Die Flugzeugindustrie will hoch hinauf

Rund 500 Überschall-Jets werden im Jahr 2015 durch die Ozonschicht fliegen  ■ Von Beate G. Liepert

Nach saurem Regen, Sommersmog, Ozonloch und Klimakatastrophe schickt sich die wissenschaftliche Community an, eine neue Gefahrenquelle für die Umwelt auszuforschen. Nur diesmal in umgekehrter Reihenfolge: Der Verursacher ist schon ausgemacht, nur die Folgen für die Atmosphäre sind noch unklar. „Flugverkehr“ heißt das Schlagwort, um das die Aktivitäten der AtmosphärenforscherInnen und IngenieurInnen zunehmend kreisen.

Betrachtet man die Wachstumsphasen des internationalen Flugverkehrs, wird einem dessen Problematik schlagartig bewußt. Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) rechnet mit einer Zunahme des transatlantischen Flugverkehrs um 48 Prozent, von 175 Millionen Passagier-Kilometern im Jahr 1991 auf 259 Millionen im Jahr 2000. Im selben Zeitraum sollen die Zuwachsraten für den Fernost-Verkehr um 90 Prozent und für den transpazifischen Verkehr sogar auf das Doppelte steigen.

Natürlich wurde von seiten der Flugzeughersteller schon allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus versucht, den Treibstoffverbrauch drastisch zu reduzieren. Dies geschah bereits durch Einführung neuer Technologien, bei welchen die Verbrennung unter größerem Druck und höherer Temperatur abläuft. Der Kerosinverbrauch der Düsenjets konnte so in den letzten zwei Jahrzehnten um die Hälfte gesenkt werden. Jenes spiegelt sich vor allem in einer deutlichen Abnahme der Kohlendioxid- und Wasserdampfemissionen pro Kilogramm Treibstoff wider, jedoch nicht in den Emissionsraten der Stickoxyde. Sie stiegen im Verhältnis zum Verbrauch sogar leicht an. Im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit des Jet-set- Lifestyles konzentriert sich die Forschung folglich auf diese Stickoxyd-Problematik. Der Großteil der Emissionen wird in einer Höhe von 8 bis 12 Kilometern in die Atmosphäre der mittleren nördlichen Breiten freigesetzt. Für einen regulären Flug Frankfurt–New York mit einer Boeing 747 werden durchschnittlich 930 Kilogramm Stickoxyde in die Luft geblasen.

Eine der Hauptschwierigkeiten der Vorhersagbarkeit möglicher Umweltschäden durch den Flugverkehr liegt im Aufbau der Atmosphäre begründet. Sie verändert in einer Höhe von 8 bis 18 Kilometern ihre physikalischen Eigenschaften. Diese Grenzschicht wird als Tropopause bezeichnet. Darüber befindet sich die Stratosphäre mit der Ozonschicht, deren vorherrschenden Prozesse photochemischer Natur sind. Das heißt, Luftmoleküle werden hier durch Sonnenlicht gespalten und durchlaufen dann chemische Kreisläufe, bei denen empfindliche, dynamische Gleichgewichte der Spurengase entstehen. Zwischen Stratosphäre und der darunterliegenden Troposphäre findet kein Stoffaustausch statt. Sie ist also von der Stratosphäre unbeeinflußt. In der Troposphäre laufen all diejenigen Prozesse ab, die gemeinhin als „Wetter“ bekannt sind. Die Grenze zwischen den beiden Schichten liegt bei den Tropen in 16 bis 18 Kilometern Höhe, an den Polen ist sie jedoch schon bei 8 Kilometern zu finden. Langstreckenflugzeuge fliegen zu einem guten Drittel über der Grenzschicht, sie verschmutzen daher als einzige direkte Emittenten die Stratosphäre.

Trotzdem lautet das Motto der Flugzeugindustrie für die Zukunft: Schneller – höher – weiter. Bis in das Jahr 2015 plant sie daher für die zivile Luftfahrt eine Flotte von rund 500 Maschinen, die 2- bis 2,4fache Schallgeschwindigkeit erreichen. Diese müßten folglich in einer Höhe von 15 bis 21 Kilometern fliegen, mitten in der ohnehin schon angeschlagenen Ozonschicht. Selbst der fortschrittsgläubigen Flugzeugindustrie ist es dabei etwas bange. Zusammen mit der Nasa initiierten sie daher bereits 1990 ein aufwendiges Forschungsprogramm zur Untersuchung der Auswirkungen stratosphärischen Flugverkehrs. Auch die Bundesregierung zog 1992 mit einem Forschungsschwerpunkt „Schadstoffe aus Flugverkehr“ nach, den die DLR zusammen mit der Industrie aufbaute. Ziel ist es dabei, bereits vor Einführung dieser neuen Technologie mögliche Umweltschäden abzuschätzen und eventuell neue Standards für den Flugverkehr vorzuschlagen.

Leider stellte sich nach Anlaufen der Forschungen heute heraus, daß sowohl die Unwissenheit über die Flugzeugemissionen selbst als auch über den Zustand der unbelasteten Atmosphäre in diesen Höhen enorm ist. Abgase von Flugzeugmotoren werden normalerweise nur im Labor – in sogenannten Höhentestzellen – untersucht. Erstmals im Jahr 1994 wurden fünf Linienflugzeuge vom Typ Airbus 340 mit Meßeinheiten für Wasserdampf und Ozon ausgerüstet. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn die DLR den globalen Stickstoffausstoß im Jahr 2015 für Simulationsrechnungen mit 2,8 Millionen Tonnen prognostiziert und die Nasa dagegen bei annähernd gleichen Treibstoffverbrauchszahlen nur mit 1,5 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Der explosive Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 – ein Jahrhundertereignis – transportierte 20 Millionen Tonnen Masse in die Stratosphäre. Abgesehen von dem quantitativ nicht eindeutig abschätzbaren Eintrag an Stickoxyden in die Atmosphäre, ergeben die physikalisch-chemischen Modellrechnungen unterschiedlichste Ergebnisse, je nachdem welche chemischen Prozesse man meint berücksichtigen zu müssen und welche nicht. Ein Problem sind vor allem sogenannte „heterogene“ Prozesse, bei welchen feste und flüssige Bestandteile der Luft beteiligt sind. Feste Bestandteile können zum Beispiel die Eis- oder gefrorenen Salpetersäureteilchen der polaren Wolken in der Stratosphäre sein, bekannt als Bindeglied im Ozonabbau des antarktischen Ozonlochs. Auch Schwebeteilchen aus Sulfat spielen wahrscheinlich eine Rolle dabei.

Momentan vermutet man, daß die Stickoxydemissionen der hochfliegenden Flugzeuge Ozon abbauen, während die weiter unten fliegenden Jets uns eine Ozonzunahme bescheren. Allerdings gilt diese Aussage nur für die mittleren Breiten, denn in polaren und tropischen Gegenden sieht die Sache schon wieder ganz anders aus.