■ Ökolumne
: Utopiccola Von Thomas Pampuch

„Utopiechen“ hat Ulrich Beck in einem lesenswerten Beitrag der Süddeutschen Zeitung die Forderung nach der autofreien Stadt genannt. Und selbst sie bleibe folgenlos, meint er eher trübsinnig, um dann aber so einen schönen Satz zu drechseln wie diesen: „Der Stau ist zu einer Metapher der unfreiwilligen Politisierung der Moderne geworden. Er symbolisiert die erzwungene Utopie der Selbstbegrenzung. Stau meint: unfreiwilliger Sitzstreik aller gegen alle.“ Ja, wenn wenigstens der Folgen hätte! Aber die unfreiwillig Streikenden sind eben keine, und wer das Utopiechen nicht denkt, schafft die Utopie nimmermehr.

Inzwischen ist die Klimakonferenz wie ein Frühlingslüftchen durch Berlin geweht. Ach, wäre es doch ein ordentlicher Hurrikan, nebst Spreeflutkatastrophe gewesen! In jedem Fall wird von ihr bleiben, was durch sie hindurchging: der Wind. Aber vielleicht immerhin ein Aufwind, der Utopioniere wie Utopiefkes ergreift.

Aus München ist in dieser Sache wieder einmal etwas zu melden. Schon im Juli letzten Jahres haben wir hier von der Idee des „Corso Leopold“ berichtet: Die Forderung der kleinen Friedenszeitung Schwabing Extra, Münchens Leopoldstraße in den Sommermonaten von Samstagnachmittag bis Sonntagnacht für den Autoverkehr zu sperren und in einen fröhlichen Fußgängerkorso umzuwandeln. Als saure Gurke war die Idee eine Weile im Gespräch, mit dem ersten Schnee flaute das Interesse naturgemäß ab. Die Initiatoren aber ließen nicht locker und begaben sich auf den mühsamen Weg durch die Institutionen.

Dreimal wurde der Antrag im Schwabinger Bezirksausschuß seit Januar besprochen, auf einer Einwohnerversammlung erhielt er sogar großen Beifall, aber nichts, nichts geschah. Und das obwohl (mit den üblichen Ausnahmen von besonders verstockten Kommunalpolitikern) fast alle die Idee „sympathisch“ fanden. Aber in München läuft der Wahlkampf zum Stadtrat an, da will sich keiner zu weit aus dem Fenster lehnen. Also macht man das, was in solchen Fällen Politiker am liebsten tun, man faßt „Schiebebeschlüsse“. Das passende Unwort dazu heißt: „kein dringender Handlungsbedarf“: Nun spielt mal schön, Kinder, mit eurer lustigen Idee, Papa und Mama haben noch ganz wichtige andere Dinge zu tun.

Nun ist es keineswegs so, daß es nicht einen Haufen von Initiativen, Organisationen, Umweltvereinen, ganz normalen Fußgängern und natürlich auch Autofahrern gäbe, die großes Interesse daran hätten, auf ihren städtischen Straßen einmal ohne Gestank zu flanieren. Modelle und Projekte dazu gibt es genug. Was zu fehlen scheint, sind Initialzündungen, die die Rückeroberung der Straße durch die Fußgänger wirklich angehen. Was fehlt, sind zwei, drei, viele Tritte in den Arsch jener Politiker, die grundsätzlich keinen Handlungsbedarf erkennen, so lange sie nicht getreten werden. Was fehlt, ist die Erkenntnis, daß man wohl doch auf die Straße gehen muß, wenn man auf der Straße gehen will.

In München, immerhin Rot-Grün regiert (und dieser Tage nebenbei auch Keimzelle der ersten bayrischen Biergartenrevolution) will man jetzt die Konsequenz ziehen. Am 21. Mai (Sonntag mittag 13 Uhr) soll auf der Leopoldstraße in einer „Stunde der Corsaren“ der „Corso Leopold“ einfach einmal ausprobiert werden. Die Idee fügt sich gut in eine bundesweite Aktionswoche „Mobil ohne Auto“, zu der verschiedene Umweltverbände (und gar das Bundesumweltministerium) aufgerufen haben, und die am selben 21. Mai auf einer Reihe von offiziell gesperrten Straßen (freilich nicht der Leopoldstraße) ihren Höhepunkt findet. Keck statt Beck. Schwabing probt die Utopiccola.

Das „Prinzip Corso Leopold“, steht in einem veritablen Grundsatzpapier der Schwabinger, „ersetzt Verkehrspolitik durch Kulturpolitik, Mangelverwaltung durch Eigeninitiative. Die Straße als öffentlicher Raum wird allen zur freien Verfügung gegeben. Der Korso ist ein Angebot, keine Behinderung, eine Bereicherung des zivilisierten Lebens, keine Einschränkung von Lebensfreude. Der Korso ist eine Aktion der Befreiung des Bürgers von selbst auferlegten Zwängen, in die er sich durch den Autokauf begeben hat.“ Nachahmung (Korso Leopold grüßt Korso Kudamm) wird wärmstens empfohlen. Muß wirklich erst der Rhein über die Ufer treten oder Fußballweltmeisterschaft sein, damit wir uns wieder auf die Straße trauen?