In der Höhle des Löwen

„Kritische AktionärInnen ärgern Daimler-Benz“ / Der neue Chef Jürgen Schrempp verhandelt mit ihnen, um das Image der Marke aufzupolieren  ■ Von Hannes Koch

Es herrscht Bewegung unter dem Stern von Stuttgart. Mit der morgen stattfindenden Aktionärsversammlung der Daimler-Benz AG tritt Jürgen Schrempp die Nachfolge des glücklosen Edzard Reuter als Vorstandsvorsitzender des Konzerns an. Schrempp, von der Wirtschaftspresse als „härtester Manager der Republik“ tituliert, soll das angeschlagene Unternehmen aus dem Tal der Tränen führen.

Bereits als bisheriger Chef des Tochterunternehmens Daimler- Benz Aerospace (Dasa) hat Schrempp unkonventionelle Maßnahmen ergriffen. So spricht er seit 1994 mit den „Kritischen AktionärInnen Daimler-Benz“ über die Geschäftspolitik des Konzerns. Sieben offizielle Treffen haben inzwischen stattgefunden, weitere Termine sind vereinbart. Auf den ersten Blick erscheinen die RüstungsgegnerInnen und UmweltaktivistInnen als recht unbedeutende Gruppe, verfügen sie doch über nur 0,1 Prozent der rund 40 Millionen Daimler-Aktien. Wie immer wird die Mehrheit der Aktionärsversammlung ihre Anträge auf Nichtentlastung des Vorstandes auch dieses Jahr ablehnen. Trotzdem verfügen die Kritischen AktionärInnen mittlerweile über einen spürbaren, wenn auch bescheidenen Einfluß auf den Konzern, der sich nicht zuletzt aus den Gesprächen mit der Vorstandsetage herleitet.

So hatte die Klimakonferenz der UNO in Berlin gerade begonnen, als bei Daimler-Betriebsrat Gerd Rathgeb das Telefon klingelte. Die Werksleitung von Mercedes in Stuttgart-Untertürkheim meldete, man habe beschlossen, auf dem Dach des neuen Motorenwerkes die europaweit größte Solaranlage zur Versorgung eines Betriebs aufzubauen. Photovoltaikzellen mit den Ausmaßen eines Fuballfeldes sollen ab 1996 rund zwei Prozent des Strombedarfs der Fabrik decken. Pro Jahr würden dadurch 335 Tonnen weniger Treibhausgas Kohlendioxid ausgestoßen. Ironie der Geschichte: Die saubere Energiequelle dient der Produktion schmutziger Motoren. Das neue Werk fertigt starke, gar nicht sparsame Sechs- und Acht- Zylinder-Aggregate für Daimlers Limousinen.

Mit seiner öffentlich erhobenen Forderung nach dem Bau des Solardaches und Hinweisen auf Daimlers Verantwortung für den Umweltschutz hatte Betriebsrat Rathgeb, selbst Mitglied der Kritischen AktionärInnen, den Konzern ein Jahr lang unter Druck gesetzt. Auch Matthias Kleinert, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Daimler-Benz, erklärt anerkennend, daß der Betriebsrat „das Projekt des Solardaches gefördert und sich außerordentlich engagiert hat“. Auch die Gespräche mit den Kritischen AktionärInnen, so meint Rathgeb, hätten ihren Beitrag geleistet. Schließlich klagen die Kleinaktionäre immer wieder die Abkehr vom Primat der Automobilproduktion ein, mit der der Konzern 1994 rund 70 Prozent seines Umsatzes von insgesamt 104,1 Milliarden Mark erwirtschaftete, und fordern die Trendwende zur Herstellung umweltschonender, öffentlicher Verkehrsmittel.

