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■ Nah dran: Klaus Wildenhahns Dokumentarfilme

Schon mal auf einem Dreh gewesen? Wenn ja, dürfte es bekannt sein, dieses Gefühl unglaublicher Wichtigkeit, das alle Beteiligten ausstrahlen. Vom Kabelträger bis zum Regisseur haben sie alle diesen Blick, als trügen sie ganz allein das gesamte deutsche Bruttosozialprodukt auf ihren Schultern. Alles rennt durcheinander, Tonnen von Material stehen herum. Und das, was gefilmt werden soll, verschwindet in dem Gewühle.

Wenn allerdings Klaus Wildenhahn dreht, dann ist es anders, dann kann es sogar vorkommen, daß die Gefilmten die Kamera vergessen, die sie gerade filmt. Nur Klaus Wildenhahn selbst steht da, ein Mikro in der Hand, und sein jeweiliger Kameramann blickt durch den Sucher. Oft stellt sich das Gefühl ein, es sei gar nichts Besonderes, einen Film zu drehen, sondern das Normalste auf der Welt. Was sich dann beim Betrachten des Films den Gesichtern der Gefilmten ansehen läßt.

Klaus Wildenhahn ist Dokumentarfilmer, und das schon seit 30 Jahren. Zweimal jährlich hält das Dritte Programm des NDR einen Sendeplatz bereit für einen großen Dokumentarfilm. Groß bedeutet: länger als 45 Minuten. Und einen Platz füllt regelmäßig ein Film von Klaus Wildenhahn. Er hat John Cage bei der Arbeit beobachtet („John Cage“, 1966), sich auf die Fährte eines Zechenschlossers gesetzt, der Gedichte schreibt („Ein Arbeiterdichter“, 1980), ist durch das belgische Flachland gestreift („Reise nach Ostende“, 1989), hat Pina Bausch portraitiert („Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?“, 1982). Und im vergangenen Jahr war Klaus Wildenhahn in Mostar und hat aus dem dort produzierten Material zwei grundsätzlich verschiedene Filme geschnitten. „Die dritte Brücke“, der eine, lief gestern zu später Stunde in der ARD. „Reise nach Mostar“, den anderen, kann man heute um 19.30 Uhr im Kino Radisson-Plaza- Hotel anschauen. „Reise nach Mostar“ – übrigens Wildenhahns letzter Film als Festangestellter des NDR; 65jährig, hat er die Pensionsgrenze erreicht – zeigt die ersten Wochen Hans Koschnicks als Chefadministrator der EU in der Stadt. Die Kamera ist immer nah bei den Personen – bei Koschnick selbst und seinen Mitarbeitern, bei muslimischen Polizeiposten und Blauhelm-Pionieren, die eine Befehlsbrücke bauen, bei Journalisten und einem kroatischen Wasserbauingenieur und seiner Frau. In solchen Szenen zeigt sich die Stärke von Wildenhahns zurückgenommener Arbeitsweise: Die Kamera fängt wie unbeabsichtigt Bilder ein von der normal gewordenen Unnormalität einer zerstörten Stadt. Dirk Knipphals

Heute, 19.30 Uhr, im Radisson Hotel, Karl-Liebknecht-Straße 5, Mitte