Diepgen als Betriebsratsvorsitzender

■ 3.500 Siemens-Arbeiter demonstrierten mit dem Regierenden gegen Arbeitsplatzabbau

„Das ist eine Schweinerei“, ruft Jürgen Schulz. „Obwohl wir schwarze Zahlen schreiben, sollen hier rund 650 Stellen abgebaut werden.“ 3.500 Arbeiter von Siemens Berlin applaudieren ihrem Betriebsratsvorsitzenden, aber entschlossen klingt der Beifall nicht. Der Grund der gestrigen Protestkundgebung vor dem Verwaltungsgebäude des Unternehmens in Spandau ist für sie auch traurig genug: Siemens, Berlins größter Arbeitgeber, will Teile der Kabelproduktion bis Anfang 1997 nach Schwerin und nach Bratislava in der Slowakei verlagern.

Zwar sind für die kommenden Wochen noch Gespräche zwischen Vorstand und Betriebsrat geplant. Aber die Betroffenen haben keine Hoffnung mehr, daß der Vorstand seine Entscheidung revidiert. Die Stimmung im Werk sei „schlechter als schlecht“, meint Frank-Michael Fiolka. Der Rohrleger ist erst 36 Jahre alt, glaubt aber nicht, daß er eine neue Stelle findet. „Berlin hat keine industriellen Betriebe, bei denen ich arbeiten könnte.“

Betriebsratsmitglied Güngör Demirci erzählt, daß nicht nur die Kabelwerker vor der Arbeitslosigkeit stehen. „Auch im Siemens- Hausgeräte-Werk will der Vorstand 600 Stellen streichen und die Waschmaschinen künftig in Nauen produzieren.“ Die IG Metall hat es fein säuberlich aufgelistet: Über 5.000 Stellen hat der Konzern in den letzten drei Jahren allein in Berlin gestrichen.

Die Arbeiter glauben, daß der Wegfall der Berlin-Förderung, höhere Subventionen, Investitionszulagen in Ostdeutschland sowie niedrigere Lohnkosten in der Slowakei die Gründe für die Teilstillegung des Werks und die Entlassungen sind. Eberhard Diepgen hält diese betriebswirtschaftlichen Überlegungen für kurzsichtig. „Die Förderungen für Ostdeutschland werden nicht immer so bleiben“, erklärte der Regierende Bürgermeister, der es sich gestern nicht hatte nehmen lassen, selbst an der Protestkundgebung teilzunehmen. Diepgen ist über die Entlassungen offenbar so aufgebracht, daß er seine langweilig-diplomatische Art vergaß und sich richtig in Fahrt redete. Mit hochrotem Kopf warf er dem Konzern vor, daß es sich dieser mit der Verlagerung von Standorten zu einfach mache und nicht nach alternativen Lösungen suche. „Für kurzfristige Gewinne darf man seine Seele nicht verkaufen“, rief er, und es klang, als redete dort der Betriebsratsvorsitzende.

Gestern zumindest hat Siemens in Berlin keine Gewinne gemacht. Laut Michael Böhm von der IG Metall lagen Kabelwerk und Hausgerätewerk still, „die anderen hatten eine verlängerte Mittagspause“. Nina Kaden