Weichende Erben

■ Lobenswerter Filmbeitrag zur Ex-DDR-Umgestaltungskampagne

Seit der Wende drängen nicht nur die arbeitslos gewordenen Ostler in den Westen, umgekehrt sickern auch immer mehr West-Glücksucher in den Osten ein. Die wesentlichsten Betriebe sind inzwischen in westdeutscher Hand, dito die großen Forste, die besten Böden, sämtliche Interhotels, fast alle Lehrstühle und Leitungsstellen in Behörden.

„Lieber nach Osten als nach Kanada“, ein Dokumentarfilm von Sophie Kotanyi und Ulli Frohnmeyer, verfolgt die mehrjährige Enwicklung eines „landwirtschaftlichen Projekts“ in Mecklenburg- Vorpommern von Anne Schritt und Wilhelm Höper aus Schleswig- Holstein. Als „weichende Erben“ konnten beide den Hof ihrer Eltern nicht übernehmen. Schon immer waren solche Nachgeborenen dort nach Pommern ausgewichen. Anne und Wilhelm gelang es 1991, ein 300 Hektar großes kirchliches Gut in Strellin zu pachten, auf dem sie biologisches Getreide anbauen und eine Milchviehproduktion aufbauen wollten.

Die Filmemacher sind schon lange mit den beiden befreundet: Ulli Frohnmeyer arbeitete einmal auf dem Hof von Wilhelms Eltern. Der gebürtige Schwabe ist Diplomlandwirt und war stellvertretender Leiter der Grünen Woche, jetzt arbeitet er als Umweltberater bei der Messeleitung. Sophie Kotanyi ist in Ungarn geboren, wuchs in Belgien auf und hat schon mehrere Langzeitfilmprojekte realisiert, erwähnt sei der über eine Agrar- Kooperative auf den Kapverdischen Inseln und eine dreijährige Dokumentation der Veränderungen eines Dorfes in Guinea-Bissau durch Entwicklungshilfe, den sie dort gerade auf Dorfplätzen zeigt.

Auch an dem Film über das vorpommersche Landwirtschaftsprojekt arbeitete Sophie Kotanyi mit ihrem Freund Ulli Frohnmeyer drei Jahre lang, und im Sommer wird er mit einem Videobus von der mecklenburg-vorpommerischen Filmförderung in verschiedenen Dörfern gezeigt werden.

Für das junge Bauernpaar galt es erst einmal, sich einzurichten, Arbeitskräfte einzustellen und einen großen Kuhstall zu bauen. Die Landmaschinen wurden auf Kredit gekauft. Zur Einweihung des Stalls gab es ein Dorffest, und der Pfarrer der Nachbargemeinde, Schorlemmer, hielt eine Rede. Inzwischen kann die Ernte als biologisch anerkannt verkauft werden, so daß sich der Betrieb mit seinen 4 bis 5 Mitarbeitern zu einem Drittel davon trägt, ein weiteres Drittel bringt die Milchproduktion, und das letzte kommt über EG-Mittel herein.

Ihren filmenden Begleitern war bei diesem „Aufschwung Ost“- Beispiel wichtig: Wie würden die Nachbarn, das Dorf Strellin und die Mitarbeiter auf die Westler reagieren? Und würden sich diese als Kolonialisten gebärden beziehungsweise als solche angesehen werden? Anne und Wilhelm trafen zunächst tatsächlich auf Skepsis und Mißtrauen. „Wir hatten befürchtet, daß es schwer sein würde, dies zu dokumentieren“, meint Sophie Kotanyi, „aber die ,Einheimischen‘ sprachen offen über ihre Gefühle vor der Kamera.“

Unerwartete Probleme gab es jedoch mit Anne und Wilhelm, „die sich bald vor uns fürchteten und versuchten, ein allzu glattes Bild von sich abzugeben. Es plagte sie die Angst, ihre Bemühungen um Akzeptanz in der Gegend wären gefährdet, würden sie sich offen über die Menschen in ihrer neuen Umgebung äußern. Sie versuchten zu kontrollieren, was in den Film hinein dürfte und was nicht. Neben der Anstrengung des Hof-Aufbaus produzierten wir mit unserer Anwesenheit als Filmteam zusätzlichen Streß. Außerdem bereitete unsere Kamerafrau aus der DDR, Julia Kunert, ihnen Mühe, offen zu ihren Meinungen zu stehen. Uns schubsten sie dafür mehr als einmal, unsere ,Berührungsängste‘ mit den Einheimischen zu überwinden.“

In „Es lohnt sich heute mehr, nach Osten zu ziehen, als nach Kanada“, so der vollständige Gedanke von Anne, geht es auch um ihre immer noch unklare Rolle zwischen Haushalt, Kindern, Buchhaltung, Vermarktungsaktivitäten und ihrem Anspruch, Mit- Chefin auf dem Hof zu sein. Wilhelms Rolle als Chef ist vergleichsweise einfacher gestrickt, aber auch er – von antiautoritärem Gedankengut angekränkelt und bemüht, kein Besserwessi zu sein – kann und will dabei nicht einfach auf traditionelle Verhaltensmuster zurückgreifen.

Selbst wenn das bisweilen der eine oder andere Mitarbeiter verlangt, der LPG-Kader gewohnt war. Dafür gab es „früher“ keine Entlassungen, selbst bei exzessivstem Alkoholkonsum nicht, wohl aber jetzt – bei dem neuen Gutsherrn, der nicht nur von staatlichen und marktwirtschaftlichen Strukturen abhängig ist, sondern sich auch noch mit den Zwängen der europäischen Agrarförderung auseinandersetzen muß.

Im Dorf Strellin lief der Film bereits – und war dort ein großer Erfolg. Helmut Höge

„Lieber nach Osten als nach Kanada“ von Sophie Kotanyi und Ulli Frohnmeyer, ab heute, 20 Uhr, Arsenal, Welser Straße 25