■ 1945/46 – Augenblicke, als die Männerherrschaft wankte
: Erzwungene Emanzipation

„Immer wieder bemerke ich in diesen Tagen, daß sich mein Gefühl, das Gefühl aller Frauen den Männern gegenüber ändert. Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das schwächliche Geschlecht. Eine Art Kollektiventtäuschung bereitet sich unter der Oberfläche bei den Frauen vor. Die männerbeherrschte, den starken Mann verherrlichende Welt wankt – mit ihr der ,Mythos‘ Mann.“ So steht es in einer Tagebuchnotiz vom April 1945, aufgeschrieben von einer anonym gebliebenen Frau, die die Eroberung Berlins miterlebte.

„Ohne die Frauen wäre das Leben in Berlin im April 1945 erloschen“, urteilte der Journalist Erich Kuby in seinem Bericht „Der Kampf um Berlin“. Bis heute erinnert man sich der Trümmerfrauen. Allein in Berlin arbeiteten 1945 30.000 Frauen im Baugewerbe. Die Erfahrungen der ersten Nachkriegszeit durchbrachen in vielen Bereichen die traditionellen, auf die Geschlechter bezogenen Rollenerwartungen. Nicht nur auf dem Bau, sondern auch in vielen anderen Bereichen arbeiteten zahllose Frauen in sogenannten Männerberufen; in der alltäglichen Lebensbewältigung mußten viele auf männliche Unterstützung verzichten. Die Überlebensarbeit lastete in der ersten Zeit nach Kriegsende im wesentlichen auf weiblichen Schultern. In den größeren Städten wurden kurz nach Ende des Krieges Frauenausschüsse ins Leben gerufen. 1946 wurde lebhaft – wenn auch ergebnislos – über die Gründung einer Frauenpartei diskutiert.

„Berlin blickt auf Berlins Frauen, sie werden diese Wahl entscheiden“, titelte die damals vielgelesene Frauenzeitschrift Sie im Oktober 1946. Der überproportionale Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung ließ weibliches Wahlverhalten zu einem politischen Gewicht werden. Der Zusammenbruch der Wirtschaft, die Not und der Hunger stellten die Mehrzahl der Frauen vor neue Aufgaben: Enttrümmern, „Organisieren“ (also Stehlen und Plündern), der Kampf um Wohnung und Lebensmittel, vom Wasserholen bis zum „Anschlafen“ – so das zeitgenössische Kürzel für Überlebensprostitution. Für Frauen wurde das Ende des Krieges und die ersten Nachkriegsjahre nicht nur zum Erlebnis des „Zusammenbruchs“, sondern auch zum Erlebnis der eigenen Kraft.

Daniel Lerner berichtete in seinen 1946 erschienenen „Notizen aus dem besetzten Deutschland“, daß die Männer traumatisierter auf das Ende des Nationalsozialismus reagierten, sich weitaus stärker als Opfer der Verhältnisse erlebten. Die Niederlage mußte den nationalsozialistischen Männerkult fragwürdig erscheinen lassen. „Die Welt, in der ein Hitler groß werden konnte, war eine Männerwelt. Unsere ganze Zivilisation ist das Produkt von Generationen, in denen wir Frauen nicht viel mitzureden hatten. (...) Weil wir erkannt haben, daß eine alleine von Männern regierte Welt immer wieder zu einem solchen Chaos führen muß, (...) darum meinen wir, sei es Zeit, daß Frauen sich um Politik mitbekümmern“, schrieb eine Leserin an die Sie.

Im nachhinein wissen wir, daß es solcher Hoffnungen zum Trotz zu einem massenhaften Aufbruch von Frauen in die Politik nicht kam. Appelle, daß die Frauen nach dem „Zusammenbruch einer männlich geleiteten Welt“ aus ihrer politischen Lethargie erwachen und zur „tätigen Mitarbeit an die Staatsspitze schreiten“ sollten, fanden wenig Resonnanz. Die Versuche einiger weniger Unermüdlicher, an die alte Frauenbewegung vor 1933 anzuknüpfen, hatten wenig Erfolg.

