Gestrauchelter Engel in der Hölle

Zwei Versuche über die Deutsche Bank: Ein Buch handelt von der biederen Normalität des Bankgeschäftes im Faschismus, das andere wurde im Auftrag des Bankenvorstandes verfaßt und versucht sich im Relativieren  ■ Von Hermannus Pfeiffer

„Während des ersten Jahres der nationalsozialistischen Reichsführung hat sich im Wirtschaftsleben Deutschlands eine entschiedene Wendung zum Besseren vollzogen“, freute sich der Deutsche- Bank-Vorstand in seinem Geschäftsbericht über das Kampfjahr 1933. „Unternehmungslust“ verspürten die Herren nun wieder! Diese „entschiedene Wendung“ führte dann bereits im zweiten Kriegsjahr dazu, daß mehr als 60 Prozent des Geschäfts auf Forderungen gegen den Staat entfielen: „Unser unmittelbarer Beitrag zur Kriegsfinanzierung“, lobte sich die Bankspitze in der internen Bilanz des Jahres 1940.

Von der biederen Normalität des Bankgeschäfts im Faschismus handelt das neue Buch des Historikers Eberhard Czichon. Und die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen „gehörte schon fast zum regulären Bankgeschäft“, wie es in einer Presseerklärung der Deutschen Bank kürzlich hieß. Etwa 100.000 große bis kleinste Firmen wurden Mitte der dreißiger Jahre verschleudert – und meistens vermittelten Banken diese Transaktionen: So gelangte Aron Elektro über die Deutsche Bank an den Deutsche-Bank-Freund Siemens und der Petschek-Konzern teilweise in die Hände von DB-Spezi Flick. Das Reichssicherheitshauptamt bedankte sich später bei der Deutschen Bank für ihre besondere Hilfe.

Damals mag manches Opfer notgedrungen froh gewesen sein, der plakativ seriösen Deutschen und nicht der SS-dröhnenden Dresdner Bank anheimgefallen zu sein. Derweil die Dresdner direkt „hinter dem ersten Tank marschierte“, so ein Bonmot aus jener Zeit, kam die Deutsche mit der zweiten Welle aus Ökonomen und Juristen. Auch sie übernahm, also raubte, Kreditinstitute in den von der Wehrmacht besetzten Ländern. Maßvoller und legalistischer vielleicht als die Dresdner und mit einem weitergehenden Ziel, betont Czichon: „die Brücke nach Südosteuropa zu schlagen“.

Obendrein kontrollierte die Deutsche Bank die Rüstungsindustrie von Daimler-Benz bis zur IG Farben. Der Bankier von Schroeder wird später sagen: „Der Einfluß der Großbanken war meiner Ansicht nach viel zu stark!“ Fast die ganze deutsche Industrie habe unter ihrer Kontrolle gestanden. „Sie hatten ebenso einen gewaltigen Einfluß auf die Partei und die Regierung.“ Czichon belegt auch dies teilweise eindrucksvoll.

Ebenso eindrucksvoll hatte Czichon bereits einmal die Frankfurter Großbank attackiert. 1970 war „Der Bankier und die Macht“ erschienen und von Martin Walser im Spiegel bejubelt worden; Linkssein war noch „in“ unter westdeutschen Intellektuellen.

Das Buch erregte auch den Titelhelden Hermann Josef Abs. Ein Jahr später ging die Substanz des Czichon-Textes in dem brausenden Sturm eines Prozesses unter. „Einige voreilige Schlußfolgerungen und nicht genügend durchdachte Formulierungen haben Abs und sein Bankvorstand weidlich und genüßlich ausgenutzt“, sagt Czichon heute.

29 Behauptungen in seinen über 300 Buchseiten untersagte das Stuttgarter Landgericht dem Ostberliner Historiker. Autor und Pahl-Rugenstein Verlag durften 20.000 Mark Schadenersatz zahlen, und die Nachwelt durfte über die mangelhafte prozessuale Unterstützung aus der DDR rätseln. Immerhin lagerten 12.000 DB-Aktenbände, weitgehend ungenutzt, im Potsdamer Staatsarchiv. Die „expansive Ausdehnung“ von Geschäft und Kapital mit „faschistischen Machtmitteln“ wurde vom DB-Vorstand „nicht initiiert oder unterstützt“, befindet Czichon. „Doch Emil Georg von Stauß war bereit, über ein solches Konzept ernsthaft nachzudenken und zu diskutieren.“ Im Mai 1933 spendete die Deutsche Bank 600.000 Reichsmark an Adolf Hitler!

