Nichts Neues vom Tourismus

Das Buch für einen überlebensfähigen Tourismus aus Sicht der LTUs und NURs  ■ Von Klaus Jetz

Wer sich aus der Feder von Brigitte Scherer ein weiteres kritisches Buch zum Thema Massentourismus gewünscht hat, der wird enttäuscht werden. Daraus macht die Autorin auch keinen Hehl. Thema ihres Buches sind, wie Scherer im Vorwort schreibt, „die Hintergründe einer Industrie [...], die vor einem Wertewandel steht“. Sie macht eine „epochale Wende“ aus, „in der sich der Tourismus neu definieren und formieren muß“. Und dieses Plädoyer für einen überlebensfähigen Tourismus des 21. Jahrhunderts erfolgt – wie sollte es anders sein? – aus der Sicht deutscher Reiseriesen, aus der Sicht der LTUs, DERs, TUIs und NURs.

Daß bei diesem Unterfangen die „Bereisten“ keine Rolle spielen, ist bei Scherers utilitaristischer Tourismus-Sicht nach dem Motto „Was nützt uns der Süden?“ nicht weiter verwunderlich. Denn schließlich ist die Autorin auch „langjährige Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und angesehene Tourismus- und Luftverkehrsexpertin“, die 1981 mit dem Theodor-Wolff-Preis des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger ausgezeichnet wurde, wie die Herausgeber stolz verkünden.

Scherer entpuppt sich mit ihrer „Spezial-Studie“ zum Tourismus allerdings eher als eine hervorragende Kennerin der mallorquinischen Lokalpolitik. So macht sie die positiven und negativen Entwicklungen des Massentourismus in erster Linie an der Balearen-Insel fest und beschreibt eine Überlebensstrategie sowohl für die vom Tourismus lebende „Putzfraueninsel“ als auch für die bisher von der „Balearisierung“ profitierenden deutschen Reiseveranstalter. Ihr Credo: Weg vom Image des Billigtourismus, hin zum Qualitätstourismus als Markenartikel.

Darin sieht sie auch die Zukunft für neue Destinationen in Übersee. Sie warnt vor einer „Balearisierung“ dieser Ziele, als sei dieses Phänomen des Massentourismus dort nicht längst eingetreten, als gebe es die touristische Ausbeutung des Südens durch den Norden nicht schon längst. Man denke nur an Länder wie die Dominikanische Republik oder Thailand. Kein Wort verliert Scherer über die negativen Auswirkungen des touristischen Ausverkaufs der Dominikanischen Republik. Die Probleme der Binnenmigration, die Scharen von Jugendlichen, die zu den Touristenhochburgen im Norden und Süden des Landes strömen, die Prostitution, die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte durch deutsche, spanische und kanadische Investoren, der Abfluß des Kapitals, die durch den Tourismus verschärfte Energiekrise, all dies sind Aspekte, die der Autorin unbekannt zu sein scheinen. Kein Wort über die kriminellen Machenschaften der spanischen Investorengruppe Barceló in der Dominikanischen Republik und Costa Rica, über die Zerstörung von Korallenriffen und illegal in Naturparks errichteten Hotelburgen. Kein Wort darüber, daß andere Länder auf dem besten Wege sind, es der Dominikanischen Republik gleichzutun. Jedes Jahr entdecken deutsche Reiseveranstalter neue Destinationen, Länder wie Honduras, Botswana oder Vietnam haben längst Eingang gefunden in die Kataloge deutscher Veranstalter.

Unerträglich auch die Art und Weise, wie Scherer das Problem des Sextourismus und der Kinderprostitution verharmlost: „Die beiden größten deutschen Reiseunternehmen, TUI und Neckermann, die fast 2,5 Millionen deutsche Urlauber nach Spanien fliegen, haben in Thailand zusammen 32.000 Kunden, 10 bis 15 Prozent davon sind alleinreisende Männer.“ Und schlimmer noch. Scherer schiebt den Schwarzen Peter dem Land selbst zu. Das Problem – es existiert also doch – sei hausgemacht: „Tatsächlich verfügt Thailand über eine riesige Sexindustrie einschließlich einer blühenden Pornografiebranche. Allerdings wird sie nicht von westlichen Touristen unterhalten, sondern von der männlichen Bevölkerung des eigenen Landes. Der Bordellbesuch zählt zum selbstverständlichen Alltagsleben.“

Ist eben alles nur halb so schlimm. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern in Thailand als Phantasieprodukte von Tourismuskritikern, die den DERs und TUIs nur das Geschäft vermasseln wollen? Neu ist diese Sicht der Dinge nicht. Sie entspringt dem unternehmerischen Denken und der Marktstrategie der deutschen Tourismus-Kartelle. Die Journalistin Brigitte Scherer hat sich mit ihrer „Tourismus-Studie“ zur Anwältin der deutschen Reiseindustrie gemacht.

Brigitte Scherer: „Tourismus“. rororo special, Reinbek 1995, 126 Seiten, 12,90 DM