Umarmt wird nicht mehr

■ Große Kühle vor der Emphase der Musik: Die „Tristan“-Premiere in Dresdens Semperoper entpuppte sich als langwieriger Kraftakt auf festlich entleerter Bühne

Die restaurierten, quasi florentinischen Korridore sind noch am Nachmittag um fünf lichtdurchflutet, ein wahrhaftiges Canaletto- Licht liegt über der Hofkirche und den Brühlschen Terrassen – die Obermuftis sind samt Personenschutz in der Mittelloge verschwunden, und es soll ein richtig großer Abend werden: „Tristan“- Premiere in der Dresdener Semperoper.

Aber leider hat der Schweizer Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli – zusammen mit seiner Frau, die die Kostüme entworfen hat – den „Tristan“ zu Leere und Langweiligkeit entstellt, was weder dieses Haus noch dieses Werk verdient haben.

Der Tristanstoff nach dem Epos von Gottfried von Straßburg ist die Tragödie einer unerlaubten, unstillbaren, tödlichen Liebe und darin immer noch von einer Kompliziertheit, an der Regisseure scheitern können: die Geschichte von der irischen Prinzessin Isolde, die für König Marke als Braut geholt wird. Der, der sie holt, hat zuvor ihren Geliebten erschlagen. Und mit dem, der sie holt, will sie als Strafe für ihn und als Befreiung für sich den Todestrank nehmen. Den aber vertauscht die Dienerin in einen Liebestrank. Es lieben sich zwei, die sich nicht lieben dürfen. Unaufhaltsam. Als der „Verrat“ entdeckt und Tristan verwundet wird, gelten Tristans Fieberträume und Hoffnungen allein der „Ärztin“ Isolde. Isolde kommt und kommt zu spät, Tristan stirbt, mit ihm Isolde im Liebestodwahn.

Es ist ein süchtiges Bild, das Wagner hier von einer so unlebbaren wie wahnhaft glücklichen utopischen Liebe entwarf, auch musikalisch immer noch provozierend.

Das Ehepaar Marelli hat für diesen Stoff den Weg der nüchternen Austrocknung gewählt. Sie wollen vor jeder Identifikation, jedem Mitfühlen warnen: Sowohl in den dunklen Räumen der Frauenwelt Isoldes als auch in den gleißend hellen des Männerhofes bleiben die Bilder statisch und äußerlich. Verliebt in geometrische Formen, einen sich auf- und absenkenden Kubus, symmetrische Anordnung der Figuren, es wird Distanz erzeugt, die große Kühle vor der Emphase der Musik.

Deborah Polaski, fast viril, gäbe eine wunderbare irische Prinzessin aus einem Zauberinnengeschlecht. Sie bewältigt die Rolle der Isolde musikalisch hervorragend, auch wenn in den leiseren Partien manchmal eine Mühe spürbar wird. Sie war in Harry Kupfers „Ring“ in Bayreuth eine temperamentvolle, eigenwillige Brunhilde und sagt, sie habe von ihm gelernt, „Figuren als leibhaftige und greifbare Wesen“ zu gestalten. In dieser Inszenierung ist ihr das nicht gestattet.

Isolde und Tristan müssen in den voneinander entferntesten Positionen die zuneigungsvollsten Texte singen, sie müssen aufeinander zustreben mit geöffneten Armen, um dann, wie ferngesteuert, aneinander vorbeizugehen – wie im Slapstick, nur langsamer.

Umarmt wird nicht mehr. Die Angst vor der Liebe geht um. In Heiner Müllers letzter „Tristan“- Inszenierung in Bayreuth hatte das Paar, in einer Messe an einem Altar kniend, beide ins Publikum blickend, sein „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ zelebriert. Marelli geht noch einen Schritt weiter, indem er beide an den jeweils abgelegensten Punkten der Bühne plaziert, so daß auch der Eindruck der musikalischen Einheit zu einem Kraftakt der Sänger werden muß. Keine Identifikation mit Isoldes Stolz und Widerstand gegen Demütigung, kein Mitleid mit dem treuen Verräter Tristan – die ZuschauerInnen sollen die Handlung betrachten wie ein Insektenforscher die achtbeinigen Ungeheuer... In einer Szene hat der Bann der Distanz nicht gewirkt, und zum ersten Mal an diesem Abend kehrt Ruhe ein und entspannte Konzentration, als Matti Salminen in der Rolle des betrogenen Königs Marke sein Entsetzen zeigt, seine Traurigkeit, seine Hilflosigkeit.

Der Regisseur Marelli vertraute zu sehr auf den Bühnenbildner Marelli, auf die plakativen Flächen, die fast leere Bühne, das starke Bild einer Isolde als Schutzengel oder Muttergöttin – eindringlich, statisch. Gerade auch der stimmlich hervorragende Wolfgang Schmidt, der die Rolle des Tristan zum ersten Male sang, hätte darüber hinaus eine gestalterische Hilfe gebraucht. So blieb der Abend trotz der musikalisch glänzenden Leistung der Sächsischen Staatskapelle unter Christof Prick uninspiriert gegen den weichen, dehnenden, hochdramatischen Fluß der Musik von Wagner; gegen diesen Meister der Vorlust wurde das Mittel einer starren Äußerlichkeit gesetzt.

Wagner hatte über den „Tristan“ geschrieben: „Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodiert wird; nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!“ In diesem Sinne ist Wagner in Dresden gerettet worden. Sabine Zurmühl

Nächste Vorstellung: 20. Mai