Am besten auf links gestülpt

■ Welches Bild von der Natur schleppt man auf Baumwolleinkaufstaschen eigentlich gern mit sich herum? Und warum? Das Protokoll einer Qual der Wahl

Die Aufforderung schien einfach: Im Rahmen einer Untersuchung zum „Naturbild im Alltag“ sollte ich mir aus einem Stapel von Baumwolleinkaufstaschen mit Umweltmotiven eine heraussuchen, mit der ich guten Gewissens zum Einkaufen gehen könnte. Ich fragte mich also, was ich da fast täglich zwischen meiner Wohnung und dem Supermarkt hin- und hertrage, was für ein Bild von Natur ich da eigentlich mit mir herumschleppe. Die Frage ernst genommen, macht den Einkauf aber nicht leichter.

Da liegen sie nämlich. Die erste verspricht „Der Umwelt zuliebe“, als Bild dazu ein Baum mit Loch. Was soll das bedeuten? Das Loch – der Umwelt zuliebe? Symbol für den Durchblick? Druckfehler oder Hinweis auf das Ozonloch? Auf der nächsten dann „Mein Beitrag zum Umweltschutz“. Dem Baum darüber fehlen an einer Seite die Blätter. Der Ursprung dieser Abbildung würde mich interessieren: Stammt sie aus einer Werbebroschüre für Entlaubungsmittel, oder ist sie einem Artikel über das Waldsterben entnommen? Ist es zu teuer, eigene Motive herzustellen, oder möchte die Kaufhauskette mit diesem Bild den Beitrag zum Umweltschutz durch Entidealisierung des Naturbilds, hier repräsentiert durch den Baum, erreichen?

Da wende ich mich lieber einer Tasche zu, auf der ich einfach, aber direkt angesprochen werde: „Mach mit. Sei nett zu Deiner Umwelt.“ Der Baum darüber ist ja ziemlich schablonenhaft, dafür hängen Herzen darin. Hatte Springer jahrelang ein Herz für Kinder, ist dieses objekthafte Denken nun vielleicht endlich aufgehoben: nicht Herz für Bäume, sondern Herz im Baum. So auch beim „Lebensbaum“, der die jahrelang durch Autoaufkleber verbreitete Parole der Baumschulen: „Bäume sind Leben“, abgelöst zu haben scheint. Dieses Exemplar steht solide auf einer bügelartigen Konstruktion – eine geschickte graphische Lösung, die Wurzeln darstellen soll, ohne nach unten in die Schrift zu wachsen.

Auf der nächsten Tasche etwas Vertrautes aus dem politischen Alltag, so wie er uns in den Medien begegnet: „Nicht reden, handeln!“ Dazu ein Baum, der das dringend nötig zu haben scheint – seine visuelle Erscheinung gleicht der eines Gehirntumors. Auch jetzt rede ich schon wieder, statt zu handeln. Vielleicht sollte ich die Tasche lieber durch den Stadtteil tragen, die kleinstmögliche Stadtteilinitiative, sehr flexibel. Der Zeitpunkt wäre gut, es ist später Nachmittag, die Straßen sind dicht bevölkert.

Aber ich habe noch immer die Qual der Wahl. Mein Blick streift eine Weltkugel, darunter: „Ihr Beitrag ist entscheidend für eine bessere Umwelt!“ Mein Beitrag soll entscheidend sein? Werde ich dem überhaupt gerecht mit dieser alltäglichen, durchaus weiblichen Form, eine Tasche zum Supermarkt zu tragen? Mit „Verantwortung Umwelt: Unsere Sache“ übernehme ich mich da sicher ein wenig. „Unsere“ stimmt ja auch nicht, ich gehe ja schließlich allein.

Vielleicht sollte ich den Kontakt zu Mitstreitern, besser: Mitstreiterinnen suchen, dann nehme ich statt Baum lieber „Unsere Umwelt in unserer Hand“ mit Marienkäfer und vierblättrigem Kleeblatt und probiere mein Glück! Oder soll ich doch nur für mich sprechen und die Aussage schlicht halten: mit Eule und „Ich liebe Natur“ zum Beispiel. Oder „Natur im Aufwind“, mit taschenaufwärts fliegendem Vogel, welch hoffnungsvoller Ausdruck! Oder vielleicht doch die kesse Version „Astreine Umwelt“ – hier sitzt der Vogel auf einem Ast mit Hut auf dem Kopf. Humor tut gut, aber wird das dem Ernst der Lage gerecht?

