Naturkostszene im Umbruch

■ Bioladner sehen die Konkurrenz der Supermärkte gelassen / Auch im Großhandel sind die Ökoprodukte teuer / "Berlin ist eine tolle Naturkostregion"

Derbe kleine Äpfelchen vom Biobauern lagern in trauter Nachbarschaft neben glänzend gewachsten Granny Smith aus Chile, im Regal steht über dem Weizenmehl für 0,99 Mark das doppelt so teure Mehl aus ökologisch angebautem Getreide. Was vor wenigen Jahren noch die Domäne der über achtzig Naturkostläden Berlins war, gibt es heute auch im Supermarkt um die Ecke.

Anrufer, die sich besorgt nach Qualitätsunterschieden erkundigen, kann die Verbraucherzentrale beruhigen. Die Produkte, die unter Markennamen wie „Allnatura“, „Füllhorn“ oder „Naturkind“ im Supermarkt verkauft werden, unterliegen denselben Kontrollen nach der EG-Verordnung über ökologischen Landbau wie die Lebensmittel aus Naturkostläden. Oft stammen die Produkte sogar vom selben Erzeuger und werden bloß unter verschiedenen Namen vertrieben. Die im Bundesverband Naturkost zusammengeschlossenen Hersteller und Händler halten sich jedoch freiwillig an Qualitätskriterien, die über die EG-Verordnung und ihr Verbot von Kunstdüngern und Pestiziden hinausgehen. „Der EG-Biobauer kann seine Tiere immer noch mit Kadavermehl füttern und dann mit der Gülle das Feld düngen“, sagt die Vorsitzende des Bundesverbandes Naturkost, Marita Odia. Auch gentechnische Veränderungen und Bestrahlung von Lebensmitteln lehnt der Verband ab.

In Deutschland liegt der Anteil ökologisch erzeugter Lebensmittel am Markt immer noch unter fünf Prozent. Die hohen Preise wirken abschreckend – auch im Supermarkt. „Das Zeug liegt wie Blei in den Regalen, weil es so teuer ist“, erzählt ein Mitarbeiter einer „Kaiser's“-Filiale in Zehlendorf. „Wenn das nicht ein Lieblingsprojekt des Tengelmann-Geschäftsführers wäre, hätten wir es schon längst rausgeschmissen.“ Der Anteil ökologischer Produkte am Umsatz sei „sehr gering“, gibt auch der Pressesprecher des Rewe-Konzerns, Wolfram Schmuck, zu. „Aber das Interesse der Kunden ist gestiegen.“ Seit 1988 in den ersten Filialen Produkte aus ökologischem Anbau eingeführt wurden, wurde das Sortiment immer mehr ausgeweitet.

Die in Berlin traditionell stark vertretenen Bioladner sehen die finanzkräftige Konkurrenz gelassen: „Wir wären ja unehrlich, wenn wir wollen, daß der ökologische Landbau verstärkt wird und die Leute sich gesünder ernähren, aber nur allein daran verdienen wollen“, meint Reiner Kutsch, der schon vor zwanzig Jahren seinen Bioladen „Schrot und Korn“ in Steglitz eröffnet hat. „Solange die Produkte im Supermarkt nicht billiger sind als unsere, haben wir kein großes Problem“, erklärt Marita Odia vom Bundesverband Naturkost. Den hiesigen Markt sieht sie durch die Großanbieter nicht gefährdet: „Berlin ist eine tolle Naturkostregion.“

Das Gefälle zwischen den Stadthälften sei allerdings deutlich. Im Osten besteht in Sachen Biokost noch Nachholbedarf. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müßten die Bioläden verstärkt auf die Qualitäten des Fachhandels setzen: auf kompetente Beratung der Kunden und ein breites Sortiment, das zum Beispiel auch makrobiotische Lebensmittel und spezielle Produkte für Allergiker umfassen solle, so Odia. Außerdem sei eine „ökologische Unternehmensführung“ wichtig: „Unsere Kunden achten nämlich sehr darauf, daß die Ökobilanz stimmt.“ Stromsparende Kühlgeräte und genormte Mehrwegverpackungen auch für Honig und Pasten sollen zum Umweltschutz in den Naturkostläden beitragen.

Auch die Schöneberger Bioladnerin Karin Kaiser vertraut darauf, daß die Kunden mehr erwarten, als sie im Supermarkt bekommen können: „Die Leute, die bei uns einkaufen, wollen gründlich beraten werden. Und sie fühlen sich in der Atmosphäre des Ladens einfach wohl.“ Miriam Hoffmeyer