Die KZs zu Gärten machen

■ Soeben erschien die Autobiographie von Gad Beck, der in der Nazizeit die jüdische Untergrundgruppe "Chug Chaluzi" leitete. Ein Interview und eine Rezension

taz: Sie vereinten im Krieg mehrere vermeintliche Stigmata: Jude, Schwuler, Widerstandskämpfer.

Gad Beck: Fehlte nur noch, daß ich schwarz gewesen wäre oder Radfahrer. Wie schwer meine einzelnen Vergehen jeweils waren, hielt sich die Waage. Wenn ich Schwierigkeiten bekam, habe ich es immer auf das Judentum zurückgeführt. Als Außenseiter habe ich mich dennoch nie gefühlt.

In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges haben Sie die jüdische Untergrundgruppe „Chug Chaluzi“ geleitet. Wie viele Menschen konnten Sie vor der Deportation schützen?

Das ist schwer zu sagen, viele Kontakte waren anonym. Aber ich glaube, es waren etwa 150.

Wurde Ihnen auch geholfen?

Es gab einige Nichtjuden, die uns halfen. Mit ein oder zwei Ausnahmen waren es Kleinbürger, zum Teil arme und politische, wahrscheinlich durch eigene Erlebnisse gefallene Männer. Oder abgelehnte, ältere Prostituierte. Auch Schwule. Es gab, so würde ich das heute sagen, eine Solidarität der Unterdrückten.

Die Jüdin „Stella“ war Lockvogel und hat Sie und Ihre Arbeit an die Gestapo verraten...

Ja, und als ich dann Gefangener war, kam sie bei Bombenangriffen in den Keller des jüdischen Krankenhauses, wo die Gefangenenzellen waren. Einmal stand sie mit SS- Hauptsturmführer Dobberke vor mir. Sie fragten mich, ob ich Angst hätte. Ich sah Stella an und sagte: „Ja, aber wenn ich diesen Bombenangriff überlebe, werde ich frei sein, du hingegen wirst nie frei sein.“ Stella lebt ja noch. Vor einiger Zeit entstand der Dokumentarfilm „Die Greiferin“ über sie. Die Frau ist ungeheuer schön. Und wenn man sie sieht, begreift man auch, wie sie als junge Frau war. Ihr Charme und ihre frauliche Begierde spielten eine große Rolle. Sie wollte politischen Einfluß. Ich bin ihr nie wieder begegnet und möchte es nicht. Ich hätte auch nichts zu sagen. Für mich ist sie eine tote Frau, belastet durch kriminelle, unmenschliche Taten.

Der Gedenktag 8. Mai ist vorbei. War es ein angemessener Umgang mit der Geschichte?

Es sind die berühmten Nationaldaten, die eingehalten werden. Die Einweihung des „Centrum Judaicum“ nehme ich noch als akzeptabel hin. Es bestand vorher und wird auch weiter bestehen. Und es war schön, so viele Juden auf einmal zu treffen.

Sie lehnen nationale Gedenktage ab. Stimmen Sie mit Hendryk M. Broder überein? Er schreibt: Nieder mit den frisch geharkten und auf Hochglanz polierten Konzentrationslagern.

Ich stimme grundsätzlich nie mit Broder überein. Sein Ausdruck gefällt mir nicht. Ich bin der Meinung, daß er anders denkt, als er schreibt und spricht. Ich selbst würde sagen: Macht große Gärten daraus. Laßt die Menschen dort fröhlich spazierengehen oder Bücher lesen.

Ihr Buch ist gerade auf dem Markt erschienen. Welche Aussage ist Ihnen besonders wichtig?

Das Buch hat mehrere Zwecke. Es beschäftigt sich mit der Lüge des Coming-outs. Viele Prominente outen sich nur, weil sie Angst vor Erpressung haben. Es ist wichtig, offen zu sagen, daß man schwul ist, und wenn es schon mit 13 Jahren ist. Man sollte sich ein Leben, auch ein gesellschaftliches, mit der vollen Wahrheit jedem anderen gegenüber aufbauen.

Wie geht denn die Jüdische Gemeinde mit Ihrem offenen Schwulsein um?

Ich hatte nie Schwierigkeiten. Neulich hat sich aber ein New Yorker als Rabbiner bei uns beworben – deutschsprechend, kultiviert, ungeheuer gut aussehend, aber schwul. Da gab's einen Kampf. Sie haben ihn gleich im Preis gedrückt. Ist er schwul, kriegt er weniger. Er wird etwas anderes bei uns machen. Das ist keine Bösartigkeit.

Es ist diskriminierend.

Ja, das ist keine Frage. Das Judentum ist eben gespalten. Tausende solcher Dinge gibt es.

Inzwischen tingeln Sie durch sämtliche Talk-Shows. Und gelten in diesen Wochen als die heimliche Entdeckung des Jahres 1995.

Einen deutschen Juden, das gibt es ja auch kaum noch. Mehrere Filmgesellschaften haben mir Angebote gemacht, riesige Summen, ohne daß ich bereits wüßte, worum es eigentlich geht. Sie würden umfallen, wenn Sie die Höhe hören würden. Für dokumentarische Dinge kann man darüber sprechen. Aber ich werde niemals einen Film machen à la Greta Garbo. In den nächsten Monaten werden mich auch die Schwulen auf ihre Fahnen schreiben, aber ich werde mich nicht zum Führer der Schwulen machen lassen. Interview: Tomas Niederberghaus