in einer 20-Meter- Zone um die Mittellinie bis zu 16 Spielerinnen auf, um sich gegenseitig den Ball abzujagen, und die Japanerinnen haben in dieser Disziplin mittlerweile zum WM-Standard aufgeschlossen. Eigentlich wären Bettina Wiegmann und Maren Meinert mit ihren außergewöhnlichen technischen Möglichkeiten am ehesten dazu prädestiniert, solche Situationen aufzulösen, aber ihnen fehlte an diesem Tag das richtige Timing für den exakten Paß.

„Das Gute an dieser Erfahrung ist“, tröstete sich Bisanz, „daß die Schwedinnen mit der japanischen Spielweise auch ihre Probleme bekommen werden.“ Da wußte er noch nicht, daß es für die Gastgeberinnen selbst gegen die Brasilianerinnen nicht reichen würde. Das 0:1 im Auftaktspiel ist eine der größten Überraschungen im Frauenfußball der letzten vier Jahre. Und ändert völlig die Situation in der Gruppe A. Heute abend spielen in Helsingborg mit Schweden und Deutschland zwei der vier WM-Favoritinnen gegeneinander, und bei einer Niederlage ständen die Schwedinnen kurz vor dem WM-Aus. „Das macht es für uns leichter“, glaubt Gero Bisanz, der die konstellationsbedingte Chance wittert, eigene Schnelligkeit beim Kontern ausspielen zu können. Eine Kostprobe davon gaben die Deutschen bereits gegen Japan, als Meinert, Wiegmann und die in der 65. Minute eingewechselte Birgit Prinz nach einem flinken Überzahl-Konter nur noch an der starken Junko Ozawa im japanischen Tor scheiterten, die wie weiland der kolumbianische Keeper Higuita durch ihre Hälfte räuberte.

Höflich wie sie sich geben, schwärmen die Japanerinnen nun in höchsten Tönen von den Deutschen: „Es ist eine Ehre für uns, nur 0:1 gegen dieses Spitzenteam verloren zu haben“, befand Trainer Suzuki. Bisanz, der als seinen Spitznamen „The Coach“ angibt, lächelte verlegen, doch es kam noch dicker: „Ihre Spielerinnen sind so groß, so stark, so stolz, wir müssen da noch viel lernen.“ Die Deutschen auch – was, hat Bisanz nicht umgehend sagen mögen, doch seiner Frauschaft mittlerweile mitgeteilt. „Unmittelbar nach einem Spiel würde sie zu emotional ausfallen. Schließlich soll Kritik aufbauen und nicht runterziehen.“ Und noch eine Erfahrung hat er gemacht, nämlich von der neuen Auszeit-Regel tunlichst die Finger zu lassen: Direkt nach dem schwedischen Time-out kassierten die Gastgeberinnen das 0:1, was seine Abneigung gegen die neue Mode nur bestätigt: „Der Fußball“, sagt Gero Bisanz, „ist 100 Jahre auch ohne die Auszeit ausgekommen.“

Gruppe A: Schweden - Brasilien 0:1; Tabelle: 1. Deutschland, Brasilien 3 Punkte, 3.Schweden, Japan 0

Deutschland: Goller - Lohn - Austermühl, Bernhard - Voss (65. Prinz), Wiegmann, Neid, Pohlmann, Meinert - Mohr, Brocker (83. Hoffmann)

Japan: Ozawa - Tomei, Yamaki, Haneta, Nishina, Sawa, Takakura, Kioka (81. Handa), Noda, Obe, Uchiyama (74. Nagamine)

Tor: 1:0 Neid (27.); Zuschauer: 3.824