Der einfache und der richtige Weg

Warum Studiengebühren unsinnig sind und wie sich die Hochschulen dennoch anders als bisher finanzieren lassen / Elternunabhängige Ausbildungskasse sollte das Bafög ersetzen  ■ Von Michael Daxner

Gehen wir von zwei Tatbeständen aus:

1. Das Hochschulsystem wird in absehbarer Zeit in der bisherigen Form nicht mehr zu finanzieren sein.

2. Um alle Aufgaben der wissenschaftlichen Forschung, Lehre und Dienstleistung zu erfüllen, über die einigermaßen Konsens in dieser Gesellschaft besteht, brauchen wir erheblich mehr Mittel, als bereits jetzt vorhanden sind.

Seit Jahren fordern die Hochschulen mehr Geld, bekommen es aber nicht. Die Aufwendungen stagnieren seit Jahren auf allerdings hohem Niveau, dennoch wird am Leistungskatalog, an den Qualitätsmaßstäben und an der Finanzierungsform wenig geändert. Die nötigen inhaltlichen und institutionellen Reformen (Personalstruktur, Studienreform, Finanzierungsmodalitäten, studentische Lebenshaltung) sind konzeptionell fast in einer „Gesinnungsgemeinschaft“ formuliert, aber sie werden nicht umgesetzt. Dafür gibt es viele, gut erforschte Gründe und Ausreden. Der finanzielle Infarkt rückt näher und verdeckt die einleuchtende Tatsache, daß es mehr als Geldes bedarf, um die Hochschulen wirklich im Sinne einer Zukunftsgestaltung wissens- und wissensschaftsbedürftiger Zivilität zu reformieren.

Was jetzt als „Reform“ erscheint, hat viele brauchbare Elemente. Sie werden aber dadurch entwertet, daß sie vor allem der Senkung von Ausgaben dienen sollen, indem sie den Studentendurchfluß beschleunigen, wissenschaftliche Breite und Innovationsfähigkeit reduzieren. Die brauchbaren Elemente, zum Beispiel Autonomie bei der Personal- und Budgetgestaltung, Profilierung oder Abbau von leistungshemmenden Bürokratismen, werden dabei geradezu instrumentalisiert, um tiefgreifende Reformen auf der Strukturseite hinauszuschieben.

An zwei Beispielen, die ich für besonders repräsentativ halte, kann die Paradoxie deutlich gemacht werden.

1. Was liegt näher, als die Studierenden an der Finanzierung der Hochschulen und ihres Studiums über Studiengebühren zu beteiligen? Das steigert ihr Verantwortungsbewußtsein, ihre Leistungsbereitschaft und kann eine so viel bessere Ausstattung von Lehre und Studium bewirken, daß selbst stagnierende Hochschulhaushalte auf dem jetzigen Niveau wirkungsvoll in anderen Bereichen verwendet werden können.

Das ist die einfache Lösung. Studiengebühren begründen einen Rechtsanspruch. Wer zahlt, kann bestimmte Leistungen verlangen: Vorbereitung, Beratung, Lehrmaterialien, didaktisch gut geschultes Personal, ein lernfreundliches Umfeld. Er kann sich also leichter dem unterwerfen, was als „ordungsgemäßes Studium“ bislang eher eine leere Forderung war. Außerdem würden Studierende ihrer Position als Erwachsene durch Eigenbeteiligung einen guten Dienst erweisen.

Die einfache Lösung ist falsch.

Wenn die StudentInnen die Gebühren selbst aufbringen müssen, dann werden sie entweder noch mehr erwerbstätig sein als bisher, also noch weniger konsequent und abschlußorientiert studieren. Oder sie werden von ihren Eltern noch stärker als bisher unterstützt, dann bleiben sie von der Sozialgeschichte ihrer Herkunft abhängig, die Chancengleichheit des Zugangs wird untergraben. Wer mehr zahlt, erhält die bessere Ausbildung. Die Hochschulen müßten auf die Gebühren mit definierten Leistungen reagieren, für mehr Geld bessere Lehrende einstellen, auf Nachfrage sehr flexibel reagieren. Sie müßten um Geld und nicht um fach- und zukunftsbewußte Studierende konkurrieren.

Das kann in anderen Gesellschaftssystemen auch sozial gerecht gestaltet werden, in denen die Hochschule wenigstens in den ersten Studienjahren Familienfunktionen ersetzt und in denen individualisierte Generationenverträge bestehen. Aber bei uns ist das gesellschaftlich gar nicht verankert.

