Vertreibung aus dem Paradies

■ East-Side-Gallery: Investor baut sich einen Park / Rollheimer müssen weichen

Es gibt noch Oasen in dieser Stadt. Ein Ort der Ruhe und der Entspannung liegt an einer der meistbefahrenen Autostraßen Berlins, der Mühlenstraße im Bezirk Friedrichshain. Die Lage direkt an der Rennbahn läßt sich so angenehm empfinden, ist doch der Platz versteckt hinter einer 1,3 Kilometer langen Betonwand, genannt „East-Side-Gallery“. Dort hinüber dringt der Lärm nur mäßig. Die Bewohner des Fleckens, Rollheimer und ansässig gewordene Aussteiger, schaukeln bei Sonnenschein in Hängematten mit Spreeblick und lassen sich selbst durch klickende Kameras vorbeifahrender Touristen auf Ausflugsdampfern nicht aus dem Konzept bringen. „Gods own Länd“ steht irgendwo mit viel Farbe hingepinselt, aber auch „Kapitalisten raus“.

Das hat seine Gründe. Den 130 mobilen Seßhaften auf dem Stück hinter der Mauer droht jetzt die Vertreibung aus ihrem Paradies. Mitverantwortlich dafür zeichnen der Senat und die Bezirksverwaltung Friedrichshain, besonders jedoch der Investor „Opus“. Diese Projektentwicklungsgesellschaft plant in der Nachbarschaft, am Stralauer Platz Nummer 35, ein schnittiges Büro- und Geschäftshaus des amerikanischen Superstars Helmut Jahn, das den modisch-verräterischen Titel „Spreefoyer“ trägt.

Damit in dem eckigen Glaskasten die Angestellten nicht lange auf rostigen Schrott unter schwarzroten Fahnen blicken müssen, hat sich Opus für die Beschleunigung der städtebaulichen Entwicklung engagiert. Der Park sei „die harmonische Fortsetzung des von Jahn geplanten Bürohauses und dessen zur Parkseite hin orientierten gebäudehohen Wintergartens“, kommentiert der Investor sein Bauvorhaben. Flugs lag ein Entwurf für einen knapp 20.000 Quadratmeter großen „Spreepark“ des „international renommierten Landschaftsarchitekten Peter Walker“ (Eigenwerbung) auf dem Tisch. Die Planung wurde bezahlt. Die Baukosten der Grünanlage von rund vier Millionen Mark will der Developer natürlich auch übernehmen. Dem Senat wird das recht sein.

Es ist keine Frage: Die Rollheimer wären ebenso wie die Brache am Spreeufer über kurz oder lang ins Visier der Stadtplaner gelangt. Bereits 1992 hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Bauwettbewerb für das Gelände zwischen Hauptbahnhof und Spree initiiert und einen „Park an der Spree“ als Bestandteil des Flächennutzungsplanes ausgewiesen. Die Freifläche, erinnerte gestern Martina Albinus, PDS-Baustadträtin in Friedrichshain, sollte einen Uferwanderweg beinhalten, öffentlich zugänglich, aber auch gut erschlossen und „qualitätvoll gestaltet“ sein. Außerdem war vorgesehen, den Park als grünen Hintergrund für die Malereien der East-Side-Gallery aufzuziehen. Kunst und Natur, Beton und Grünfläche sollten eine Symbiose eingehen.

Was sich nun auf dem Papier als „Park an der Spree“ in einer Länge von 650 Metern auftut, ist schlicht gesagt ein Flop. Entlang der Straße versperrt nach wie vor der geschlossene Mauerriegel die Beziehung zwischen Ufer und Fluß. Es folgen zwei, drei Baumreihen, die die „Linearität der East-Side-Gallery aufnehmen“, so der Walker- Sozius Wilbert Eitelweis. Ein knapper freier Grünstreifen mit Spielplatz ist hinter der Baumlinie vorgesehen. Schließlich werden ein paar Pappelreihen am Uferweg gepflanzt. Und fertig ist der Spreepark. Geblieben ist zwar der Uferweg, doch die Verbindung zur Stadt, zum Hauptbahnhof wurde mit einem kleinteiligen Pocketpark hinter der Mauer gekappt.

Das kleine Freigehege für die Mittagspausen der Büroarbeiter wirkt so künstlich wie die Freiluftgalerie selbst. Das bemalte Mauerstück, das entgegen dem prozeßhaften Prinzip der Mauermalerei konserviert und unter Denkmalschutz gestellt wurde, wird das Areal zu einem merkwürdigen Grenzstreifen für Betonlaboranten verwandeln. Denn die Bilder des 1990 geschaffenen Malriegels, so Wolfgang Branoner (CDU), Staatssekretär der Stadtentwicklungsverwaltung, leiden unter Witterungseinflüssen, und der Beton ist rissig. Eine Ausbesserung werde bis zu 15 Millionen Mark kosten. Die Sanierung sei ein Experiment, das von „speziellen Betonfritzen“ gelöst werden müsse.

Mit den Arbeiten am Park soll 1996 begonnen werden. 1997 könnte er fertig sein. Vorausgesetzt, die Rollheimer erhalten ein anderes ruhiges Plätzchen. Rolf Lautenschläger