Weitere kleine Schritte des Entgegenkommens seitens der Daimler-Chefs waren auch beim Thema „Rüstungsproduktion“ zu verzeichnen. So bezeugten die Dasa- Unterhändler ihre Dankbarkeit, als der Berliner Professor Ulrich Albrecht, ein Fachmann für die Konversion militärischer in zivile Produktion, sie auf verschiedene Fördertöpfe der Europäischen Union hinwies, die ebendieses Ziel unterstützen. Albrecht versorgte die Dasa mit Unterlagen über die bis dahin im Hause Schrempp offensichtlich unbekannten Programme. Beim Rüstungsexport machte Daimler den FriedensfreundInnen ebenfalls ein kleines Zugeständnis. Im Juli 1993 trat eine neue, hausinterne Richtlinie in Kraft, die den Export von Waffen ins Ausland restriktiver regelt als zuvor.

Die Kritischen AktionärInnen wären niemals in die Lage gekommen, mit den Managern von gleich zu gleich zu verhandeln, hätte der Konzern nicht infolge der von Edzard Reuter betriebenen Firmenaufkäufe eine offene Flanke geboten. Hatte Daimler bis in die 80er Jahre hinein fast ausschließlich Fahrzeuge verkauft, wandelte sich die Nobelmarke durch den Kauf von Unternehmen wie Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) und der Motoren- und Turbinen- Union (MTU) allmählich zu einer veritablen Rüstungsschmiede. Die Kritischen AktionärInnen verstanden es, die alljährlichen Aktionärsversammlungen zu öffentlichen Tribunalen gegen „Deutschlands größten Rüstungskonzern und seine Waffenexporte“ umzufunktionieren. In Anwesenheit der Presse auf der Anklagebank zu sitzen wurde Edzard Reuter zunehmend peinlich. Außerdem befürchtete man Verkaufseinbußen bei Mercedes-Automobilen, weil der wohlklingende Name „Daimler-Benz“ durch Kriegsgüter in Verruf geriet.

Das Gesprächsangebot an die Adresse der lästigen Kleinaktionäre war somit Teil einer größeren Strategie des Konzerns. Einerseits demonstrierte man Lernfähigkeit und Diskussionsbereitschaft. Andererseits wurde die Produktpalette ansatzweise renoviert. In verschiedenen Bereichen unternimmt Daimler-Benz Anstrengungen, etwas umweltverträglichere Produkte herzustellen. So sollen bald die benzinsparenden Kleinwagen der A-Klasse und das Swatch- Auto aus den Werkhallen rollen, eine Dasa-Tochter bei Hamburg stellt Solarzellen her, und Dornier in Friedrichshafen verkauft Anlagen für die Wasseraufbereitung.

Das alles kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Positionen von Kritischen AktionärInnen und Daimler-Vostand nach wie vor meilenweit auseinanderliegen. Eine grundsätzliche Änderung der Geschäftspolitik des Konzerns sei weder im Rüstungs- noch im Automobilbereich in Sicht, meint AktionärInnen-Sprecher Grässlin. Während er die völlige Abkehr von der Waffenproduktion fordert, will der Konzern das umstrittene Kampfflugzeug „Jäger 90“ bauen. 1994 erwirtschaftete die Dasa noch immer rund 25 Prozent ihres Umsatzes von 17,4 Milliarden mit Waffen.

„Ganz viel Konkretes ist bei unseren Gesprächen bislang nicht herausgekommen“, räumt Dasa- Sprecher Grosse-Leege denn auch ein. Aber die Konsultationen hätten sich als „positiv und nützlich“ erwiesen. Grosse-Leege: „Es ist sehr wichtig, die Denkweise des anderen kennenzulernen. Wir konnten ganz sicher gegenseitiges Verständnis entwickeln.“ So zeitigen die Gespräche auch Wirkung bei den Kritischen AktionärInnen. Schon jetzt ist ihnen klar, daß die Umgestaltung des Daimler-Konzerns, wenn sie überhaupt kommt, 20 bis 30 Jahre in Anspruch nimmt und nicht gegen, sondern nur mit dem Auto stattfindet. Bewegung herrscht auf beiden Seiten.