Mein Haupteinwand gegen die Formel Ware (Wissenschaft) gegen Geld (Studiengebühren) ist aber noch ein anderer, der nicht aus der Sozialpolitik kommt. Wir betrachten wissenschaftliche Qualifikation über die bloße Ausbildung von Arbeitskraft hinaus als öffentliches Gut, das der ganzen Gesellschaft zugute kommt – über die Individuen hinaus, die durch ein Studium sozial, kulturell und finanziell privilegiert werden.

Deshalb kommt es eher darauf an, die Lasten gerechter zu verteilen, also die persönlich Privilegierten stärker zu belasten: durch Erhebung einer Akademikersteuer oder durch eine relative Verringerung der Einkommensschere zwischen Akademikern und Nichtakademikern – die Differenz wird noch auf Jahrzehnte erheblich sein. Und es ist notwendig, die dauerhafte Entschuldung und Refinanzierung der Hochschulen durch eine andere Form der Abschöpfung allgemeinen Reichtums zu sichern (Erbschaften, Stiftungen, Umschichtung von Investitionen in die Bildungsinvestition). Wenn dazu die reale Einsparung durch die wirtschaftliche Verwendung der vorhandenen Mittel kommt, bedeutet dies keine unverhältnismäßige Steigerung der Aufwendungen.

Zu diesen ökonomischen und kulturstaatlichen Erwägungen kommt aber noch ein wichtiges Element: Wissenschaft ist nicht in geldwerte Portionen segmentierbar, sondern bedeutet immer einen Erkenntnis-, Lern- und Innovationsprozeß, dessen Quantitäten mit der Qualitätsauseinandersetzung der beteiligten Subjekte sich verändern – und der immer aus einem Überfluß gespeist sein muß. Wenn wir die Zukunft der wissensbasierten Zivilisation ernst nehmen, und wenn wir Wissenschaft als aktives Instrument gegen den Prozeß der (möglichen) menschlichen Selbstvernichtung ernst nehmen, dann können Studiengebühren nicht die Verantwortung der Gesellschaft für die Wissenschaft, und das heißt: die künftigen Generationen von Wissenschaft anwendenden Menschen, ersetzen.

2. Das andere Beispiel gilt dem studentischen Lebensunterhalt. Wenn dieser nicht für alle StudentInnen gesichert ist, können verschiedene Reformen gar nicht greifen, können keine konkreten Leistungen verlangt werden und keine wechselseitigen Verbindlichkeiten zwischen Lehrenden und Lernenden eingegangen werden. Bafög war ein großartiges Instrument, um die Bildungsbeteiligung zu verbessern, und ein Leistungsgesetz, um die Nachteile sozialer Herkunft abzumildern. Heute ist es ein untaugliches Mittel, Ansprüche an den Lebensunterhalt für sozial schwächere Studierende abzusichern. Dauernde unterkritische Erhöhungen, wie die letzte um vier Prozent, bringen den meisten keine Erleichterung, wenn sie überhaupt anspruchsberechtigt sind.

Was für die Sozialversicherung oder die Krankenversicherung selbstverständlich ist, wird im Bildungsbereich verwehrt: der Generationenvertrag. Deshalb sollte Bafög abgeschafft und durch eine Ausbildungskasse ersetzt werden, deren Prinzip ganz einfach ist. Alle Studierenden haben Anspruch auf eine monatliche Leistung, die zur Zeit 1.000 Mark betragen würde – elternunabhängig und nicht leistungsabhängig. Sie können das Geld bis zu zehn oder zwölf Semester in Anspruch nehmen. Danach zahlen sie alles zurück, und zwar in einem bestimmten Prozentsatz von ihrer Steuerleistung. Wer keine Steuern zahlt, zahlt auch nicht zurück. Die Rückflüsse füllen die Ausbildungskasse auf.

Die Elternunabhängigkeit garantiert stärker als alle anderen Elemente die Möglichkeit, tatsächlich als Erwachsene an der Hochschule zu leben, sich so zu verhalten und so behandelt zu werden. Das Darlehen ist schon dadurch gerechtfertigt, daß sich die Privilegien des Studiums (mit und ohne Abschluß) bis auf weiteres in Status, Lebensqualität, kulturellem und sozialem Kapital und vor allem im Lebenseinkommen ausdrücken. Die Verschuldungssumme ist im Vergleich zu notwendigen Darlehen nicht-akademischer Kreditaufnahme in einem vernünftigen Rahmen. Die Anfinanzierung dieser Kasse wird schwierig. Aber sie wird erleichtert, wenn man den Eltern das Geld, das für ihre studierenden Kinder bestimmt ist, zu diesem Zweck umwidmet und eine befristete Anfinanzierungsabgabe erhebt. Die politische Entscheidung hierzu ist gefordert.

Der Autor ist Präsident der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg.