Konfrontation statt Kooperation

Die Liste der Probleme, mit denen sich Bill Clinton und Boris Jelzin bei ihrem Moskauer Gipfeltreffen beschäftigen mußten, ist in den letzen Wochen immer länger geworden  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Selten war ein Gipfeltreffen schon vor Beginn so nachdrücklich zu einer Talfahrt erklärt worden wie die Zusammenkunft von Bill und Boris – einst unzertrennliche Freunde und Wegbereiter eines neuen, kooperativen Verhältnisses zwischen Rußland und den USA. Statt dessen kam der US-Präsident dieses Mal mit reichlich Konfliktpotential im Gepäck: Nato-Erweiterung, die russische Militärintervention in Tschetschenien, Moskaus Haltung im Bosnien-Krieg, russische Atomgeschäfte mit dem Iran, Jelzins zwielichtige Politikberater, die ungewisse Zukunft von Abrüstungsverhandlungen – die Liste ist immer länger geworden.

Es war nach Angaben aus dem Weißen Haus Clintons „höchstpersönliche Entscheidung“, anläßlich des 50. Jahrestages des Kriegsendes nach Moskau zu reisen. Nicht nur unter seinen Beratern war dieser Schritt angesichts des Krieges in Tschetschenien umstritten gewesen. Auch Menschenrechtsgruppen im In- und Ausland hatten Clinton aufgefordert, aus Protest den Zeremonien in Rußland fernzubleiben.

Doch der US-Präsident war am Ende überzeugt, daß nur eine persönliche Begegnung mit Jelzin das zunehmend eisigere Verhältnis zwischen Rußland und den USA wieder auftauen könnte – wenngleich er mehrfach betonen ließ, daß sein Besuch in erster Linie eine Geste an das russische Volk und eine Respektbezeugung für dessen Opfer im Zweiten Weltkrieg sei. Einer demonstrativ gigantischen Militärparade, auf der die russische Armee offenbar alles aufbot, was sie derzeit aufzubieten hat, blieben Clinton und andere westliche Staatsschefs denn auch aus Protest gegen den andauernden Krieg in Tschetschenien fern.

Man mochte die Parade als martialische Show einer in Wirklichkeit demoralisierten Armee sehen, doch in den Augen vieler amerikanischer Rußland-Experten und vieler Konservativer im US-Kongreß bestätigte diese Szene ihre Forderung nach einem konfrontativen statt kooperativen Ansatz. Es gehe, so Michael Mandelbaum, Mitglied des „Council on Foreign Relations“, in der New York Times, um eine Strategie der „Eindämmung eines kleineren Rußlands, das zwar nicht mehr kommunistisch, aber weiterhin aggressiv“ sei.

Nun ist die Clinton-Administration weit davon entfernt, sich dieser Linie anzuschließen, doch auch im Weißen Haus hat man deutlich Abstand genommen von der Prämisse des „Russia First“, wonach sich die gesamte Außenpolitik in Osteuropa an dem Kriterium zu orientieren hatte, Boris Jelzin und den Reformprozeß in Rußland nicht zu schwächen. In der Frage der Nato-Erweiterung ist der „Russia First“-Flügel in der US- Regierung gewissermaßen vom „Germany First“-Flügel verdrängt worden, der Deutschland nicht in der Rolle des „Frontstaates“ der Nato belassen will.

Das Angebot, im Rahmen des „Partnership for Peace“-Programms in die Debatte um Nato- Erweiterung integriert zu werden, hatte Boris Jelzin bereits im Dezember auf dem KSZE-Gipfel in Budapest vom Tisch gefegt und einen „kalten Frieden“ prophezeit, sollte das westliche Verteidigungsbündnis mit seinen Expansionsplänen voranschreiten. Ähnliche Töne schlug der russische Präsident kurz vor dem Clinton-Besuch in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Time an. Doch in Washington läßt man mittlerweile keine Zweifel mehr daran, daß man Länder wie Polen und Tschechien in den nächsten fünf Jahren in die Nato aufnehmen will – allen Einwänden und Drohgebärden aus Moskau zum Trotz.

Eine entsprechende Zusicherung hatte sich nach Angaben der New York Times der tschechische Premierminister Václav Klaus bei einem Washington-Besuch am letzten Donnerstag abgeholt. Mit einem knappen Nein soll Bill Clinton auf die Frage des Gastes geantwortet haben, ob er in Moskau Boris Jelzin erlauben würde, den Prozeß der Nato-Erweiterung zu verlangsamen.

Beim Gipfeltreffen in Moskau erklärte Boris Jelzin zwar erneut die Bereitschaft Moskaus, dem Partnerschaftsprogramm beizutreten. Angesichts der ständigen Kurswechsel der russischen Außenpolitik dürfte die bloße Erklärung Clinton nicht gerade zufriedenstellen.

Clintons unnachgiebigere Haltung gegenüber seinem ehemaligen Gipfelkumpel Boris reflektiert auch den wachsenden Unmut im US-Kongreß. Die oppositionellen Repulikaner konzentrierten ihre Kritik an Clintons Rußland-Politik in den letzten Tagen vor allem auf den geplanten Verkauf russischer Atomkraftwerke und einer Wiederaufbereitungsanlage an den Iran.

Sowohl der Fraktionsführer der Republikaner im Senat, Robert Dole, als auch der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, prophezeiten kurz vor Clintons Abreise nach Moskau ein Scheitern der Rußland-Hilfe im Parlament, sollte der US-Präsident seinem Amtskollegen Boris Jelzin das Atomgeschäft nicht ausreden können.

Nach herrschender Gesetzeslage im Kongreß müßte die Wirtschaftshilfe für Rußland, die im letzten Jahr rund eine Milliarde Dollar betragen hat, gestoppt werden, falls Rußland dem Iran technologische Güter zur Atomwaffenproduktion verkauft. Auf massiven Druck der USA hat die Jelzin-Regierung nun offiziell erklärt, daß sie die für die Anreicherung von Uran benötigte Aufbereitungsanlage nicht liefern und außerdem dafür sorgen wird, daß abgebrannte Brennelemente nicht im Iran wiederaufbereitet werden.

In der Frage der beiden Atomreaktoren allerdings befinden sich die USA in einem Dilemma, das auch Boris Jelzin nicht entgangen ist: Er verweist immer wieder darauf, daß Rußland im Fall Iran nur recht ist, was den USA im Fall Nordkorea billig war – die Lieferung von Atomreaktoren zur zivilen Energienutzung.