Sanssouci
: Vorschlag

■ Über Gott und Bottrop: Social-Beat-Literatur im „Krähenfuß“

Im September vergangenen Jahres fand in Berlin das 2. Bundesweite Social-Beat-Festival statt. Fünf Tage lang lasen Dichter und solche, die es werden wollten, aus ihren Werken und diskutierten mit dem zahlreich erschienenen Publikum bis spät in die Nacht über Gott, die Welt und das harte Leben in Braunschweig und Bottrop. Was allerdings verbirgt sich hinter dem Label „Social Beat“? Die selbstbewußt bis frech formulierte Presseerklärung ließ einiges erhoffen: Junge, zornige Menschen, die sich auf Kerouac, Ginsberg und Bukowski beriefen, wollten den Rest der (schreibenden) Welt kräftig in den Arsch treten und als „außerliterarische Opposition“ gegen langweilige Bücher und die Härte der Neunziger protestieren. Nebenbei waren sie angetreten, um das Genre Literatur aufzubrechen wie einen alten Panzerschrank.

Tatsächlich ließen die Lesungen an vielen Stellen Wünsche offen, ein Teil der vorgestellten Arbeiten entpuppte sich als eine krude Mischung von betroffenem Erfahrungshunger und romantisierender Verklärung des eigenen Vegetierens zwischen Trinkbude, Bafög-Amt und Stadtbibliothek. Neben den gelungenen Vorträgen von Kiev Stingl und Burroughs-Double Jürgen Ploog sorgte die Autorin Bettina Sternberg mit ihrem Appell ans Publikum („Bring mich weg aus Helmstedt!“) eher für Irritation. Was auf der Ebene der selbstproduzierten Fanzines mit so vielsagenden Titeln wie Kopfzerschmettern, Krachkultur und Störer funktionierte, wollte Öffentlichkeit und fand neben verhaltener Sympathie auch herbe inhaltliche Kritik – nachzulesen in Molli Nr. 10, die diesem Thema eine sehr grundsätzliche zehnseitige Kritik und Diskussion widmete.

Inzwischen ist es ein wenig ruhiger um die Social-Beat-Szene geworden, die nun verstärkt auf regionale Aktivitäten setzt. Nachdem im Januar Bochum und im März Ludwigsburg Orte des untergründigen Vorlesens waren, treten heute abend im Café Krähenfuß fünf Autoren und ein Special Guest auf. Shanghai aus Magdeburg, gelernter Straßenbahnfahrer und ehemaliger Sänger der Punkband „Anti-X“, liest aus seinen vom Knastaufenthalt inspirierten Erzählungen. Underground-Veteran Hadayatullah Hübsch, der auch den in der Edition galrev veröffentlichten Band „Social Beat (D)“ zusammengestellt hat, trägt neue Gedichte vor. Auch mit dabei sind Enno Stahl (Köln), Jan Off (Braunschweig) und Jörg André Dahlmeyer, der den Störer herausgibt. Gunnar Lützow

Social-Beat-Lesung mit Enno Stahl, Hadayatullah Hübsch, Jörg André Dahlmeyer, Shanghai & Special Guest, heute 21 Uhr, Café Krähenfuß, Humboldt-Universität, Eingang Clara-Zetkin- Straße, Mitte.

Ein Probe-Exemplar des „Störer“ ist für sechs Mark zu erhalten bei Jörg André Dahlmeyer, Kastanienallee 87, 10435 Berlin