Von einem Heim ins nächste Ghetto

Die Vertragsarbeiterunterkünfte in der Marzahner Havemannstraße werden derzeit entmietet / Für die wenigsten der VietnamesInnen endet die Aktion jedoch mit einer eigenen Wohnung  ■ Von Kathi Seefeld

In der Havemannstraße 38 hatten die MieterInnen, ehemalige vietnamesische VertragsarbeiterInnen, ihre Kündigungen bereits Ende letzten Jahres erhalten. Jetzt flatterten zum 30. April weiteren 81 Mietparteien im Aufgang Nummer 36 entsprechende Schreiben ins Haus – den BewohnerInnen der Havemannstraße 34 wird zum 30. Juni gekündigt.

Aufregung darüber, die Heime räumen zu müssen, herrscht bei den VertragsarbeiterInnen allerdings kaum noch. Während vor einem halben Jahr verstärkte Polizeipräsenz die Leerzugsaktionen begleitete, viele der BewohnerInnen unsicher waren, wie sie mit der Kündigung umgehen sollten und fürchteten, auf die Straße geworfen zu werden, verläuft diesmal alles ganz ruhig. So jedenfalls Gerd Neubert, Ausländerbeauftragter der Wohnheimbetreiberin Arwobau. Mit den Leuten, die sich illegal in den Häusern aufgehalten hatten, sei gesprochen worden. „Da sie alle außerhalb von Berlin ihre Asylverfahren laufen hatten, haben wir sie gebeten, in diese Orte zurückzukehren.“

Die Apartment- und Wohnungsbautengesellschaft ist an Konfrontation nicht mehr interessiert. Bis zum Ende dieses Jahres muß sie die Gebäude an die Eigentümerin, die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn, zurückgeben. Dazu, erklärt Neubert, sei man auf der Basis von Verträgen verpflichtet, die unmittelbar nach der Wende, noch zu DDR-Zeiten, abgeschlossen wurden.

Doch die ehemaligen VertragsarbeiterInnen, die nach der Wende die sprunghaft gestiegenen Mieten nicht mehr alleine aufbringen konnten, teilten sich mit Landsleuten die Quartiere. Illegalem Aufenthalt und Zigarettenhandel war schlagartig der Boden bereitet – die Wohnheime in der Havemannstraße wurden zunehmend Ziel polizeilicher Großeinsätze. Immer wieder hieß es „Gefahr im Verzug“, die Beamten nähmen beim Aufbrechen von Türen selten Rücksicht auf Familien mit Aufenthaltsrechten. Tamara Hentschel, Sprecherin des Vereins „Reistrommel“, kritisierte mehrfach das Vorgehen der Polizei. Sie wolle den Zigarettenschmuggel nicht herunterspielen, sagt die in der Havemannstraße mit Hausverbot belegte Unterstützerin. „Doch wenn in meinem Wohnblock ein deutscher Krimineller gestellt werden müßte, würden ja auch nicht gleich alle Mieter aus den Betten geschmissen.“

Jenen VietnamesInnen, denen ein Bleiben in Berlin gewährt wurde, müßte die Auflösung dieser Heime in Marzahn somit durchaus gelegen kommen. Doch der Umzug ist für die meisten lediglich der Weg vom Regen in die Traufe. Auch in den beiden anderen Großquartieren Berlins, Gehrensee- und Rhinstraße, stehen Razzien auf der Tagesordnung, auch dort gibt es Mord und Totschlag. Erst vorige Woche hatten sich in der Rhinstraße 105 etwa 100 VietnamesInnen mit der Polizei eine regelrechte Schlacht geliefert, nachdem ein wegen Lebensmittelhandels verdächtigter Mann von Beamten offensichtlich bewußtlos geschlagen worden war. Am Sonntag abend sind in diesem Heim zwei Vietnamesen umgebracht worden.

Nur 16 der 81 Mietparteien haben Aussicht auf eine eigene Wohnung und somit Chancen, derartigen Ereignissen zu entfliehen. Ein Problem ist, so Gerd Neubert, daß die Wohnungsbaugesellschaften bisher kaum bereit sind, an Wohngemeinschaften beziehungsweise Großfamilien von Vietnamesen zu vermieten. Unterstützung in dieser Frage haben inzwischen das Büro der Ausländerbeauftragten Berlins zugesichert. In Marzahn selbst, so Erika Kröber, Sprecherin der dort ansässigen Wohnungsbaugesellschaft, wurde für die Vietnamesen, die einen Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeit besitzen, alles getan, was möglich war. Auch auf einer Mieterversammlung sei das Problem des Leerzuges der Heime besprochen worden. „Die Marzahner sind sehr einverstanden, daß die Vietnamesen im Bezirk bleiben und damit natürlich auch Wohnungen bekommen.“

Mangelndes Engagement kann der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn nicht vorgeworfen werden. Schließlich gibt es dort unter dem Druck des Altschuldenhilfegesetzes, der die Gesellschaft zur Veräußerung von 15 Prozent ihres Wohnbestandes verpflichtet, bereits Überlegungen, die Häuser in der Havemannstraße nach einer Sanierung in Eigentumswohnungen umzuwandeln.

Was für die Mehrzahl der einstigen VertragsarbeiterInnen jedoch kaum von Belang sein dürfte. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als in das nächste Ghetto, in diesem Falle in die Gehrenseestraße nach Hohenschönhausen, umzuziehen. Für 17 Mietparteien werden dort noch bis zum 15. Mai durch die Arwobau Wohnungen saniert. 48 sind bereits umgezogen.

Bestrebungen, Heime wie das in der Gehrensee- oder auch in der Lichtenberger Rhinstraße überhaupt aufzulösen, übrigens auch einer Forderung der Berliner Ausländerbeauftragten, werden derzeit durch den Senat jedoch nicht weiter forciert. Viele VietnamesInnen hätten sich – offensichtlich in Kenntnis der Realitäten des Wohnungsmarktes – dafür ausgesprochen, in den Massenquartieren wohnen bleiben zu wollen. Differenziert zu betrachten ist somit kaum möglich, wohl aber, pauschal zu kriminalisieren. Beste Bedingungen also mit Blick auf die zwischen Bonn und Hanoi verhandelte Abschiebung von 40.000 VietnamesInnen.

Aktueller Bericht über Morde an zwei Vietnamesen auf Seite 2