Nachschlag

■ Royals, Sex und alte Musik: „Henry VIII.“ im Tempodrom

Hysterisch lachend sticht die blonde Prinzessin auf eine Puppe ein: „I'm Lady Di! Die, die, die!“ Kaum ist die Rasende verschwunden, geht Windsor Castle in Flammen auf. Die Royals retten ihr Teuerstes aus den rauchenden Trümmern: die Queen ihre Lieblingshandtasche, der Kronprinz eine liebevoll gehegte Topfpflanze namens Camilla.

Das „schreckliche Jahr“ für die königliche Familie haben die Briten noch längst nicht verkraftet. Die Natural Theatre Company aus Bath, die in Berlin zuletzt „Scarlatti's Birthday Party“ feierte, hat einen Beitrag zur Bewältigung der nationalen Katastrophe geliefert. Ihre Lösung: Kopf ab! In „King Henry VIII. – Diary of a Serial Killer“ begegnet der feige Waschlappen Charles dem Mann, der nicht nur mit zwei, sondern sogar mit sechs Frauen fertig wurde. „Divorced, Beheaded, Died, Divorced, Beheaded, Survived“, lautet das Motto – ein Merkvers, mit dem britische Schulkinder sich einen Überblick über das turbulente Eheleben Heinrich VIII. verschaffen.

Die fünf „Naturals“ vollbringen zwar wahre Wunder beim sekundenschnellen Rollenwechsel, verlassen sich aber leider allzusehr auf groteske Überzeichnung. Der jähzornige Despot (Ralph Oswick) liest beim Frühstück die Sun und zankt so heftig mit seiner ersten Frau Katharina von Aragon, daß die Rice Krispies überschwappen. Später prügeln sich die drei häßlichen Babies, die er von drei verschiedenen Frauen hat, Jane Seymour singt Country-Schlager in Cowboystiefeln, und Anna von Kleve galoppiert im Takt des Walkürenritts auf die Bühne. Das ist mal komisch, mal angestrengt komisch, mal nur anstrengend. Leider bleibt auch die unvermeidliche Gameshow-Parodie nicht aus, auf die heute kein Komiker gerne verzichtet.

Die Kombination Royals und Sex – unter Henrys Rock blitzt ein prächtig verpacktes mächtiges Gemächt – wird im prüden England noch immer herzlich belacht, und das Königshaus geht sowieso jeden an. Auf dem Festland sieht das ein bißchen anders aus. Garantiert europatauglich war aber das anschließende Nachtkonzert „The King's Music“, das den Charakter des königlichen Wüterichs in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ: Shirley Rumsey sang, begleitet von dem Lautenisten Christopher Wilson, drei von Henry VIII. komponierte Madrigale. Fülle des Wohllauts umgibt Verse von köstlicher, wenn auch unbeabsichtigter Ironie: „And I will ever be unto my lady true.“ Miriam Hoffmeyer

„Henry VIII.“ nur noch heute, 19.30 Uhr. Nachtmusik mit Werken des englischen Mittelalters und der Renaissance heute, 22.05 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten