Wohlgefallen an der Institution

■ Theatertreffen abgesichert, Strukturreform abgewendet

Mit 17 hatte das Theatertreffen noch Träume. 1979/80 wollten die Theatermacher ihr Treffen alleine machen und lehnten sich gegen die Kritikerjury auf. Aber weil wer Geld hat, auch das Sagen hat, wurde nichts daraus. Ulrich Eckhardt, der Leiter der Berliner Festspiele, die von Bund und Land die Mittel für das Theatertreffen bekommen, winkte ab. Als in diesem Jahr nun die Finanzen existenzbedrohend knapp wurden, löste Eckhardt als erstes die Kritikerjury auf. Um Platz zu schaffen für eine neue Art Gremium.

Sollten manche Blütenträume doch noch mit 32 reifen? Denn mit wenigen Ausnahmen sind sie ja alle noch da im Umfeld des alljährlichen Betriebstreffens, die Jürgen Flimms und Ivan Nagels, die damals den Putsch versuchten. Nur daß sie jetzt keine Lust mehr auf Veränderung haben. Und die anderen, jüngeren, die vielleicht erst nächstes Jahr dabeigewesen wären, wurden nicht gefragt.

Man blieb ganz unter sich auf den zwei Symposien, die mehr oder minder beide um die Frage nach der Zukunft des Theatertreffens kreisten. Dabei kristallisierte sich ein lethargisches Wohlgefallen an der Institution heraus. Die Bemerkung der Dresdner Regisseurin Irmgard Lange, daß das Treffen für West-Theaterschaffende mittlerweile einen quasi-religiösen Status erlangt habe, wurde nicht ungern gehört.

Aber wie alle anderen anwesenden Staats- und Stadttheater-Regisseure und -Intendanten fand auch sie das Theatertreffen bedeutend. Die Kritiker bestätigten indessen fast unwidersprochen die Notwendigkeit einer Kritikerjury, Kultursenator Roloff-Momin unterstrich die Wichtigkeit der Veranstaltung für Berlin, alle anderen betonten die Wichtigkeit Berlins für das Treffen.

Ein einziger Impuls, das Theatertreffen wenigstens zu einem Quentchen in die Verantwortung der Theaterschaffenden zu entlassen, kam von Ex-Theaterkritiker, Ex-Theaterintendant und jetzigem Berater in allen Theaterfragen – kam von Ivan Nagel. Die Kritikerjury sollte doch zumindest von Regisseuren gewählt werden, meinte er. Da hätte man ansetzen können und eine schwungvolle Strukturreform mit der Emanzipation vom Staat verbinden können, wobei auch die Chance bestanden hätte, von den ästhetischen Vorlieben der Altprofis etwas abzurücken.

Wenn keiner der von den Theatermachern gewählten Kritiker über 50 wäre, seine Forschungsreisen von der Redaktion bezahlt würden, bei der er angestellt ist, die Theater ihre Reise nach Berlin selbst finanzieren würden, es keine Freikarten mehr gäbe, die Berliner Zeitungen den Druck eines Programmhefts finanzierten und der Kultursenat nur noch für die Miete der Spielstätten verantwortlich wäre – dann könnte das Theatertreffen in eine unabhängige Zukunft blicken. Und der Förder- und Freundeskreis des Theatertreffens – der sich tatsächlich konstituiert hat! –, könnte den nicht voll subventionierten Ensembles die Anreise nach Berlin finanzieren – denn deren Arbeit würde eine verjüngte Jury sicher stärker berücksichtigen, und das wäre ja keinesfalls verkehrt.

Aber zu all dem wird es nicht ansatzweise kommen. Denn kurz bevor das verhungernde Theatertreffen dazu gezwungen worden wäre, seine Abnabelung vorzubereiten, drehte der Staat den Tropf wieder auf. Wenige Tage nach dem letzten Symposium verständigte sich das aus Vertretern des Landes und des Bundes zusammengesetzte Kuratorium der Festspiele darauf, der Veranstaltung im nächsten Jahr wieder drei Millionen Mark (statt 1,9 Millionen Mark wie in diesem) zukommen zu lassen. Auch wenn Verbindlichkeiten bisher nicht bestehen – der gute Wille ist da, und die Festspiele haben sich selbst darauf verpflichtet, wie in diesem Jahr Sponsorengeld zu besorgen, wenn der Bund in letzter Minute dann doch nicht oder nicht so ganz ...

Auch das Modell der Kritikerjury wurde bestätigt, aber in die Hände der Bürokratie gelegt. Statt wie seit Maueröffnung neun Kritiker soll es nur noch fünf davon geben, die Ulrich Eckhardt zwar vorschlagen darf, die vom Kuratorium aber bestätigt werden müssen. Die Entscheidung für nächstes Jahr wird in zwei Wochen bekanntgegeben.

Daß es einem Fünfergremium gelingen könnte, jenseits der etwa 2.000 Stadt- und Staatstheater-Inszenierungen in drei Ländern nach Inszenierungen zu fahnden, die ästhetisch neue Impulse geben könnten, ist illusorisch. Aber das scheint keinen zu stören angesichts einer Planungssicherheit, mit der das Theatertreffen in sein 33. Jahr gehen wird, mit der es gereift und bestätigt sein altes Leben in vollem Umfang und wieder im Spiegelzelt aufnehmen können wird – solange die Kulturpolitik es will. Petra Kohse