Pro7 - bald zum Auslöffeln?

■ Der Kirch-Sender erwägt, in die Joghurtbranche zu wechseln, wenn jetzt in Kiel das neue Mediengesetz verabschiedet wird

Niemand unter den SPD-Länderchefs hat derzeit so plastische Sprüche auf den Lippen wie Heide Simonis, einzige Frau unter neun Männern. Wer mit Information und Rundfunk arbeite, müsse sich staatliche Kontrolle gefallen lassen. Doch „wer Geld verdienen will, und das ziemlich ungestört, der muß anfangen, Joghurt zu produzieren. Da muß er sich nur an die Hygienevorschriften halten und die Geschmacksrichtung.“

Direkt angesprochen fühlte sich davon Pro 7, einziger TV-Sender, der seine bundesweite Lizenz aus Schleswig-Holstein hat (Miteigentümer: Leo Kirchs Sohn Thomas). „Wir bereiten uns schon mal aufs Joghurtproduzieren vor“, kommentierte ein Pro 7- Sprecher das Simonis-Interview in dem Fachblatt text-intern. Anlaß für die ungewöhnlichen Konversionspläne des Kirch- Senders (Marktanteil gut 10 Prozent) ist die Neufassung des schleswig-holsteinischen Mediengesetzes, die Heide Simonis gestern in die erste Parlamentslesung brachte.

Wird es so angenommen, und daran ist angesichts der absoluten SPD- Mehrheit im Kieler Landtag nicht zu zweifeln, dann gelten hier künftig für Privatsender die schärfsten Kontrollvorschriften aller Bundesländer. In den letzten zwei Jahren hatte sich alle Welt über die „Laienspielschar“ der Medienkontrolleure (so selbstironisch der Chef der Berliner Medienanstalt, Hans Hege) lustig gemacht, die mehr oder weniger bei der Informationsbeschaffung auf den guten Willen der Privatsender angewiesen ist. Vor allem die ausgefuchsten Wirtschaftsjuristen aus dem Hause Kirch hatten es immer wieder verstanden, die Verflechtungen unter den Kanälen, die aus der gleichen Sendezentrale in München-Unterföhring geleitet werden, zu verschleiern. Nach dem Motto „In dubio pro Kirch“ gingen nacheinander Sat.1, Pro 7, DSF und das heutige Kabel 1 auf Sendung – obwohl ein Veranstalter eigentlich nur an zwei Sendern beteiligt sein darf.

Und während die Bundesländer um eine Neufassung des geltenden Rundfunkstaatsvertrags wohl noch eine Weile streiten werden, geht Schleswig-Holstein schon mal einen Schritt voran. Nach dem Gesetzentwurf müßte künftig nicht die Kieler „Unabhängige Landesanstalt für Rundfunk“ (ULR) die Geschäftsverbindungen zwischen Vater und Sohn Kirch belegen. Die Beweislast läge vielmehr bei dem, der die Lizenz beantragt.

Wenn der Vater mit dem Sohne ...

Eine Angehörigenklausel würde außerdem Pro 7 zwingen, „glaubhaft“ zu machen, daß Vater Kirch keinen Einfluß auf den Spielfilmsender seines Sohnes ausübt, obwohl so gut wie alle gezeigten Filme aus seinem Archiv kommen.

Familienfilz scheint allerdings auch in Schleswig-Holstein zu herrschen: Im Vorstand der ULR, die gegen den Willen der meisten anderen Medienanstalten die Lizenz von Pro 7 bestätigt hat, sitzt mit Eckehard Doppke der Vater des Redaktionsleiters von „Studio Schleswig-Holstein“ – dem einzigen TV-Produktionsunternehmen im Bundesland, das von Pro 7 Aufträge bekommt.

