An der Hand des Merkel-Klons

Ein Staatsanwalt ermittelt gegen „Die Staatsanwältin“  ■ Von Dietrich Kuhlbrodt

Nachdem ich seinerzeit zum Staatsanwalt ernannt worden war, hatte ich bei meinen Freunden von der Presse den Spitznamen weg: „Scharfrichter“. Und ging ich ins Kino, fühlte ich mich durchschaut, sobald „Rosen für den Staatsanwalt“ lief. Heute aber gibt's „Die Staatsanwältin“, und nun ist alles anders und alles wieder gut und das noch unverdient. Kein Hohn- & Makelname mehr, sondern jawoll- ich-bin-Staatsanwalt, oder richtiger Staatsanwältin, und ich bin stolz darauf. Lieblichen Dank Lena Stolze, Titelheldin und Staatsanwältin zum Küssen gern, grad noch hatte sie in „Tropenarzt Dr. Vogt“ gespielt, und ein kameradschaftlicher Gruß an Regisseur Thomas Jacob, der sich um die Staatsanwaltschaft verdient gemacht hat. Auch hatte er zuvor 24 Folgen „Bergdoktor“ gedreht. Die Ärztefilme haben ausgedoktert, jetzt sind wir dran, hehe, positives Image, klasse Identifikationsfigur für alle, und in der Berliner Kneipe „Kumpelnest“ kann ich mein Coming-out als Staatsanwalt wagen.

Wir StaatsanwältInnen also auf dem Weg nach ganz oben in den Charts der Publikumsgunst, da kann uns kein Justizminister mehr links liegenlassen, drum kommt „Die Staatsanwältin“ uns gerade recht für die Vorstandssitzung unserer berufsständischen Vereinigung, die auf den 30. Mai, 20.00 Uhr anberaumt ist. Dort werde ich erklären, daß es völlig bescheuert gewesen wäre, „Die Staatsanwältin“ aus berufsständischer Sicht gar zu kritisieren. Alles Mumpitz, sich über dieses oder jenes aufzuregen, und daß der Justizalltag ganz anders aussieht (Beispiel Nr. 1: Wer sich wie im Film eine Fliege umbindet und zur Kollegin „Frau Kollegin“ sagt, kriegt in der Realität von der was auf den Sack. Beispiel Nr. 2: Wer wie die Filmstaatsanwältin am Tatort ein Notizbuch, darin die allerwichtigsten Adressen der russischen (?) Uranmafia, klaut, um den geliebten Täter zu schützen, der wird vom Generalstaatsanwalt nicht lieb angeguckt, sondern in der Realität eiskalt in den Knast geschickt – wegen Strafvereitelung. Beispiel Nr. 3: Wer wie der Filmgeneralstaatsanwalt einen Polizisten und damit den Beamten einer anderen Behörde suspendieren möchte, kommt in der Realität nicht ungeschoren davon, denn er begeht das allerschlimmste Verbrechen, nämlich eine Zuständigkeitsverletzung).

Wird sich wer über derlei Verstöße aufregen? Eben. Deshalb also mein Vorschlag für den 30. Mai, wenn wir Staatsanwälte wieder jammern über Zehnstundenarbeitstag und mangelnde Fürsorge durch den obersten Vorgesetzten. Dann werde ich sagen: Leute! (nicht: Kollegen), keine Kritik am Bild der ZDF-Staatsanwältin! Unsere Taktik muß grad umgekehrt sein: passen wir lieber unsere kaputte und triste Justizrealität der heilen Filmwelt an! Herr Justizminister, sehen Sie sich „Die Staatsanwältin“ an! Wir fordern Zeit, menschliche Beziehungen auch während der Arbeitszeit wahrnehmen und pflegen zu können! Wir wollen mit Fliege oder doch Krawatte, ausgeruht und gekämmt die majestätischen Treppen unseres Justizpalastes hinauf- und hinunterschreiten. Die Öffentlichkeit erwartet solch ein Bild von uns. Und wehe, Herr Justizminister, Sie ändern nichts. Sie würden sich des Bildverstoßes schuldig machen!

Fassen wir zusammen. Das Bild, das der Film von der Staatsanwaltschaft gibt, ist schlüssig, schön und ideal. Nur die Realität müßte entsprechend eingerichtet werden. Man müßte lediglich alle Stellen mit dem Typ Ministerin Merkel besetzen (Klar, Frau Stolze spielt die Rolle, aber Frau Merkel wäre noch besser gewesen). Staatsanwältin Merkel also könnte in ihrer lieb-bescheidenen Art nichts falsch machen, auch das Bild der Staatsanwaltschaft nicht beschädigen, weil alle wie bei der aktuellen Umweltpolitik sagen würden: Was sollte die arme Frau denn anderes machen? Im ZDF-Film ist es daher auch o.k., wenn die Strafverfolgerin auf der Straße ein fremdes Kind in ihr Auto huppen läßt, um im dunklen Gestrüpp dann mit ihm auszusteigen – zwecks Wahrheitsfindung. Nichts Böses kann passieren, nimmt einen die Merkel oder der Merkel-Klon an die Hand, liebe Frau Stolze.

Der Autor arbeitet als Staatsanwalt und Filmkritiker in Hamburg.