„Wenn wir die Geschäftspolitik deutscher Großbanken analysieren, kommen wir immer wieder zu dem gleichen Schluß: Mit ihrem Kapital gestalteten sie Politik!“, lautet das definitive Fazit von Czichon. Das sei ihnen im Kaiserreich ebenso wie in der Weimarer Republik gelungen, in Nazideutschland wie auch in der Bundesrepublik. In vielen Geschichten läßt Czichon diesen weiterhin aktuellen Zusammenhang von Ökonomie und Politik lebendig werden, andere Episoden verschwinden in verstaubten Aktenbergen.

Czichons „Die Bank und die Macht“ wird dieser Tage in den Buchläden auftauchen. Aus diesen oft schon verschwunden ist die über 1.000 Seiten starke Hausgeschichte der Deutschen Bank AG. Fünf Professoren versuchten sich im Auftrag des DB-Vorstandes, bemüht, aber glücklos.

Die Deutsche Bank erscheint hier als gestrauchelter Engel in der Hölle und wird ständig von der Bankenfeindlichkeit der Nazis bedroht. DB-Autor Harold James versucht sich darob als Meister des haltlosen Relativierens. Beispiel Deutsch-Banker Emil Georg von Stauß: Er organisierte das Automobil-, Luftfahrt- und Medienimperium für die Großbank. Und er hatte bereits 1931 Adolf Hitler in seinem mondänen Eigenheim empfangen und dem amerikanischen Botschafter Sackett vorgestellt. Ebenfalls 1931 hatte Stauß Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht mit Göring und Hitler zusammengebracht. Für Princeton- Historiker James ist Stauß allerdings lediglich „das politische Alibi der Bank“.

Zu der hohen Kunst des historischen Relativierens gesellt sich in der Person des US-Professors ein Psychoanalytiker von bislang unbekanntem Rang: „Stauß verfolgte in erster Linie seine geschäftlichen Ziele und wollte Geld verdienen. Er nutzte jedoch die Politik, um seine wirtschaftlichen Interessen voranzutreiben.“

Mit wissenschaftlichem Schwermut vorgetragen, fallen die professoralen Leerstellen im Literaturverzeichnis auf – rechts wie links: kein Balkhausen, kein Czichon, kein Eglau, kein Goßweiler, kein Roth und – pardon – kein Pfeiffer. Selbst der frühere Vorstandssprecher Herrhausen verschwand fast vollständig. Er hatte sich keck und einsam zur Macht seiner Bank bekannt! Mit diesen Lücken ließe sich keine universitäre Hausarbeit erfolgreich bestreiten. Zudem merkt der vergleichende Leser schnell: Czichon ist der bessere Kenner der Akten. Das bestätigt auch Forscher James: „Ich habe natürlich nicht alle Aktenbände in Potsdam gesehen, aber ich habe das Register genutzt.“

Immerhin, die Deutsche Bank bekennt erstmals Schuld, auch wenn diese gern als ökonomische Rationalität verharmlost wird. Die amerikanische Besatzungsmacht hatte 1946 in ihrem OMGUS-Bericht eine sofortige Liquidierung der Deutschen Bank gefordert; alle verantwortlichen Mitarbeiter, darunter Hermann Josef Abs, seien „als Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen“! Soweit kam es nicht. Statt dessen, heißt es in Verlegerkeisen, hintertrieb die Deutsche Bank in der Bundesrepublik bis in die Achtziger die Veröffentlichung des OMGUS-Berichts.

Czichon und James malen uns zwei grundverschiedene Bilder. Czichon zeichnet mit spitzem Stift eine Deutsche Bank voll strotzender Stärke, James schraffiert in zarten Pastelltönen ein klägliches Bild der Schwäche. Unnötig, denn die Deutsche Bank galt auch bislang keinem Kenner als Nazimonster. Aber auch der Biedermann im damals modischen grauen Flanell, der ein wenig mithalf, die Nazis in die Staatssessel zu hieven, und zwölf Jahre lang maßgeblicher Teil des gesamtdeutschen Faschismus war, darf sich schuldig bekennen. Schuldig im Sinne der Anklage, nicht in Pastelltönen.

Eberhard Czichon: „Die Bank und die Macht – Hermann Josef Abs, die Deutsche Bank und die Politik“. PapyRossa Verlag, Köln 1995, 519 Seiten, ca. 40 DM

Harold James u. a.: „Die Deutsche Bank 1870–1995“, Verlag C. H. Beck, München 1995, 1.014 Seiten, 78 DM