Ein Kriegsverbrecher als Kriegsopfer

■ Der Massenmörder von Oradour, Heinz Barth, erhält jeden Monat im Zuchthaus 800 Mark Kriegsversehrtenrente

Berlin (taz) – Ein zu lebenslänglich verurteilter Kriegsverbrecher bekommt im Land Brandenburg seit Januar 1991 eine Kriegsopferrente von etwa 800 Mark im Monat – und laut Gesetzeslage ist dies völlig in Ordnung. Heraus kam diese bizarre Geschichte am Mittwoch durch eine parlamentarische Anfrage des PDS-Abgeordneten Michael Schumann. Die Reaktion der Landesregierung war kurz und hilflos. Rückfragen des brandenburgischen Landesversorgungsamtes beim für diese Fragen zuständigen Bundesarbeitsministerium hätten ergeben, so erklärte ein Ministeriumssprecher, daß die Rente formal völlig zu Recht überwiesen werde. „Auch wenn es einem die Haare zu Berge stehen läßt, daß ein überführter Kriegsverbrecher gleichzeitig Kriegsopfer sein soll.“

Bei dem in den neuen Ländern bisher einmalig bekannt gewordenen Fall handelt es sich um den 75jährigen Heinz Barth. Als Zugführer der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“, also als Angehöriger der Waffen-SS, beteiligte er sich maßgeblich am 10. Juni 1944 am Massaker in dem französischen Dorf Oradour, nordwestlich von Limoges. 642 Zivilisten, darunter 202 Kinder, wurden damals erschossen, erschlagen, verbrannt, angeblich als Vergeltungsaktion für Partisanen-Aktionen der Resistance. Nach diesem Massenmord zog Heinz Barth wieder zur regulären Front und wurde dort kurz vor Kriegsende schwer verletzt. Der ab den frühen fünfziger Jahren international gesuchte Kriegsverbrecher konnte sich – vermutlich schon im Lazarett – ein fremdes Soldbuch beschaffen und lebte mit dieser fremden Identität jahrzehntelang unerkannt in dem brandenburgischen Dorf Gransee.

Erst am 7. Juni 1983 verurteilte ihn das Stadtgericht Ost-Berlin wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft. Seitdem sitzt er im Zuchthaus von Brandenburg/Havel. Ein Gnadengesuch lehnte der Berliner Senat 1992 ab.

Den Antrag auf eine Kriegsopferrente stellte Barth – mit Absender Zuchthaus Brandenburg – im Jahre 1992. Er nutzte damit aus, was in der Bundesrepublik seit 1950 Gesetz und bis heute niemals modifiziert worden ist. Denn seit 1950, und nach Unterzeichnung des Einheitsvertrages auch in der DDR ab 1. Januar 1991 geltend, erhielten und erhalten alle an der Front verletzten ehemaligen Soldaten eine Versehrtenrente, deren Höhe sich nach dem Verletzungsgrad richtet. „Ausschlußgründe“ gab und gibt es auch nach dem Überleitungsvertrag nicht, denn eine Lex „keine Versehrtenrente für Kriegsverbrecher“ wurde niemals verabschiedet. In die Kritik, vor allem der PDS, kamen die fehlenden Ausnahmeregelungen, nachdem die Zusatzrenten für ehemalige Angehörige der DDR-Nomenklatura und der Stasi sehr wohl von der Bundesrepublik gekürzt worden waren.

Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) will sich jetzt dafür einsetzen, daß „die offensichtliche Differenz zwischen erfüllter Rechtslage und dem, von dem wir meinen, daß es Gerechtigkeit ist, ausgefüllt wird“. Wie, verriet sie dem Landtag nicht. Dabei liegt das Offensichtliche auf der Hand. Noch immer sind die Kriegsdienstverweigerer, die Deserteure und die von Militärgerichten wegen Wehrkraftzersetzung Verurteilten nicht rehabilitiert. Und noch immer sind die Opfer von SS- und Wehrmachts-Verbrechen – sofern sie, wie die baltischen Juden, im Osten leben – nicht entschädigt. Dieses zweierlei Recht – Renten für verletzte deutsche Täter, aber nur nette Worte für deren nichtdeutsche Opfer – ist der eigentliche Skandal des Falls des Massenmörders Barth. Anita Kugler