Ich schweife ab, also zurück zu den Bäumen, sie scheinen mehr die Weisheit der Natur selbst zu verkörpern. Also: „Gesunde Luft, Gesunde Bäume“, dazu ein von der Krone bis zur Wurzel grüner Baum; oder einer mit braunem Stamm und Ästen und dem schlichten Untertitel „Für unsere Umwelt“. Vielleicht ist dieses Exemplar aber wieder nicht eindeutig genug. Was genau soll denn „für unsere Umwelt“ sein? Die Tasche, der Baum, der Einkauf, das Eingekaufte oder gar das interaktive Moment zwischen mir und der Tasche? Die nächste Tasche, „Verantworung tragen“, ist eine Ermahnung, mich nicht ablenken zu lassen. Aber da taucht gleich wieder ein Problem auf. Trage ich Verantwortung, nur weil ich die Tasche trage? Der rasch in Schrägschraffur skizzierte Baum vermittelt jedenfalls noch mal die Eile, die in diesem Zusammenhang geboten ist. Auf einem weiteren Modell steht „Die Natur braucht Partner“, wieder eine Botschaft, der ich nur schwer gewachsen bin. Bin ich gemeint? Und wie werde ich zur Partnerin? Oder ist doch nur der männliche Partner gemeint? Wird er zum Partner der Natur, während die Frau den Einkauf macht?

Immerhin scheine ich nicht die einzige zu sein, die sich mit solchen Fragen herumschlägt. Da gibt es nämlich eine Tasche vom Verband der deutschen Psychologen. Die haben die Lage erkannt und schlagen, rein typographisch, vor: „Psychologen gestalten die Umwelt mit Psychologen die Umwelt gestalten“. Weniger wichtig scheint dabei die grammatikalische Kuriosität dieses Satzes, der sich da so kommalos über die Zeilen verteilt. Interessant ist, daß das „mit“ auf einer einzelnen Zeile in der Mitte steht, nicht nur als Teil der beiden sonst wohl unvollständigen Aussagen, sondern in gewisser Weise auch zwischen den beiden vermittelnd. So wird noch einmal deutlich: darauf verstehen sich die Psychologen.

Aber ich verliere mich, kurz vor Ladenschluß, in Feinheiten. So ganz ohne Einkauf soll dieser Versuch nicht zu Ende gehen. Dabei hat mich die letzte Tasche doch an mein Ziel erinnert, mich vom Unbewußten vorzuarbeiten zu einer Haltung, die „Bewußt Umweltbewußt“ ist, wie es so prägnant auf der Tasche einer Aktenordnerfirma steht; darüber ein rundum gelb eingekreister grüner Baum, auf grüner Linie stehend, das Ganze über zwei welligen blauen Linien, schwimmend sozusagen. Das Bewußtsein inzwischen geschärft, erkenne ich den Kreislauf der Natur, das Zusammenspiel der Elemente, schon traditionell im Symbol des Baumes erfaßt. Jetzt muß ich aber los, sonst bekomme ich nichts mehr. Ich suche mir deshalb eine Tasche ohne Bild, das scheint mir einfacher zu sein. Der Verlag Praktisches Wissen schreibt auf sein Exemplar: „Die ganze Welt der Natur!“ Aber ob die Natur diese Welt überhaupt noch haben will? Schon wieder recht kompliziert. Ich werde noch einige Skrupel überwinden müssen, bis ich mit der Tasche, auf der geschrieben steht: „Heute das Morgen gestalten“, durch den Stadtteil laufen mag. Vielleicht ist es am besten, ich stülpe die Tasche mit dem „BIO BAUM“ – amorph, klein und sattgrün – einfach auf links und eile auf dem direktesten Weg zum Bioladen. Angelika C.

Aufgezeichnet von Inge Luttermann und Juliane Westphal