Es sollte Jahrzehnte dauern, bis Frauenverbände wieder einen vergleichbaren öffentlich-politischen Einfluß gewannen, wie ihn der „Deutsche Frauenbund“ in der Weimarer Republik mühselig erkämpft hatte. Die Brüchigkeit normativer geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen wurden vielmehr von der Mehrheit der Frauen eher als Manko denn als Möglichkeit zur Emanzipation wahrgenommen. Ein Leitartikel der Sie urteilt: In keinem „vergleichbaren Zustand der Weltgeschichte“ seien „die letzten menschlichen Zusammenhänge (...) so naturwidrig über den Haufen geworfen“ worden. Die Familie sei „so durcheinander gerüttelt, daß alle Berufs- und Pflichtgrenzen dabei in Unordnung geraten“ seien: „Die Grenzpfähle liegen irgendwo quer im Felde.“

In den Westzonen wurden die Grenzpfähle zwischen den Geschlechtern schon bald wieder aufgerichtet. Frauen wurden ab 1947 wieder aus dem Erwerbsleben verdrängt. Die Folge war ein massiver Anstieg der Frauenarbeitslosenquote. Der Frauenanteil an den Universitäten ging in den Westzonen durch Erschwernisse der Neuimmatrikulation sogar zurück. Die Forderung der ersten Nachkriegsjahre, „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, konnte nicht durchgesetzt werden. Im Gegenteil, die Minderbezahlung von Frauen wurde in der Bundesrepublik in den sogenannten „Leichtlohngruppen“ institutionalisiert. Eine perfide Steuergesetzgebung (das eheliche Steuersplitting) begünstigt bis heute einseitig den in der Regel männlichen Hauptverdiener und schuf ein Heer von ökonomisch abhängigen Nebenverdienerinnen.

Es bedurfte einiger Mühe, um die Gleichberechtigung im Grundgesetz der Bundesrepublik formal zu verankern. Die juristische Umsetzung dieses Grundrechtes ist bis heute noch nicht vollständig eingelöst. Anfang der fünfziger Jahre wurde mit der sogenannten „Familienbewegung“ die „Renaissance der Familie“ eingeläutet. Die Ära Adenauer ist unvorstellbar ohne die familiaristische Orientierung und das damit verknüpfte konservative Frauenbild. Bereits in der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gründete Franz-Joseph Würmeling die „Kampfgruppe für die Familie“. Sein entscheidender Erfolg war 1953 die staatliche Genehmigung einer bis dato unbekannten Einrichtung: das Familienministerium. Der Vorkämpfer selbst wird zum ersten Familienminister. Die Hoffnungen, die eine Minderheit engagierter Frauen während des Interregnums zwischen dem Ende des tausendjährigen Reiches und der Gründung zweier deutscher Staaten hegten, waren schon bald in weite Ferne gerückt. Erst Ende der sechziger Jahre sollte eine neue Generation von Frauen einige der alten Forderungen und Träume wieder aufleben lassen.

In einem Essay zum Thema Frauenemanzipation schrieb die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, die Mehrheit der Frauen seien von der Not emanzipierte, geschundene Überlebende gewesen, für sie habe das Vordringen in neue Bereiche tagtägliche Erfahrungen von Überforderung, Verzicht und Überlastung mit sich gebracht.

Es scheint so, als sei für die vielen Frauen im Nachkriegsdeutschland die Wiederherstellung der alten Grenzen, die Stabilisierung der Ehen und Familien verheißungsvoller gewesen zu sein als die erzwungene Emanzipation. Susanne zur Nieden

Historikerin und Germanistin. Arbeitsschwerpunkt: Sammlung und Auswertung biographischer Texte aus dem Zweiten Weltkrieg. Erschienen u.a. (mit Ingrid Hammer) „Sehr selten habe ich geweint“, Zürich 1992