Geht ins Taschentuch

■ Politisch korrekt und ziemlich gleichnishaft: „Priest“

Der schwule katholische Geistliche aus Florida, der bei unseren Nachbarn zu Gast war, erzählte, er sei von „Priest“ ergriffen gewesen. Der Film habe ihm quasi sein eigenes Dilemma im Kino um die Ecke vorgespielt. Wir hatten uns „Priest“ zuvor auf Kassette in einer kleinen Gruppe gleichgeschlechtlich bewegter Alt-68er sowie linksliberaler, durchaus karrierebewußter Jungschwuler angeschaut. Abgesehen von einer begeisterten Stimme, waren deren Urteile schlichter: sehr direkt politisch korrekt, schulfunkige Arbeiterklassenfolklore, formal am Fernsehspiel von vor zwanzig Jahren orientiert. Ein bißchen Ken Loach, ein bißchen Stephen Frears – aber eben nur ein bißchen. Immerhin, bei den komischen Sequenzen hatten sich alle amüsiert.

„Priest“ – ein Film über einen schwulen katholischen Priester, einen zweiten, alkoholsüchtigen, und einen weiteren, der mit seiner Haushälterin liiert ist – wurde mit Preisen und mit Protesten überhäuft. Was fürs Fernsehen der BBC gedacht war und auf den Festivals von Edinburgh, Berlin und Toronto ausgezeichnet wurde, ließ auch die fundamentalistische Christenheit nicht ruhen. In Frankreich und den USA hagelte es in diesem Frühjahr Empörung, Verdammnis, gar Morddrohungen. Dort wurde „Priest“ provokativ zum Osterfest gestartet. Man darf gespannt sein, ob nun hierzulande dem Glöckner von Fulda, Bischof Dyba, auch noch etwas einfällt.

In Großbritannien nutzte die schwule Outing-Gruppe Outrage „Priest“ als Rückenwind: Sie nannte die Namen von zehn schwulen anglikanischen Bischöfen und brachte den Bischof von London, David Hope, dazu, sich zu seiner „mehrdeutigen“ sexuellen Orientierung zu bekennen. Sogar der katholische Kardinal Hume verurteilte kürzlich die Diskriminierung homosexueller Liebe. Offiziell bleibt „praktizierte“ Homosexualität im Gegensatz zur „heimlichen“ allerdings für beide Kirchen auch weiterhin verwerflich.

Im geheimen homosexuell ist auch der junge Film-Pater Greg Pilkington (Linus Roache). Der orthodoxe „Thatcherist“ muß sich die Gemeinde in einem Liverpooler Arbeiterslum mit Pater Matthew Thomas (Tom Wilkinson) teilen, einem linken Sozialarbeiterpfarrer, der statt eines Kruzifixes ein Porträt von Sitting Bull im Pfarrhausflur hängen hat. Matthew hat ein Verhältnis mit seiner Haushälterin Maria Kerrigan (Cathy Tyson), das er vor Greg nicht verbirgt. Es kommt zu Moralstreitigkeiten zwischen den beiden. Als Pater Greg mit seinen orthodoxen Predigten und einer Missionstour durch das ärmliche Viertel scheitert, stürzt er sich frustriert und voll schlechten Gewissens ins schwule Nachtleben. Zu all diesen inneren Zerwürfnissen kommt für Pater Greg noch ein weiterer Konflikt, als ihm eine seiner Religionsschülerinnen in der Beichte erzählt, sie werde von ihrem Vater sexuell mißbraucht. Soll Greg das Beichtgeheimnis brechen, um ihr zu helfen? Die Situation eskaliert, als Greg samt Liebhaber auch noch von der Polizei beim Sex im Auto erwischt wird...

Der Film erzählt seine Geschichte melodramatisch, stellenweise humorvoll, im ganzen aber sehr gleichnishaft. Das gleichen nur die guten, meist zurückhaltend agierenden Hauptdarsteller Linus Roache und Tom Wilkinson ein wenig aus. Schade auch, daß die Rolle der Haushälterin, gespielt von der hervorragenden Cathy Tyson (bekannt aus „Mona Lisa“), so klein ausgefallen ist.

Wie schon „Philadelphia“ geht auch „Priest“ ins Taschentuch, aber immerhin bringt er sein Thema an ein breites Publikum. Im Gegensatz zu Hollywood zeigt die Regisseurin Antonia Bird sogar einen zwischenmännlichen Zungenkuß und einen weichgezeichneten Analverkehr. Hoch über den Wolken schmunzelt vermutlich Oscar Wilde, der von der Kirche erst kürzlich aus dem Fegefeuer in den Himmel versetzt wurde. kotte

„Priest“. Regie: Antonia Bird. Mit Linus Roache, Tom Wilkinson, Cathy Tyson. GB 1994, 103 Min.