Ein Grund mehr für Heide Simonis, die Medienanstalt künftig mit mehr Pflichten, aber auch mehr Rechten auszustatten. Sie soll ähnlich dem Kartellamt arbeiten, Einsicht in alle Unterlagen nehmen, eidesstattliche Versicherungen anfordern und, wenn nötig, bei Gericht auch eine Durchsuchung beantragen. Den Einwand, dann könnten Geschäftsgeheimnisse zur Konkurrenz gelangen, wischt Simonis vom Tisch: „Wenn Sie Ihre Steuererklärung machen, müssen Sie sich auch darauf verlassen können, daß sie nicht veröffentlicht wird.“

Kritik haben die Privatsender auch daran, daß auch die „on-demand“-Dienste, die mit der Digitalisierung möglich werden, wie die bisherigen Programme behandelt werden sollen. Den individuellen Abruf von Filmen wollen die TV-Veranstalter nicht mehr als Rundfunk verstanden wissen. Simonis kontert: Dann kämen ja Pornographie und Gewaltverherrlichung durch die Hintertür unkontrolliert wieder auf den Bildschirm.

Anders als unter Björn Engholm, der sich um Medienpolitik nicht kümmerte und die verbarschelten Strukturen unangetastet ließ, spielt Schleswig-Holstein in diesem Bereich heute die Rolle eines Vorreiters der SPD. Heftig tobt da der Streit zwischen der Minderheit, die die Meinungsvielfalt obenan stellt und die Vorherrschaft des Kirch-Konzerns zumindest begrenzen will, und einer Mehrheit von Landespolitikern, die meint, an den „Erfordernissen der Industrie“ komme man ohnehin nicht vorbei.

Letztere haben sich zwar darauf eingelassen, im künftigen Medienstaatsvertrag der Länder für mehr Transparenz und schärfere Kontrollen der Privatsender einzutreten.

Aber als Pragmatiker streben sie mit der CDU/CSU ein „Gegengeschäft“ an, wie es Hessens Ministerpräsident Hans Eichel vor zwei Wochen auf einer Medienkonferenz seiner Partei ganz offen angekündigt hat: Da man für den Rundfunkstaatsvertrag „von der Einstimmigkeit nicht runterkommt“, werde das wohl so aussehen: Die Union stimmt einer Gebührenerhöhung für ARD und ZDF zu. Dafür akzeptiert die SPD „relativ wenig Regulierung bei den Privaten“.

Zwar haben auch die Unionsländer dem Prinzip „Mehr Transparenz bei den Privaten“ zugestimmt, aber dafür wollen sie, daß die Beteiligungsgrenzen für Kirch oder Bertelsmann wegfallen. Theoretisch sollen sie ersetzt werden durch eine Obergrenze des Zuschaueranteils, den ein Konzern mit seinen Sendern erreichen darf.

Wer hat Angst vor dem Marktanteilsmodell?

Doch angesichts der zunehmenden Aufsplitterung des Fernsehmarktes rechnet kaum jemand damit, daß die Kirch-Familie mit ihren Sendern je auf 30 oder 33 Prozent kommt. Die Gefahr für die Meinungsvielfalt liegt in Zukunft eher da, wo die Großkonzerne ihren Einfluß auf verschiedenen Ebenen kumulieren und anderen den Marktzugang verwehren können: beim Zugriff auf Spielfilme (hier ist Kirch der Monopolist), beim Zusammenspiel von Fernsehsendern und TV-Zeitschriften desselben Konzerns (Springer/Kirch) oder bei dem Versuch von Bertelsmann und Kirch, das digitale Fernsehen gemeinsam mit dem Netzbetreiber Telekom unter Kontrolle zu bekommen.

Bei den NRW-Wahlen vom vergangenen Sonntag haben allerdings die harten Konzentrationsgegner noch einmal Aufwind bekommen: Bislang kam die SPD- Landtagsfraktion mit ihrem Medienexperten Jürgen Büssow kaum zum Zuge, weil für Staatskanzleichef Wolfgang Clement die Ansiedlung von Medienunternehmen Priorität hatte. Jetzt aber werden die Grünen zum Regieren gebraucht. Und deren Vorstellungen zur Medienpolitik liegen nicht einmal einen Joghurtbecherwurf von Heide Simonis' Gesetzesvorhaben entfernt. Michael Rediske