Ohne den ganzen Modeaspekt

■ Der House Beat ist eine Petrischale, in der immer eigenwilligere Sound-Kulturen gedeihen. Zum Beispiel Whirlpool, die Band mit den selbständig denkenden Samples. Sie nennen es "Dizko", es könnte aber auch...

Whirlpool ist schon ein seltsames Trio – zumal an den gängigen Klischees von „House“-Music gemessen: keine Trainingsjacken, keine Weltraumstiefel, statt dessen die eine oder andere Nickelbrille überm unaufdringlich bedruckten Kattun. Typen, die schon was hinter sich haben. Whirlpool besteht aus den Kölnern Hans Nieswandt, DJ und Ex-„Spex“-Redakteur, Justus Köhnke, Softwarespezialist, und dem aus San Francisco stammenden DJ und Reisenden Eric D. Clark. Sie haben sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht als Produzenten- und DJ-Team, das die deutsche House-Szene mit den jeweils aktuellsten Trends aus aller Welt und den ausgefallensten Sample-Ideen angereichert hat. Wenn man sie bei einer ihrer Shows zu dritt in ihrem kanzelartigen DJ- Verschlag mit Plattenspielern, Keyboards und Computern sieht, machen sie den Eindruck einer Dance- Variante von Rick Wakeman. Doch nicht nur die volle Tanzfläche beweist anderes, auch das gerade erschienene Album „Brian de Palma“.

taz: Als Band im herkömmlichen Sinne seht ihr euch wohl nicht?

Hans Nieswandt: Wir sind drei Leute, die zusammen arbeiten. Und die Maschine, an der wir arbeiten, an der schreiben wir auch, machen Graphik und machen Musik. Bei einer Band gibt es zum Beispiel den Drummer, der sich um die Drums kümmert und sich nicht gerne reinreden läßt. Bei unserer Musik gibt es nicht die Möglichkeit unterschiedlicher Verantwortungsbereiche. Ich vergleiche unser Projekt gerne mit einer Werbeagentur, in der verschiedene Leute daran arbeiten, etwas so effektiv und schön wie möglich hinzubekommen, was immer es auch ist.

Justus Köhnke: Das Gute und eigentlich grundsätzlich Experimentelle an elektronischer Musik ist, daß niemand ein Instrument spielt, sondern jeder am Sequenzer die Geräusche machen kann, die er mag. Als ich mit MIDI anfing, hatte ich Allmachtsgefühle, alles alleine machen zu können, aber das wurde dann auch langweilig. Es entstanden Wünsche nach Arrangements oder Live-Elementen wie Mixing usw. Diese Haltung, mittels der Technologie alles beherrschen zu können, hat sich entwickelt zu einer mehr jazzigen Haltung, bei der man andere und die Musik anderer live wahrnehmen möchte.

taz: Was mich am meisten überraschte, als ich die Platte zum ersten Mal hörte, war, daß sie so wenig experimentell ist.

Nieswandt: Bezogen auf den House-Kontext ist es eine ziemlich experimentelle Platte, sehr subtil. Sie verarbeitet eine Menge kleiner Dinge aus den verschiedensten Quellen, und diese Quellen machen sie experimentell ...

Eric D. Clark: ... weil wir Einflüsse von dort haben, wo die meisten House-Produzenten sie nicht herbekommen. Das ist ein Aspekt unserer Zusammenarbeit: daß wir von den gleichen Vorlieben ausgehen, Beach-Boys ...

Alle: ... Prefab Sprout, John Cale, Joni Mitchell, Kevin Ayers ...

Clark: ... Wir nehmen halt nicht nur Dance-Klassiker und mischen einen House Groove drunter.

Wie benutzt ihr Samples?

Köhnke: Atmosphärisch.

Nieswandt: Sie geben uns Ideen.

Köhnke: Eine Produktion beginnt meistens mit der Idee eines Samples.

Clark: Manchmal, wenn wir fertig mit der Produktion eines Tracks sind, hört man den Sample gar nicht mehr, er mag da irgendwo sein, aber ist nicht mehr zu erkennen.

Nieswandt: Wir bauen auch manchmal ein Stück um den Sample herum, nehmen ihn dann heraus, und der fertige Track ist dann praktisch die Fassade des Samples.

Nochmal zum Experiment: Ich bin überrascht, daß das Album fast durchgängig straight für den Dancefloor produziert ist.

Clark: Da stimme ich dir gar nicht zu, vor allen Dingen mag ich das Wort straight überhaupt nicht. Das Album ist alles andere als straight. Ist es nicht sehr progressiv?

Nieswandt: Experimentell muß ja auch nicht heißen, daß etwas harsch ist oder aggressiv. Es ist experimentelle Musik, die anschlußfähig ist, die erreichbar ist für Leute, die keine professionellen Musikhörer sind. Der House Beat ist ein sehr gutes Transportmedium für das, was wir an musikalischer Vorstellung vermitteln wollen.

Clark: House ist eine Basis, von der du überall hinkannst.

Köhnke: Der House Beat ist vergleichbar mit dem Bo Diddley- Beat, eine perfekte Form, die nicht vergeht. House ist wie eine Petrischale. Die Mission ist, auch wenn das kitschig klingt, Musik und nicht House.

Nieswandt: Wir hören auf Platten Stellen, die wir benutzen, um unsere Stücke zu machen.

Köhnke: Der durchschnittliche House- und Rave-Produzent benutzt ja sehr wenig Samples. Sampling ist für uns genauso im Mittelpunkt wie beim HipHop.

Wollt ihr also hauptsächlich eure popgeschichtlichen Interessen vermitteln?

Köhnke: Wir haben natürlich die Geschichte der Popmusik in unseren Köpfen. Auf keinen Fall aber benutzen wir Samples als witzige oder clevere Ideen oder um zu zeigen, was für seltene Platten wir haben. Wenn ein Sample musikalisch nicht stimmt, ist es ein Scheiß.

Der Begriff Disco scheint für euch sehr wichtig zu sein. Ist damit eine Retro-Haltung verbunden?

Clark: Auf keinen Fall.

Aber Disco ist eigentlich immer bezogen auf die Siebziger.

Clark: Das ist schlecht, das müssen wir ändern.

Also eine rückwärtsgerichtete Strategie steckt nicht dahinter?

Nieswandt: Es hat auf keinen Fall mit Nostalgie zu tun. Die Disco ist ein sozialer Ort, wo man kommunizieren und auf bestimmte Art miteinander umgehen kann. Für mich geht es gar nicht so sehr um Disco-Musik, sondern eher um die Disco als Platz, wo du, na ja, wo du leben kannst, ein Ort, wo man ...

Köhnke: ... Geld ausgeben kann ...

Nieswandt: ... eine gute Zeit haben kann.

In Deutschland ist Disco ja nach wie vor mit den Siebzigern verbunden, mit verruchten Kellern aus Fernsehserien. Und da ihr den Begriff so offensiv benutzt, liegt die Vermutung nahe, daß ihr euch darauf bezieht.

Clark: Ich bin kein Deutscher. Ich habe in drei Ländern gelebt, und nirgends gibt es eigentlich nur eine Bedeutung des Wortes.

Nieswandt: Das Wort Disco steht ja auch für eine Haltung, die man ohne den ganzen Modeaspekt betrachten kann – als etwas Freundliches und Unschuldiges. Für uns ist das verbunden mit der Zeit, in der wir sehr unschuldig Musik gehört haben.

Köhnke: Vielleicht ist es auch einfach nur das Wort, auf das wir uns einigen konnten, als wir versucht haben, unsere Musik zu beschreiben.

Clark: Außerdem schreiben wir Disco mit Z und K: Dizko.

Könnt ihr den Unterschied benennen zwischen der Arbeit an einem Clubmix und der an einem Album?

Köhnke: Wenn du Mixe machst, stehst du in einem großen Wettbewerb, das muß slammen. Ein Clubmix, auf den keiner tanzt, ja, was soll das sein? Und wenn du ein Album machst, klinkst du dich da aus, es muß nicht unbedingt ein Hit sein. Eine LP zu machen, hängt auch damit zusammen, daß wir alle Ende Zwanzig sind und mit der LP als Format aufgewachsen sind. Das ist vollkommen anders, als wenn sich heute ein 19jähriger hinsetzt mit seiner 909 und anfängt, Musik zu machen. Der ist mit Maxis groß geworden. Zur LP gehört ja auch das Artwork, die Reihenfolge der Stücke usw., das lieben wir natürlich.

Eure LP gehört so zu eurem Erwachsenwerden.

Clark: Wir nehmen das zumindest sehr ernst. Ich will keine One- off-Dinge machen. Eine Platte von mir ist eine, die ich machen wollte, und nicht eine, zu der mich jemand angehalten hat.

Köhnke: Das sieht jetzt in der Öffentlichkeit auch so aus, als sei „Brian de Palma“ ein Debütalbum, dabei arbeiten wir schon Jahre zusammen, haben eine Reihe von Maxis gemacht und natürlich Millionen von Sachen für die Schublade.

Nieswandt: Aber wir merken jetzt auch, daß es Zeit ist, etwas anderes zu machen.

Köhnke: Insbesondere dieses Touren, dieses Rock'n'Roll-Zeug ist nicht unser Ding.

Hans, siehst Du „Brian de Palma“ als vorläufig letzten Schritt deiner persönlichen Entwicklung, die vom Musikjournalisten zum House-Produzenten führte?

Nieswandt: Zurückblickend sieht das so aus. Aber ich wollte zu keinem Zeitpunkt etwas Bestimmtes, zum Beispiel ein House-Produzent, sein. Mein Beruf ist, ich selbst zu sein. Ich wechsle nur zwischen den Wegen, das auszudrücken. Ich werde immer einen Fuß im Journalismus behalten, weil es eine gute Art ist, Kommunikation herzustellen. Und mit Musik kann man andere Dinge mitteilen.

Köhnke: Das ist auch etwas, das wir alle gemeinsam haben: Unser Anspruch an „Karriere“ bedeutet eigentlich, auf so unentfremdete Art und Weise wie möglich Geld zu verdienen.

Clark: Das, was die Engländer sagen und sehr negativ meinen: „jack of all tracks, master of nothing“, formulieren wir um in „jack of all tracks, master of most“. Wir sind alle in verschiedene Aktivitäten verstrickt, und gerade ist es passiert, daß wir unsere größte Energie in die Produktion einer Platte gesteckt haben. Interview: Martin Pesch

Whirlpool: „Brian de Palma“ (Ladomat; L'Age d'Or).