Somalia und das Kriegsende in Europa
: Der Traum von Groß-Somalia

■ taz-Serie: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas passierte

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war Somalia größer als je davor oder danach. Davor war der Süden des Landes mit der Hauptstadt Mogadischu eines der wenigen italienischen Besitztümer in Afrika gewesen, während die Briten die Nordküste am Golf von Aden beherrschten. Im Weltkrieg stand Somalia also vor dem Problem, sich auf beiden Seiten zu befinden.

Das änderte sich 1941, als britische Truppen die Offensive gegen die Italiener in Ostafrika begannen und nicht nur das zuvor von Mussolinis Armee besetzte Äthiopien eroberten, sondern auch die alten italienischen Territorien in Somalia und Eritrea; auch das kleine, aber strategisch bedeutsame Französisch-Somaliland (heute Dschibuti) wurde von den Briten genutzt. So kontrollierten die Briten nun zum erstenmal ganz Ostafrika, von Ägypten bis Tansania.

Während in Addis Abeba Kaiser Haile Selassie wieder eingesetzt wurde, entstand in Somalia eine britische Militärverwaltung, die alle von Somalis bewohnten Gebiete umfaßte – also nicht nur Somalia, sondern auch den Nordosten Kenias und die Ogaden-Wüste in Äthiopien. So schufen die Kolonialherren erstmals in der Realität jenes vereinte „Groß-Somalia“, von dem somalische Nationalisten ansonsten nur träumten.

Als der Krieg zu Ende ging, boomte in ganz Somalia ein neuer, von den Briten ermutigter Nationalismus. Der Londoner Außenminister Ernest Bevin produzierte 1945 einen „Bevin- Plan“, der die Vereinigung aller Somalis in einem Einheitsstaat vorsah, „so daß die Nomaden ihrer frugalen Existenz mit der geringstmöglichsten Behinderung nachgehen können“; der Plan wurde im Land weithin verteilt

und die britischen Behörden förderten hier, anders als in ihren anderen Kolonien, den Beitritt einheimischer Staatsangestellter und Polizisten zu einheimischen Organisationen. In Mogadischu gab es den „Somali Youth Club“, der sich in „Somali Youth League“ umbenannte; im Norden gab es die „Somaliland National Society“, die sich 1948 mit der „Somali Transport Company“ zur „Somali National League“ zusammenschloß. Der „Jugendklub“ von Mogadischu trat für moderne Schulbildung und Überwindung der Clangegensätze ein, und ein ihr angehörender somalischer Händler gründete 1944 die erste Oberschule des Landes.

Somalias Aufbruchsstimmung von 1945 währte nur kurz. Weder die USA noch die Sowjetunion freuten sich über die Ausdehnung der britischen Herrschaft in Ostafrika – Frankreich und Italien natürlich noch weniger. Auch der äthiopische Kaiser wollte gern sein gesamtes Staatsgebiet zurück. Italienische Landbesitzer im Süden Somalias gründeten eigene somalische Organisationen unter ihren Angestellten, was binnen kürzester Zeit zu Clankämpfen führte.

Großbritannien mußte klein beigeben. Bis 1950 hatte sich Äthiopien gegen blutig niedergeschlagenen somalischen Widerstand den größeren Teil Ogaden wiederangeeignet und schließlich auch das einst italienische Eritrea. Und in ihrer ersten unrühmlichen Somalia-Intervention gab die UNO den Süden Somalias an Italien als Treuhandgebiet zurück. Die britischen Behörden in Kenia verboten die dortigen rebellischen Aktivitäten der „Somali Youth League“. 1954 wurde ein weiterer Wüstenstrich an der Südgrenze Nord- Somalias an Äthiopien abgetreten.

Der Traum von Groß-Somalia war kurz. Doch nie hat sich seither in Somalia eine stabile, allseits anerkannte Regierung halten können – außer wenn sie, wie Diktator Siad Barre in den 70er Jahren, per Krieg gegen Äthiopien die „Wiedervereinigung“ Somalias betrieb. Den schnell verflogenen Traum der Einheit hat Somalia bis heute nicht wiedergefunden. Dominic Johnson