Wieder Berliner Boden unter den Füßen

■ Topterrorist Johannes Weinrich sitzt in Moabit in U-Haft / Vier Haftbefehle verkündet – auch wegen Bombenattentats aufs „Maison de France“ 1983 in Berlin

Der Mann könnte glatt als Broker in die Börse spazieren, ohne jemandem aufzufallen. Schnauzer, Schlips und dunkles Sakko – freundlich blickt Johannes Weinrich von den Fahndnungsbildern. Jetzt hat die Tarnung jedoch ein Ende: Der mutmaßliche Topterrorist, der dem Nahost-Thriller „Die Libelle“ von John le Carré entsprungen sein könnte, sitzt seit Montag mittag in der Moabiter Untersuchungshaftanstalt. Vier Haftbefehle wurden gestern gegen den 47jährigen verkündet. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf mehrfachen gemeinschaftlichen Mord, versuchten Mord sowie Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

Am Sonntag war Weinrich im Jemen den deutschen Sicherheitsbehörden übergeben worden. Die geheimnisumwitterten Meldungen seiner Verhaftung passen zur schillernden Vita des Deutschen, der Anfang der siebziger Jahre zu den „Revolutionären Zellen“ fand, um später als rechte Hand des 1994 gefaßten venezolanischen mutmaßlichen Terroristen Illich Ramirez Sanchez („Carlos“) aufzusteigen. Ob er bereits vor mehreren Monaten beim Einmarsch nordjemenetischer Verbände in der Hauptstadt Aden festgesetzt wurde, bleibt bis auf weiteres so spekulativ wie vieles in der Biographie des Westdeutschen. Beharrlich schwieg sich gestern der Berliner Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, Dieter Neumann, aus.

Offiziell gilt die Version, die von deutschen Behörden verbreitet wird: Weinrichs Verhaftung sei von jemenitischer Seite am Donnerstag vergangener Woche bekanntgegeben worden. Voraussichtlich muß sich Weinrich nun vor einem hiesigen Gericht verantworten. Eine Anklage in diesem Jahr scheint kaum wahrscheinlich, sagte Neumann gestern.

Von öffentlichem Interesse dürfte vor allem Weinrichs Rolle beim Bombenattentat auf das französische Kulturzentrum „Maison de France“ am Berliner Ku'damm im August 1983 sein. Ein Mensch kam damals ums Leben, weitere 23 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Viele Opfer leiden noch heute an den Folgen der Explosion. Erst im vergangenen Jahr war einer der früheren Kontaktmänner von Weinrich, der Stasi-Oberstleutnant Helmut Voigt, im Prozeß um die Hintergründe des Anschlags zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Voigt als Stasi- Terrorismusexperte 25 Kilogramm Plastiksprengstoff an Weinrich ausgehändigt hatte, die bei dessen Einreise in die DDR zuvor beschlagnahmt worden waren. Wer den Befehl zur Freigabe des Sprengstoffs gab, blieb im Prozeß weitgehend im unklaren. Voigt, der kurz nach der Urteilsverkündung wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, hatte sich stets auf Vorgesetzte berufen.

Weinrich galt als Wanderer zwischen den Welten. Wiederholt tauchte er in Osteuropa auf. Zwischen Ostberlin und Ungarn soll er die Aktivitäten der „Carlos“- Gruppe koordiniert haben. Schließlich verschwand er eine Zeitlang völlig von der Bildfläche, um dann in Syriens Haupstadt Damaskus aufzutauchen. Dort hatten ihn deutsche Sicherheitsbehörden zuletzt gesichtet – stets in der Nähe seines Ziehvaters „Carlos“.

Ermittelt wurde gegen Weinrich auch wegen zwei Raketenanschlägen auf israelische Verkehrsmaschinen in Paris im Jahr 1975. Zudem soll er an dem Anschlag auf den US-Sender „Radio Freies Europa“ im Jahr 1981 in München und an einem Attentat auf den saudiarabischen Botschafter in Athen 1983 beteiligt gewesen sein.

Zunächst offensichtlich geduldet, wurde die Rolle der „Carlos“- Gruppe selbst osteuropäischen Geheimdiensten zunehmend suspekt. Weinrich selbst wurde vom ungarischen Geheimdienst observiert, wie die Anklage im Voigt- Prozeß 1994 ins Felde führte. So zog der ungarische Geheimdienst Mitte der achtziger Jahre aus Weinrichs Tagebüchern Kopien, die seine Beteiligung an dem Anschlag in Athen belegen sollen. Weinrichs enger Kontakt zu osteuropäischen Agenten könnte ihm nun zum Verhängnis werden. Die Dokumente der DDR-Staatssicherheit, so Generalstaatsanwalt Neumann gestern, würden detailliert die Rolle von Weinrich und „Carlos“ beschreiben. Severin Weiland