Wie eine Münze ohne Prägung

■ Im Theater am Halleschen Ufer hat die TanzZeit begonnen. Ganz ungewohnt zeigte sich Tolad, S.O.A.P. wird eine wohlkalkulierte Produktion zeigen, und drei Gastspiele aus London werden auch zu sehen sein

Keine leichte Kost war es, mit der das Theater am Halleschen Ufer am letzten Wochenende seine diesjährige TanzZeit eröffnete: Die Uraufführung von „to Bavel Two“ war als Fortsetzung der bisherigen Arbeit Joseph Tmims mit seiner Toladá Dance Company angekündigt worden. Das stimmte insofern, als es sich dabei um den zweiten Teil von Tmims geplanter Trilogie über die babylonischen Verwirrungen unserer Zeit handelt. Gleichzeitig bricht er in dieser Arbeit aber radikal mit seinem bisherigen Stil. Von der bisher so poetischen, emotionalen Tanzsprache ist nichts übriggeblieben – Tmim und Toladá machen Ernst.

Schon das letzte Stück setzte nicht mehr auf den Unterhaltungswert, jetzt aber hat sich der Choreograph von einer eingängigen Ästhetik gänzlich abgewendet. In „to Bavel Two“ verweigert er die Kommunikation mit dem Publikum rabiat. Tmim wirft einen Blick in die Großstadt-Ödnis – und (um mit einer Nietzsche-Metapher zu sprechen) alles schien ihm wie eine zu häufig be- und abgenutzte Münze, die ihre Prägung und somit ihren Symbolgehalt verloren hat und nur noch stumpfes Nickel ist.

Die Körper der Tänzer springen einander an, fangen einander auf, gleiten aneinander ab. Die Frauen klettern den Männern auf die Schultern, versuchen, sehr wacklig, sich dort irgendwie zu halten und rutschen schließlich höchst ungelenk wieder herunter – sicheren Boden hat hier keiner unter den Füßen. Wo die Tänzer in „Volonté de fer“ aggressionsgeladen und sozusagen als Akt der Befreiung gegen die Wände Sturm liefen, bleibt der Sprung gegen die Wand hier eine leere, hoffnungslose Bewegung.

Wenn sich die Tänzer einander in die Arme werfen, hat das weniger mit Gefühlen als mit der Lust an der Geschwindigkeit zu tun: Alles hat sich abgenutzt, was bleibt, ist die reine Aktion, hochdynamisch und virtuos. Der Tanz in „to Bavel Two“ setzt keine Assoziationen frei, er macht nur noch eine autistische Hölle deutlich. Eine merkwürdig entrückende, irritierende Erfahrung.

Ebenso konsequent ausweglos wie die Choreographie sind Lichtregie und Bühnenbild: Fred Pommerehn hat eine Licht-Stimmung von „Hevel Bavel“ (dem ersten Teil der Trilogie) aufgenommen und konsequent durchgehalten: Die Bühne bleibt dämmrig, bläulich, depressiv. Auch Cecile Bouchier hat die metallenen Platten der Bühnenrückwand ihres vorherigen Bühnenbildes benutzt, doch am Ende schweben sie beiseite – was bleibt, ist der Blick auf die nackte schwarze Mauer.

Zu all dem hat das „Avantgarde Trio Murilag“ ein düster-aggressives Klangmaterial geliefert. Mag „to Bavel Two“ auch nicht über die Kraft von Tmims letzter Arbeit verfügen, so scheint sich der Choreograph doch auf dem Weg zu einer ganz eigenen Ästhetik zu befinden, auf dem er auch alles kunstgewerblich Glatte von sich abstreift.

Genau das kann man von S.O.A.P., derzeit eine der Spitzentruppen der deutschen Tanzszene, nicht behaupten. Die Stücke der Frankfurter Company sind konsequent auf Erfolg hin kalkuliert. Gehorsam, Disziplin und Funktionieren sind die Reizwörter von „Object constant“, dem Stück, mit dem S.O.A.P. an diesem Wochenende im Theater am Halleschen Ufer zu Gast sein wird.

Der Choreograph Rui Horta hat in Watzlawicks Kommunikationstheorien geblättert und sie zu einem Alptraum mit Thriller-Qualitäten verarbeitet. Hochakrobatisch, kraftvoll und mit extremer Geschwindigkeit wird ein Reigen des Unheils in Gang gesetzt: lustvoll, böse und zerstörerisch – ein atemloses und atemberaubendes Spiel, das sich am Ende in vielleicht etwas zu schönen Bildern auflöst.

Solch Harmoniebedürfnis dürfte Mark Bruce, der sich für sein depressiv gefärbtes Tanzstück „Love Sick“ von der Musik J.P. Harleys inspirieren ließ, fremd sein. Der Choreographen-Newcomer ist der erste von drei Londoner Gästen, die auf dem Wege des Kulturaustausches nach Berlin importiert werden:

Vom Goethe-Institut, dem British Council und anderen Institutionen unterstützt, werden Sasha Waltz und die Toladá Dance Company im renommierten Londoner The Place zu sehen sein – und die Londoner Mark Bruce, Wayne McGregor und die Shobana Jeyasingh Dance Company im Theater am Halleschen Ufer. Die Theaterleitung des Theaters am Halleschen Ufer hat sich von John Ashford, dem künstlerischen Direktor des Place, einiges abgeguckt – unter anderem, wie man ohne eigenen Etat internationale Gastspiele möglich macht.

Die Shobana Jeyasingh Dance Company gilt als führende westliche Kompanie des indischen, zeitgenössischen Tanzes, Wayne McGregor als vielversprechendes Talent, und von Mark Bruce muß man sich überraschen lassen. Weitere Aufführungen bei TanzZeit: Thomas Guggi kommt gemeinsam mit der Cie. Didier Théron aus Montpellier „Closer to Distance“, und Claudia Feest von der Tanzfabrik spürt zusammen mit der Sängerin Shelley Hirsch in „Medeas Töchter“ dem Zusammenhang zwischen Medea-Mythos und weiblicher Gegenwart nach. Michaela Schlagenwerth

Die TanzZeit dauert bis 9. Juli; nächste Aufführungen: „Object Constant“ von S.O.A.P. von 2. bis 4. Juni; „Love Sick“ von der Mark Bruce Dance Company, am 6. und 7. Juni; alle Aufführungen um 21 Uhr im Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg, Programminformationen und Vorbestellungen unter Telefon 251 09 41.